Sie bemühen sich monatelang um einen Arzttermin, werden vertröstet oder erhalten gleich den Rat, sich im weiteren Umkreis umzusehen. Manche Frauen in Südbaden haben die Suche nach einem Gynäkologen auch schon ganz aufgegeben, wie der SÜDKURIER berichtete. Besonders vom Frauenärztemangel betroffen: Ländliche Regionen wie der Schwarzwald.

Umso erfreulicher schien es, als sich im vergangenen Jahr ein neuer Gynäkologe in der Region niederließ und öffentlich um Patientinnen warb. Doch SÜDKURIER-Recherchen zeigen, dass der Mediziner alles andere als ein unbeschriebenes Blatt ist: Der Deutsche hat in drei Ländern seine Zulassung als Arzt verloren. In Frankreich saß er wegen eines schwerwiegenden OP-Fehlers im Gefängnis und wurde in der Öffentlichkeit als „Metzger“ bezeichnet. Was war geschehen?

Patientinnen verunsichert

Der aus dem Großraum Stuttgart stammende Hans Z. (Name geändert) ist ein Spätberufener: Zunächst studierte er ein Jahr Wirtschaft in Straßburg und später Medizin in Bayern sowie in Südafrika. Im Alter von 45 Jahren machte er seinen Abschluss.

Schon zu Beginn seines Abschlussjahres habe Hans Z. laut eigenen Angaben als Oberarzt im Bereich Frauenheilkunde in einem Klinikum im Schwarzwald gearbeitet. Kurz darauf hat er in einer Schwarzwald-Gemeinde eine Facharztpraxis übernommen.

„Er hat immer furchtbar gerne und sofort operiert, er war sehr von sich selbst eingenommen, aber seine Diagnosen haben mich nicht überzeugt“, sagt eine Kollegin dem SÜDKURIER. Jede Zyste habe er unnötigerweise operiert und Patientinnen damit verunsichert.

Verurteilungen in Deutschland und der Schweiz

Anfang 2016 übernahm Hans Z. in einem Krankenhaus in Zentralfrankreich Vertretungsdienste. Doch der Vertrag wurde bereits nach drei Tagen aufgelöst, weil es zu Unstimmigkeiten mit dem Personal, aber auch zu Problemen bei Behandlungen gekommen war, wie aus vorliegenden Gerichtsakten aus Frankreich hervorgeht.

Wenige Monate später verurteilte ein deutsches Gericht den Mediziner wegen Betrugs und er erhielt eine Vorstrafe im Strafregister. Ein halbes Jahr darauf folgte eine Verurteilung in der Schweiz wegen Verstoßes gegen die Verkehrsvorschriften. Zu dieser Zeit dürfte er vorübergehend in einer kleinen St. Galler Landgemeinde als Facharzt praktiziert haben, wie Recherchen zeigen.

Im selben Jahr eröffnete Hans Z. eine eigene Praxis in Straßburg und ein elsässisches Krankenhaus stellte ihn als Arzt ein. Doch der Vertrag wurde nach 20 Tagen wegen Schwierigkeiten bei der Integration in das Team und seiner Einstellung gegenüber Hebammen beendet.

Apotheker wunderte sich über Rezept

Im Mai 2018 nahm das eigentliche Drama seinen Lauf: Eine Krankenhausgruppe in Südfrankreich nahm Hans Z. für einen Monat unter Vertrag. Zur selben Zeit klagte die Französin Véronique Scheins über starke Menstruationsblutungen und suchte das Krankenhaus auf.

Dort diagnostizierte der zwei Wochen zuvor eingestellte Hans Z. einen gutartigen Tumor in der Gebärmutter der 54-Jährigen, verschrieb ihr ein Rezept und plante eine Spiegelung der Gebärmutterhöhle – ein ambulanter Routineeingriff. Dabei wird das Innere der Gebärmutter mit einer kleinen Schlauchkamera sichtbar gemacht und der gutartige Tumor entfernt.

