Der Kampf um dieses Haus wurde mit schweren Waffen ausgetragen. Der Schauplatz lag mitten in der Altstadt von Stockach, die Fronten waren klar. Die einen sprachen vom „alten Kaufhaus“ und wollten den denkmalgeschützten imposanten Fachwerkbau erhalten, für die anderen war es das „braune Haus“, weil hier die Nazis zwölf Jahre lang ihre Stockacher Parteizentrale hatten.
Sie wetterten, wie es der SÜDKURIER im November 1970 festhielt, gegen die „vergammelte Bude“ und das „Altersheim für Holzwürmer“. Ihre Lösung: der Abrissbagger.

Heute, mehr als 50 Jahre danach, mutet der Streit bizarr an. Inzwischen saniert man selbst windschiefe alte Häuschen wie Kostbarkeiten. Damals riefen Geschäftsleute nach einem Parkplatz, für den lokale Geschichte aus Holz und Stein weichen sollte: das um 1737 erbaute alte Kaufhaus. Wenn man damit auch die peinliche Erinnerung an Hitlers braune Bonzen entsorgen konnte – umso besser!

Anscheinend unberührt von den Wogen der Debatte um das Haus trugen mehrere mächtige Eichensäulen seit rund 230 Jahren das Gebälk der darüber liegenden zwei Stockwerke. Diese alten Pfeiler waren jeweils aus einem Stamm gedreht und stattliche Zeugen einer beeindruckenden vorindustriellen Handwerkstechnik.
Das Schicksal der Säulen war bislang weitgehend ungeklärt. Doch nach SÜDKURIER-Recherchen lichtet sich nicht nur der Nebel: Es zeigt sich auch, wie leichtfertig man in der Stadt lange Zeit mit solch historisch bedeutsamen Objekten umgegangen ist.
Jeweils eine Tonne schwer
„Ich vermute, die Eichenstämme wurden in einer Wassermühle in große Drehbänke eingespannt“, sagt Markus Honstetter. Dem Gastwirt gehört mit seiner Frau Beatrix der bekannte Gasthof „Kranz“ in Liggeringen bei Radolfzell. Das Gewicht der Säulen, die etwa drei Meter Länge hatten, schätzt er auf jeweils eine Tonne. Man mag das nicht bezweifeln.
Denn der Beweis ist nur wenige Schritte vom urigen Gastraum entfernt, in dem Honstetter mit dem SÜDKURIER-Reporter spricht. Jeder, der hier eintritt, passiert ein Portal, das von zwei Pfeilern aus dem alten Stockacher Gasthaus gehalten wird. Das ist seit 1986 so. Der Wirt erzählt, wie er damals beim Möbelschreiner Johannes Kuppel in nahen Espasingen gewesen ist. „Er hatte drei Säulen bei sich auf dem Hof liegen.“ Kuppel, heißt es heute, war in Stockach gut vernetzt.

Der inzwischen verstorbene Schreiner wollte die Kaufhaus-Relikte laut Honstetter im eigenen Haus einbauen, doch das ließ sich nicht verwirklichen. Honstetter zahlte den verlangten Preis und organisierte den Schwertransport zum Gasthof, wo er die Säulen als Tragstützen am Eingang passend schreinerte. So lebt hier bis heute Stockacher Baugeschichte weiter.
Das Land lehnt die Haus-Schenkung ab
Im November 1972 gewann die Abriss-Partei den Kampf. Daran mitgewirkt hatte der damalige Bürgermeister Franz Ziwey, heute 92. Zwar schien er zunächst einer Sanierung des Kaufhauses nicht abgeneigt.
Aber die vom Land angebotenen 80.000 Mark als Zuschuss für ein Projekt in geschätzter Höhe von 200.000 bis 300.000 Mark waren ihm zu wenig, wie es die einschlägigen Akten im Stockacher Stadtarchiv festhalten. Die von Industrie gesäumte Stadt erklärte der Bürgermeister kurzerhand für „finanzschwach“.

