Ein bisschen aufgeregt sei er jetzt schon, gestand Ulrich Hund vor Beginn des Gottesdienstes am Montag. Der katholische Stadtpfarrer von Markdorf (Bodenseekreis) gehört zu den Seelsorgern, der sich der bundesweiten Initiative einer Segnung für alle anschließt. Wie sehr dieses neue Format offenbar tiefliegend Wünsche aufgreift, zeigte ein Blick in die Kirche St. Nikolaus: Der gotische Bau war bestens besetzt, nicht alle Kirchgänger fanden unter Corona-Bedingungen einen Platz. Auf den Stufen zum Altar lagt eine Regenbogen-Flagge ausgebreitet – für manche Provokation, für andere das Anerkennen der Realität.
Der 90 Minuten dauernde und keine Sekunde langatmige Gottesdienst ist eine Antwort auf ein mittlerweile legendäres Schreiben aus Rom. Am 15. März verfügte die Kongregation für Glaubenslehre, dass gleichgeschlechtliche Paare vom geistlichen Segen ausgeschlossen seien. Das sorgte auch in Deutschland für heftigen Widerspruch. Der Segensgottesdienst in Markdorf ist ein Resultat.
„Bin ich noch willkommen?“
Wie nötig dieser Impuls war, berichteten viele Beteiligte im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Zum Beispiel Ralf und Marco, sie leben seit einigen Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft. Die beiden Eriskircher wuchsen in einer christlichen Umgebung auf, Ralf diente als Ministrant. Mit ihrer Homosexualität sahen sie in der katholischen Kirche keinen Platz für sich. „Ich frage mich bisher immer: Bin ich noch willkommen?“, sagt Ralf. Eher nein, deshalb mied er Gottesdienste. Von einem Bekannten erfuhr er von der Segnung in St. Nikolaus und nahm seinen Partner mit.
Marco sagt: „Mich freut es, dass meine Kirche so etwas macht. Auf dieses Signal habe ich gewartet.“ Das junge Paar würde auch wiederkommen. Für die beiden jungen Männer geht der Schritt in die richtige Richtung.
Noch eine Neuerung: eine segnende Frau
Die Predigt des Wortgottesdienstes entfaltete die theologische Argumente für den Segen. Ulrich Hund begründet: „Wenn Menschen Verantwortung füreinander tragen – kann ich dann den Segen verweigern?“ Das gute Wort und die über den Kopf gelegten Hände gelte allen Menschen, in allen Lebensbezügen. Die sakrale Handlung nahm neben dem Pfarrer auch Diakon Werner Ströbele sowie die Gemeindereferentin Stefania Menga – auch dies ein noch seltenes Bild: eine segnende Frau.
„Wir sollten offener werden“, sagt die Ministrantin
Pfarrer Hund erhielt in seiner Gemeinde viel Zuspruch für den halb verbotenen Schritt. Nur eine kritische Stimme habe ihn erreicht, berichtet er später. Bei näherem Hinsehen sah man etwas anderes: Die Einladung hatten nicht nur homosexuell oder lesbisch lebende Christen angenommen. Es erschienen auch Familien, Witwer oder Witwen, Väter mit Töchtern. Auch Constanze Losch und ihre Tochter Lilli waren gekommen, um sich die Hände auflegen zu lassen. „Als Kirche sollten wir offener werden“, sagt Lilli, die auch Ministrantin ist. Dass der Segen exklusiv verwaltet und zugeteilt werden soll, geht ihr nicht in den Kopf.

Auch Margarete Schöllhorn folgte der Einladung. „Ich bin hier wegen der Solidarität“, sagte die Mutter dreier erwachsener Kinder. „Es ist überfällig, dass sich die Kirche öffnet“, ergänzt die überzeugte Katholikin.
Die Marktstraße schillerte
Der Gottesdienst mit der versöhnenden Geste war keine Einzelaktion. An etlichen Häusern wehten an diesem Montag die Regenbogenflaggen. In Geschäften ebenso wie am wuchtigen Pfarrhaus. Auch aus dem Rathaus hing ein Tuch mit den leuchtenden sechs Farben, die an den Patriarchen Noah und den Bund zwischen Gott und den Menschen erinnern. „Man könnte meinen, man sei im Kölner Westen beim Christopher Street Day“, flachste Ulrich Hund in Anbetracht der Farbenpracht. Auch Markdorfs Bürgermeister Georg Riedmann war beeindruckt von dem Geschehen; er hält den Schritt von Pfarrer und pastoralen Helfern für richtig.

Erzbischof Stephan Burger lässt die Markdorfer wie auch die Litzelstetter bisher gewähren, hieß es dazu. Im Freiburger Ordinariat sind die Aktivitäten natürlich bekannt, würden aber stillschweigend geduldet – so lange es nicht in Rom ruchbar wird.