Tue ich das wirklich? Lasse ich mich wirklich mit einem Stoff impfen, der bisher noch nicht zugelassen ist, der zum ersten Mal am Menschen getestet wird? Diese Gedanken schießen mir während der Fahrt früh morgens auf dem Weg nach Tübingen durch den Kopf. Doch ich habe mich entschieden. Und heute ist es soweit.

Um 8 Uhr morgens habe ich meinen Termin mit Doktor Zita Sulyok. Die Ärztin untersucht mich noch einmal gründlich von oben bis unten: Mein Puls wird gemessen, Herz und Lunge abgehört, der Bauch abgetastet, die Reflexe geprüft. Schließlich nimmt sie mir noch einmal Blut ab. Eine Urinprobe muss ich als Frau auch noch abgeben – um eine Schwangerschaft auszuschließen.

Gründliche Untersuchung

Nach etwa 30 Minuten liegen alle Ergebnisse vor. Ich bin gesund, wie auch schon die Voruntersuchung in der Vorwoche bestätigte. Zwei Rachenabstriche habe ich schon hinter mir: Einen bei der Voruntersuchung und einen zwei Tage vor der Impfung, um eine aktive Corona-Infektion sicher auszuschließen.

Denn in der Studie sollen nur ganz gesunde Menschen getestet werden, ohne Vorerkrankungen und vor allem ohne aktive oder bereits überstandene Corona-Infektion. Denn nur so lässt sich testen, ob der Impfstoff wirkt und welche Auswirkungen er auf den Körper hat.

Professor Peter Kremsner leitet die klinische Studie zum neuen Corona-Impfstoff am Tropeninstitut der Uniklinik Tübingen.
Professor Peter Kremsner leitet die klinische Studie zum neuen Corona-Impfstoff am Tropeninstitut der Uniklinik Tübingen. | Bild: Moll, Mirjam

Peter Kremsner leitet die Studie am Institut. Der gebürtige Österreicher hat einen Impfstoff gegen Malaria mitentwickelt. Er gehört der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie an und lehrt als Professor für Tropenmedizin, Reisemedizin und Parasitologie an der Universität Tübingen. Am Tropeninstitut der Uniklinik, dem er als Direktor vorsteht, wird die erste Phase der klinischen Studie umgesetzt.

Warum sind Impfstoffe eigentlich nicht ansteckend?

Impfung vom Professor

Der Professor ist es auch, der bei mir die Impfung vornimmt. Wir gehen in ein kleines Behandlungszimmer, wo meine Ärztin und ihre Kollegin Bianca Eder auf mich warten. Die beiden Frauen sind Teil des 35 Mitarbeiter starken Teams, das die klinische Studie betreut. Alles muss dokumentiert werden, nichts bleibt dem Zufall überlassen.

Die kleine Spritze liegt schon bereit. Eine hellgelbe Flüssigkeit schwimmt darin. Etwa 0,2 bis 0,4 Milligramm einer fetthaltigen Lösung, sagt Kremsner. Darin enthalten sein könnten zwei Mikrogramm des Impfstoffs. Oder auch nur Kochsalzlösung. Denn ich gehöre zu der Gruppe, in der bereits verblindet gearbeitet wird. So lautet der fachliche Begriff für den Test, bei dem nicht alle Probanden auch wirklich geimpft werden.

20 Prozent der Teilnehmer bekommen in diesem Fall keine echte Impfung. Das ist in dieser Phase der Studie nicht zwingend, erklärt Professor Kremsner. Er selbst sei dagegen gewesen: Zu wenige Probanden nähmen teil. Die Befürworter aber wollten die Nebenwirkungen erfassen, die es auch bei Placebos geben kann. „Bisher geht es allen sehr gut“, beruhigt Kremsner. Bald wird die Dosis gesteigert. Schon in den nächsten zehn Tagen könnten alle Probanden rekrutiert sein, hofft der Professor. Täglich werden fünf bis acht Patienten geimpft.

Kremsner fackelt gar nicht lange: Beherzt sticht er mit der Nadel in meinen rechten Oberarm (ich bin Linkshänderin, daher wählte ich das kleinere Übel). Ich spüre, wie die Flüssigkeit in meinen Oberarmmuskel dringt. Nicht sehr angenehm, aber nicht zu unterscheiden von einer herkömmlichen Impfung. Wie wird mein Körper reagieren?

Die Impfung Video: Moll, Mirjam

Überwachung in der Bibliothek

Ich werde in die Bibliothek des Tropeninstituts begleitet – ein Raum mit deckenhohen Bücherregalen und einer meterlangen Tafel. Ein anderer Proband sitzt hier bereits. Der Mechatronikstudent wurde angesprochen, ob er teilnehmen wollte. Er selbst wäre nicht darauf gekommen, sagt er. Bedenken hatte er keine, sagt er. Und als Student kann er das Geld, was die Studienteilnehmer bekommen, gut gebrauchen, sagt er.

Eine Frau kommt später hinzu: „Ich wollte etwas beitragen“, sagt sie. Das Risiko schätzt sie für sich als überschaubar ein: „Ich reagiere auf nichts allergisch und habe auch keine Angst vor Impfungen„, sagt die Mitarbeiterin der Uniklinik. Sie hat auf eine Rundmail geantwortet. Kollegen hätten unterschiedlich reagiert: Die Reaktionen reichten von „mutig“ bis „du machst dich zum Versuchskaninchen“. Ich habe Ähnliches erlebt. Aber auch ich halte das Risiko für gering, dass etwas passieren könnte.

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Medizinstudentin Laura Schultze-Rhonhof ist für das Protokoll während meiner Beobachtungszeit zuständig. Sie misst stündlich meinen Blutdruck. Nach vier Stunden ist die Beobachtungszeit abgelaufen: Es geht mir gut, ich fühle mich ganz normal. Nachdem ich meine Temperatur gemessen habe, wirft meine Ärztin noch einen Blick auf die protokollierten Werte. Nach einer abschließenden Untersuchung darf ich gehen.

Mit auf den Weg bekomme ein Tagebuch. Es ist ein Formular, das ich täglich ausfüllen muss und worin ich meine Symptome festhalten soll, so welche auftreten sollten. Außerdem muss ich täglich meine Temperatur messen und eintragen. Habe ich Schmerzen an der Einstichstelle? Gibt es eine Rötung? Ist die Stelle geschwollen? Juckt die Haut? Leide ich an Kopfschmerzen oder fühle ich mich müde? Habe ich womöglich Schüttelfrost? Schmerzen die Muskeln oder Gelenke? Ist mir übel? Das alles muss festgehalten werden. Täglich, über eine Woche lang. Bis ich wieder nach Tübingen komme, zur Nachkontrolle.

Begleiten Sie mich bei der klinischen Studie in Tübingen: Wie ich die Impfung vertragen habe und was die Kontrolltermine ergeben, lesen Sie in der nächsten Folge.