Man brachte den Petitionsausschuss des Landtags auf die Seite der Abriss-Fraktion. Bei einer Ortsbesichtigung hatte man die Herren aus Stuttgart überzeugt, dass sich der Bau in einem „stark verwahrlosten Zustand“ befinde. Zuvor hatte Ziwey das Kaufhaus an das Land verschenken wollen, doch das hatte dankend abgelehnt.
Denkmalschutzbehörde stellt sich quer
Die Denkmalschutzbehörde in Freiburg bleib am Ball und verwies auf die historische Bedeutung des Hauses, das eine bewegte Vergangenheit besaß: Als „Korn- und Haberhaus, als Quartier für Militär, als Warenhaus für jüdische Händler, als Abstellraum für Feuerlöschgeräte, als Markthalle, als Hauptwache in den Koalitionskriegen, als Arena von sogenannten englischen Kunstreitern“, wie es der Stockacher Chronist Hans Wagner 1967 in seiner Stadtgeschichte beschrieb.
Zudem war das Kaufhaus lange die Schule der Stadt. Nach dem Ersten Weltkrieg wohnten in den oberen Etagen Bürger und Pensionäre mit geringem Einkommen, was auch in der NS-Zeit beibehalten wurde. So erbat der Postschaffner a.D. Adolf Ruf im März 1935 einen Mietnachlass von 33 auf 27 Reichsmark. Grund: Sein „Notabort“ besitze keine Entlüftung, „so dass sich schlechte Gerüche in den Hausfluren und in den Wohnräumen verbreiten“.

Damals hatte die von den Nazis gekaperte Stadtverwaltung das Gebäude bereits Hitlers NSDAP geschenkt, und die NS-Dienststellen hatten es sich im Parterre bequem gemacht. Darunter war von 1936 bis 1942 der vormalige Meßkircher Bürgermeister und aus Wiechs im Hegau stammende NS-Kreisleiter Ernst Bäckert (1899-1962).

Bäckert, der mit Äußerungen wie „Lieber 10 Mann zu viel als einen zu wenig erschießen“ seine Nazi-Gesinnung zur Schau stellte, war einer von vier NSDAP-Kreisleitern in Stockach, zu denen in 12 Jahren acht Ortsgruppenleiter dazukamen. Für den Singener Stockach-kundigen Historiker Hartmut Rathke ist dieses Personalkarussell der Beweis, dass die Stockacher NSDAP „ein eher zerstrittener Haufen war“.

Nach dem Krieg herrschte zumindest Einigkeit, was die Zukunft des alten Kaufhauses betraf. Die Stadt drängte 1946 beim französischen Militärgouverneur darauf, die Schenkung an die NSDAP rückgängig zu machen, pochte auf ihr Vorkaufsrecht und leitete beim Treuhänder für NSDAP-Parteivermögen, dem Anwalt Josef Ruby in Freiburg, den Rückkauf ein. In den steckte die Stadt rund 10.000 Mark.
Die Stadt will das Haus für ein Heimatmuseum unbedingt zurück
Die Akten im Stadtarchiv zeigen ein hohes Interesse des damaligen Bürgermeisters Alois Deufel am alten „Parteiheim“, wie man das Gebäude nannte. Im Mai 1952 verkündete der SÜDKURIER den Plan, hier das Heimatmuseum und das Archiv des Narrengerichts unterzubringen. Hans Wagner zählt akribisch auf, was dort an alten Waffen, Werkzeugen, prähistorischen Funden und hauswirtschaftlichem Gerät hineingetragen wurde.
Von einem „braunen Haus“ war damals zumindest im Schriftverkehr nie die Rede, sondern nur vom „alten Kaufhaus“. Erst Anfang der 70er-Jahre tauchte auch im SÜDKURIER der Begriff „braunes Haus“ auf, denn jetzt sollte der Abriss auch propagandistisch flankiert werden. Dazu eignete sich der Name gut, geht er doch auf Hitlers Parteizentrale in München zurück.
Freiburger Denkmalamt macht klare Auflagen
Im Lauf des Jahres 1972 gewinnt der Abrissplan an Fahrt. Nach dem Votum des Petitionsausschusses ordnet das Stuttgarter Kultusministerium gegenüber dem Regierungspräsidium Freiburg den Abbruch an, die Sache landet in der Bauabteilung des damaligen Stockacher Landratsamts. Diesem gegenüber muss das Denkmalamt seine Zustimmung erteilen.
Doch es gibt Bedingungen: „Die vier mächtigen Holzsäulen im Erdgeschoss mit Unterzügen sind sorgfältig auszubauen und an sicherer Stelle zu lagern“, heißt es. Sie sollten in Stockach eine „anderweitige Verwendung“ finden können. Auch Biberschwanzziegel und Konstruktionshölzer seien zu sammeln und einzulagern.
Rathaus ignoriert den Denkmalschutz
Erfüllt wurden diese Auflagen offenbar nicht. Fotos aus dem November 1972, die der damalige CDU-Gemeinderat und Abriss-Anhänger Hubert Kunicki (2022 verstorben) aufnahm, zeigen vom alten Kaufhaus einen Trümmerhaufen, in dem eine der Säulen zu erkennen ist. Kunicki erzählte dem SÜDKURIER noch 2019, die Pfeiler seien lange auf einer Deponie im Stadtteil Rißtorf gelagert worden.

