Bald ist es wieder soweit: Weihnachten, das Fest der Liebe, Freude und Harmonie, naht. Wie wunderbar für die Familien, bei denen nur kulinarische Freuden und herzerwärmende Gespräche unter der leuchtenden Nordmanntanne Programm sind. Aber sind wir mal ehrlich. Bei den meisten ist der Traum vom stressfreien Fest eben nur das: ein Traum. „Heiligabend ist mit viel zu vielen Erwartungen verbunden. Das ist für Familien, in denen Konflikte schwelen, schwer. Wenn alle krampfhaft versuchen, einen auf heile Welt zu machen, ist es kein Wunder, wenn die Stimmung irgendwann kippt“, sagt die Konstanzer Familientherapeutin Silvia Löbel.
Oft sind es ganz bestimmte Personen, die das Potenzial mitbringen, jede Feier zu sprengen. Zum Beispiel der Onkel, der jedes Jahr dieselben langatmigen Geschichten erzählt, oder die Tante, die mit allen über das Thema Impfen diskutieren will. Wie können derartige Minen entschärft und Eskalationen vermieden werden?
Wir haben bei der systemischen Familientherapeutin Silvia Löbel und der Familienberaterin Andrea Kullmann nachgefragt. Das Gute ist, so sagt Löbel: „Jeder im System Familie kann zur Veränderung beitragen.“ Also auch Sie!
Quasselonkel entschärfen: mit Humor und Strategie
Wer ist das? Der Quasselonkel redet gern und viel. Leider erfährt man wenig Neues, weil er Jahr für Jahr die gleichen Geschichten mitbringt. Wie kann man ihn auf der Feier stoppen, ohne ihn bloßzustellen oder zu verletzen? Die Konstanzer Familienberaterin Andrea Kullmann schlägt vor: „Gut ist, in so einer Situation direkt eine eigene Geschichte parat zu haben.“ Dann könne man den Onkel nach dem Motto „Oh, interessant, aber hast du davon schon gehört …?“ stoppen. Je nachdem, wie humorvoll er ist, eigne sich auch der mit einem Augenzwinkern vorgetragene Konter: „Das hast du schon mal erzählt.“

Der Tipp von Silvia Löbel erfordert etwas mehr Planung. „Völlerei, dann Schnaps, Wein und olle Geschichten – so sieht Weihnachten aus, wenn man sich vorher nichts überlegt hat. Ich plädiere deshalb für gemeinsames Tun, ein kleines Programm. Das können Spiele sein, etwa Activity, oder gemeinsames Singen.“ Und wenn der Onkel nach Runde fünf seine Story trotzdem noch zum Besten gibt? Dann helfe Humor. „Vielleicht spricht man sich mit anderen Familienmitgliedern sogar vorher ab, wie man die alte Geschichte mit witzigen Erwiderungen aushebeln kann“, sagt Löbel.
Schnapsdrossel entschärfen – mit Ich-Botschaften
Wer ist das? Die Person, die auf jeder Familienfeier zu viel trinkt und Schnaps für Schnaps mehr Blicke auf sich zieht. Je nach Trinker-Typ können sich die anderen Gäste auf verschiedene Szenarien mit der Schnapsdrossel freuen: Lallen, Weinkrämpfe, die Preisgabe intimer Informationen, Gesang, schlechte Witze, Aggressionen. Wie mit diesem heiklen Thema umgehen?
Andrea Kullmann erinnert daran, dass dieses Verhalten öfters als man glaubt mit einer Sucht zu tun hat. „Als Gastgeber ist es wichtig, sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen. Wenn der Gast sich blamiert, blamiert er sich.“ Je nachdem, wie nahe man der Schnapsdrossel stehe, könne man auch vorher mit ihr eine Absprache treffen. An vergangene Feiern erinnern und ganz offen sagen: „Du, ich möchte nicht, dass du so viel trinkst und dann rumstänkerst, das stresst mich. Darf ich dich heimschicken, wenn du das tust?“
Immer bei sich zu bleiben, also in Ich-Botschaften zu sprechen, und klare Aussagen zu treffen, empfiehlt auch Silvia Löbel. „Verteidigung und Rechtfertigung lösen Diskussionen erst aus. Klare Aussagen trauen sich nur wenige zu, dabei machen sie vieles einfacher“, sagt die Familientherapeutin. Und erklärt: „Wenn ich Ich-Botschaften gebe, geht‘s mir nicht gut, und der andere fühlt sich nicht angegriffen.“ Ein „ICH möchte nicht diskutieren“ sei viel leichter ohne Gesichtsverlust zu akzeptieren als „Hör auf zu diskutieren!“. Ebenso hört sich ein „ICH fühle mich unwohl, wenn zu viel getrunken wird“ wesentlich weniger konfrontativ an als „Trink nicht so viel!“
Quengelkind entschärfen – mit Mitgefühl
Wer ist das? Das Quengelkind sorgt überall für Chaos – und die Eltern greifen nicht ein. Darf man als Familienmitglied etwas sagen? Silvia Löbel plädiert dafür, hier die Perspektive der Kinder einzunehmen. „Indem sie gefragt werden, was sie brauchen.“ Dabei könnten interessante Ideen entstehen, etwa, kurz in den Wald zu gehen und ganz laut zu singen oder zu schreien. „Damit sich diese Energie entladen kann und die Kinder ruhiger sein können.“
Auch Beraterin Andrea Kullmann rät davon ab, Töchter und Söhne anderer Eltern zu ermahnen. „Stattdessen kann man versuchen, sie mal in den Arm zu nehmen und mit ihnen zu spielen, vielleicht fehlt dem Kind etwas. Fragen Sie es doch: ,Was brauchst du, warum bist du so quengelig?‘“
Querdenkertante entschärfen – mit Absprache und „Nein“
Wer ist das? Die Querdenkertante hat eine Mission: Sie ist von einer Sache extrem überzeugt – egal ob von den Querdenkern, vom Impfen, von einer Partei oder den Marsmännchen – und will alle bekehren. Sie liebt Diskussionen, die hitzig werden.
Therapeutin Silvia Löbel kennt diese Themen zur Genüge aus ihrer Praxis. „Es macht Sinn, hier präventiv vorzugehen. Und im Vorfeld allen in der Familie zu sagen, dass man dieses Jahr politische Gespräche sein lassen möchte. Weil es genügend Schweres im Außen gibt momentan.“
Diesen Appell am besten offen in den Familienchat schreiben, bloß nicht nur an die Tante richten. „Das könnte verletzen.“ Fängt sie auf der Feier trotzdem mit ihrem Thema an, helfe es, an die Vereinbarung zu erinnern.

Bringe das trotz allem nichts, lautet Andrea Kullmanns Tipp: „Auf keinen Fall in eine thematische Diskussion verstricken lassen!“ Besser sei es, die Debatte abzublocken, etwa mit diesem Satz: „Du, ich hab‘ meine Meinung, du deine, ich glaube, diskutieren macht keinen Sinn. Bitte lass uns das Thema wechseln.“
Wenn all das nichts hilft, bleibt die Exit-Option. Aufstehen und sich entschuldigen – zum Beispiel, um mit den Quengelkindern in den Wald zu gehen.