Das Rathaus der südfranzösischen Stadt Montélimar, in der sich der OP-Eingriff ereignete.
Das Rathaus der südfranzösischen Stadt Montélimar, in der sich der OP-Eingriff ereignete. | Bild: Marianne Casamance/Creative Commons CC BY-SA

Doch schon der Apotheker habe sich laut Scheins über das von Hans Z. ausgestellte Rezept gewundert, weil es keine Dosierung enthielt. Er rief den Arzt an. Dieser soll ihm geantwortet haben, dass er nicht wisse, dass es zwei verschiedene Dosierungen gebe. Der Apotheker bestätigte den Ermittlern später diesen Anruf.

„Harmloser Eingriff“ durch „handverlesene Ärzte“

Da die 54-Jährige an der Professionalität des Mediziners zweifelte und die medikamentöse Behandlung erfolgreich war, beschloss sie mit ihrem Ehemann, den geplanten Eingriff im Spital abzusagen. Doch eine Krankenschwester versicherte ihr, dass es sich um einen harmlosen Eingriff handle, die Ärzte im Spital alle „handverlesen“ seien und sie noch am selben Tag nach Hause könne. Veronique Scheins ließ sich überzeugen.

Ende Mai 2018 – es war der vorletzte Tag vor dem Ablauf des befristeten Vertrags von Hans Z., auf den ein unbefristeter folgen sollte – lag die 54-Jährige unter Vollnarkose auf einem Operationstisch. Im Gerichtsurteil ist der Eingriff anhand eines Gutachtens von drei Medizinprofessoren detailliert beschrieben.

Warnungen in den Wind geschlagen

Um 15 Uhr begann Hans Z. den Gebärmutterhals zu weiten und die Schlauchkamera mit einem chirurgischen Instrument einzuführen, das mittels elektrischem Strom Gewebe schneiden oder veröden kann. Gegen 15.20 Uhr erkannte ein Assistenzarzt auf den Kamerabildern Muskelfasern statt der Gebärmutterhöhle und fragte Hans Z., ob er vielleicht einen falschen Weg eingeschlagen habe. Laut dem Assistenzarzt habe der deutsche Mediziner mit „Nein“ geantwortet und den Eingriff fortgeführt.

Sechs Minuten später meldete eine Krankenschwester einen plötzlichen Blutdruckabfall und fragte Hans Z., ob es Komplikationen gebe. Dieser habe laut mehreren medizinischen Fachkräften nicht geantwortet und weitergemacht. Trotz mehrfacher Aufforderung, den Eingriff zu stoppen, fuhr er fort. Daraufhin wurde der Alarmknopf gedrückt.

Gutachten: „Beckenwand buchstäblich durchpflügt“

Zahlreiche Mitarbeiter betraten den Operationssaal, aber Hans Z. soll laut dem Gutachten regungslos zwischen den Beinen seiner Patient sitzen geblieben sein und noch immer die Schlauchkamera in der Hand gehalten haben, während herbeigeeilte Ärzte Notfallmaßnahmen an der 54-Jährigen einleiteten. Eine Krankenschwester nahm Hans Z. schließlich das Gerät aus der Hand.

Gemäß dem Gutachten habe er „die rechte Beckenwand von Véronique Scheins buchstäblich durchpflügt und die Arterien und Venen zerstört“. Sie musste in ein 150 Kilometer entferntes Spital nach Lyon transportiert werden.

Anstatt zwei Tage nach dem ambulanten Eingriff wie geplant auf eine Hochzeit zu gehen, wachte die Französin in einem fremden Krankenhaus lebensgefährlich verletzt auf, in dem sie mehr als sechs Wochen bleiben musste.

Véronique Scheins
Véronique Scheins | Bild: Scheins

Aufgrund der verletzten Bauchdecke kann Scheins bis heute kaum stehen und ist auf einen Rollstuhl und ein Korsett angewiesen. „In den Urlaub fahren, spazieren gehen und ausgehen ist für mich nicht mehr möglich. Ich bin in meinem Haus eingesperrt. Tag und Nacht“, sagte sie einem luxemburgischen TV-Sender.

Gesundheitsministerin: „Spitznamen Metzger nicht gestohlen“

Hans Z. ließ sich daraufhin in Luxemburg nieder, wohl auch, weil er in Frankreich ein Berufsverbot erhielt. In Luxemburg durfte er vorerst weiter als Arzt praktizieren, aber keine chirurgischen Eingriffe durchführen, während in der Schweiz – wenige Monate nach dem schwerwiegenden Vorfall – seine Bewilligung zur Berufsausübung zur Gänze stillgelegt wurde.