Wie und warum Säulen zu Johannes Kuppel kamen, kann auch seine Tochter Julia auf Nachfrage des SÜDKURIER nicht sagen. Allerdings gibt der frühere Kulturamtsleiter Thomas Warndorf einen Hinweis, wonach sich zwei weitere Säulen im städtischen Bauhof befinden. Hat damals also doch jemand an den Denkmalschutz gedacht? Der SÜDKURIER-Reporter geht der Sache nach.
Kulturgut hinter einem Stapel alter Paletten
Ein Bauhof-Mitarbeiter führt den Besucher in eine Lagerhalle. Hinter einem Metallgeländer, alten Paletten und einer Alu-Leiter lehnen vier Eichenhölzer an einem Holzgestell. Wie lange schon? Das ist unklar. Auch die Frage, ob die Segmente zusammengesetzt eine oder zwei Säulen ergeben, lässt sich hier nicht klären.

Der SÜDKURIER informiert die Kulturamtsleiterin Corinna Bruggaier über den Fund. Daraufhin werden die Säulen-Fragmente in eine Halle des früheren Raiffeisen-Areals gegenüber dem Bauhof gebracht, wo sie jetzt sicher auf Paletten zwischengelagert sind.
Julian Windmöller zeigt dem Reporter einen Handfeger aus weichem Ziegenhaar. Damit hat der Leiter des Stadtmuseums eine erste Reinigung von Schmutz und Staub unternommen.
Behandlung und Restaurierung in Freiburg
Auch einen groben Fahrplan können Windmöller und Bruggaier vorstellen: Ende Januar werden die Eichenhölzer in eine Werkstatt der Städtischen Museen nach Freiburg gebracht. „Dort werden sie einige Wochen in einer Kammer mit Stickstoff behandelt, um mögliche Holzschädlinge im Innern abzutöten“, erklärt Windmöller.
Danach soll durch Experten eine weitere Reinigung des vom Zahn der Zeit beschädigten Holzes und seine Restaurierung erfolgen.
Wo ist die vierte Säule geblieben?
Dann wird man vermutlich eine wichtige Frage klären können: Handelt es sich um die Bruchstücke einer einzigen Säule? Und wenn ja, wo ist dann die vierte geblieben? Gastwirt Markus Honstetter hat eine Vermutung: Sie könnte bei einem Stockacher Autohändler sein, der sie möglicherweise auch von Johannes Kuppel bezogen hat.
Jens Martin bestätigt dem SÜDKURIER auf Nachfrage, eine alte Kaufhaus-Säule sei in der Ära seines Vaters Hans auf dem Gelände gestanden. Das war in den 70er-Jahren. Aber sie sei zerbrochen und man habe sie weggegeben. Wohin, das weiß er nicht.
Immerhin besinnt man sich in Stockach jetzt auf eine unerfüllte Verpflichtung des Denkmalschutzes und rettet, was vom alten Kaufhaus am Gustav-Hammer-Platz noch zu retten ist. Möglicherweise wird das eicherne Vermächtnis künftig im Stadtmuseum im Alten Forstamt zu sehen sein.