Im Kleinstaat Luxemburg löste die Vorgeschichte von Hans Z. großes Aufsehen aus. Schon 2020 gab es eine parlamentarische Anfrage, um das Gesetz über die Zulassung von Ärzten zu verschärfen. Mediziner, die in einem anderen Land sanktioniert wurden, sollen auch in Luxemburg das Recht verlieren, dort zu praktizieren. Die damalige luxemburgische Gesundheitsministerin sagte über Hans Z. öffentlich: „Er hat seinen Spitznamen Metzger nicht gestohlen.“

Richter: „Inkompetenz und Nachlässigkeit“

2021 verurteilte ein Strafgericht im französischen Valence Hans Z. wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einem lebenslangen Berufsverbot in Frankreich. Er legte dagegen Berufung ein.

Ein Jahr später gab er vor einem Gericht in Grenoble zu, einen Fehler beim Eingriff begangen zu haben. Die Richter bestätigten „angesichts der Schwere der Taten“ das Urteil der Vorinstanz, wobei sie sechs Monate der Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzten. 18 Monate wurden unbedingt ausgesprochen.

Die Richter führten im Urteil aus, das lebenslange Berufsverbot sei „zwingend erforderlich“, um „angesichts der Inkompetenz und Nachlässigkeit“ des Angeklagten eine Wiederholung der Tat zu verhindern. Das Gericht stellte einen „Haftbefehl mit sofortiger Vollstreckung“ aus. Denn würde Hans Z. in seine Heimat fliehen, müsste Deutschland seinen eigenen Staatsbürger nicht ausliefern.

Zudem verurteilte ein Zivilgericht die Krankenhausgruppe, die Hans Z. beschäftigt hatte, zu einer Entschädigungszahlung von 1,7 Millionen Euro an Veronique Scheins und ihren Ehemann.

Véronique Scheins mit ihrem Mann im Kreise der Familie.
Véronique Scheins mit ihrem Mann im Kreise der Familie. | Bild: Scheins

Mit dem rechtskräftigen Strafurteil entzog auch Luxemburg als drittes Land nach Frankreich und der Schweiz Hans Z. die Bewilligung, als Arzt praktizieren zu dürfen. Und in Deutschland, wo Hans Z. seit Kurzem wieder als Mediziner arbeitet?

„Was ich erlebt habe, könnte nochmal passieren“

Das zuständige Regierungspräsidium Stuttgart könne sich aufgrund des Datenschutzes „zu Einzelfällen nur sehr eingeschränkt“ äußern. Allgemein schreibt es, dass „auch nach einer strafrechtlichen Verurteilung und dem Verbüßen der Strafe (...) gegebenenfalls wieder die Zulassung, als Arzt zu arbeiten, erteilt werden könnte. Das entscheide eine Einzelfallprüfung.

Dabei sei der „Schutz der Patienten“ und das öffentliche Interesse gegenüber dem Recht auf freie Berufsausübung abzuwägen. Eine frühere Weggefährtin von Hans Z. sagt: „Ich bin nicht sicher, ob er nochmal als Arzt arbeiten sollte.“

Véronique Scheins reagiert verwundert, als sie vom SÜDKURIER erfährt, dass Hans Z. im Schwarzwald wieder als Arzt tätig ist. „Ich habe Mitleid mit den Frauen, die von der deutschen Regierung nicht geschützt werden und vielleicht zu neuen Opfern werden, obwohl es vermieden werden könnte“, sagt die Französin.

Für sie sei der Mediziner gefährlich: „Es ist einfach unerträglich zu wissen, dass alles, was ich erlebt habe, noch einmal passieren könnte. Das würde ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen.“

Hans Z. war telefonisch nicht erreichbar und ließ mehrere schriftliche Anfragen unbeantwortet. Der SÜDKURIER suchte daraufhin seine Praxis auf und versuchte, persönlich mit ihm über das Vorgefallene zu sprechen. Der Arzt lehnte dies ab und sagte: „Ich habe Kundschaft.“