Einmal um den Bodensee mit dem Auto – gerade auf deutscher Seite kein Vergnügen. Die Geschwindigkeitsbegrenzungen wechseln zwischen Tempo 100 und 70, zwischen Tempo 50, 40 oder 30, je nachdem ob inner- oder außerorts. Zwischendurch erinnern Blitzer unaufmerksame Autofahrer in nahezu jedem Ort schmerzhaft an die zulässige Höchstgeschwindigkeit.

Besonders ortsfremden Autofahrern werde der Tempo-Dschungel schnell zum Verhängnis, sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Er fordert deswegen innerorts ein Normaltempo von 30 Kilometern pro Stunde.

„Jeder auf den Straßen ist mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen überfordert“, sagt Resch und spricht bereits von einer „Überschilderung der Landschaft“. Andauernd stände ein neues Schild mit einer neuen Höchstgeschwindigkeit am Straßenrand.

Tempolimit überfordert Autofahrer

Dass der ein oder andere Autofahrer, besonders wenn er nicht aus der Region komme, damit überfordert ist, sei logisch, so Resch. Das komme auch davon, dass viele Gemeinden Tempo 30 oder 40 innerorts lediglich aufgrund von Lärmschutz oder wegen der Luftqualität zulassen können. Dann stehen noch Erklärungen wie „Lärmschutz“, „zwischen 7 bis 16 Uhr“ oder „nur Werktags“ unter den Geschwindigkeitsangaben. Der Autofahrer komme da aus dem Lesen nicht mehr raus.

Wozu das führt, zeigt sich beispielsweise in Sipplingen. An der Durchgangsstraße der Gemeinde am See steht ein Blitzer, hinter dem Ortseingang und nach einer Tempo-30-Begrenzung. Und der hat nach Angaben der Stadt Überlingen, die für die Anlage verantwortlich ist, im vergangenen Jahr bei gleich 12.087 Fahrzeugen Verstöße gegen das Tempolimit gemessen. Jeden Tag also sind im Schnitt über 30 Fahrer zu schnell unterwegs.

Tempo 30 nur teilweise möglich

Dabei sei die Reduktion der Geschwindigkeit laut Resch nicht das Problem. Vielmehr sieht die Deutsche Umwelthilfe die automatische Begrenzung auf Tempo 50 mit dem Ortseingangsschild kritisch. Städte und Gemeinden seien so gezwungen, wenige Meter nach dem Ortseingang erneut Schilder mit der neuen gültigen Geschwindigkeit aufzustellen – sofern ein triftiger Grund bestehe.

Diese Gründe sind in der Straßenverkehrsordnung geregelt: So darf beispielsweise aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs oder zum Schutz vor Lärm und Abgasen sowie vor Schulen und Kindergärten, Altenheimen oder Krankenhäuser die Geschwindigkeit geringer als 50 km/h ausfallen.

Der Deutschen Umwelthilfe sind die Gründe allein aber nicht genug. Sie fordert deswegen – und im Hinblick auf eine bessere Übersichtlichkeit im Straßenverkehr –, dass innerorts automatisch Tempo 30 gelten muss, es sei denn, die Stadt oder Gemeinde weist mit einem Extraschild ein Sondertempo aus.

„Gemeinden vor Ort kennen Situation am besten“

Diese Idee unterstützt auch die Gemeinde Sipplingen mit ihrem 12.000-Verstöße-Blitzer. Oliver Gortat, Bürgermeister, befürwortet die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung, insbesondere Tempo 30 innerorts.

Er wünsche sich, „dass Kommunen grundsätzlich mehr Entscheidungsfreiheit erhalten sollen, wo sie ein generelles Tempolimit von 30 km/h auf deren Gemarkung innerorts einführen dürfen und zwar unabhängig der Einstufung der Straße. Denn die Gemeinden vor Ort kennen die individuelle Situation am besten.“

Tempo 30 darf nur aufgrund des „Erholungsorts“ gelten. Wenige 100 Meter weiter steht das selbe Schild erneut. Die Deutsche ...
Tempo 30 darf nur aufgrund des „Erholungsorts“ gelten. Wenige 100 Meter weiter steht das selbe Schild erneut. Die Deutsche Umwelthilfe und der Sipplinger Bürgermeister bemängeln, dass Autofahrer so unnötig abgelenkt werden. | Bild: Jennifer Seidel

Auch er gibt zu, dass die derzeitige Regelungen für viele Verkehrsteilnehmer nicht mehr nachvollziehbar sind. Zu oft würden die Regeln wechseln, sodass „die derzeitige Lösung nicht zufriedenstellend“ sei.

Beispielsweise seien Autofahrer weniger aufmerksam, befürchtet Gortat, wenn das Tempolimit nur zu bestimmten Uhrzeiten gelte: „Man schaut auf den Tacho und bremst automatisch erst mal. Dann schaut man noch mal aufs Schild, auf die Uhrzeit und überlegt, ob einen das nun tangiert oder nicht.“ Das führe schneller zu Unfällen, der Verkehr gerate häufiger ins Stocken. Ein durchgehendes Tempo 30 ließe dagegen den Verkehr flüssiger laufen, ist sich Gortat sicher.

Länder und Kommunen sollen Spielraum erhalten

Doch so einfach ist die Umsetzung nicht. Das zuständige Bundesministerium für Digitales und Verkehr sagt zwar, dass Ländern und Kommunen bei Tempolimits mehr Spielräume eröffnet werden sollen. Jedoch sei das Ministerium nicht überzeugt von flächendeckendem Tempo 30 oder Geschwindigkeitsbeschränkungen in Durchgangsstraßen, so eine Sprecherin.

Gortat kann den Standpunkt des Ministeriums nicht nachvollziehen. Er sei zwar auch gegen eine generelle Tempo-30-Regelung, da es durchaus Bereiche gebe, wo Tempo 50 innerorts vollkommen legitim sei, aber für die dicht bebauten und stark frequentierten Ortschaften entlang des Bodensees wie im Kern von Sipplingen wünscht er sich mehr Handlungsmöglichkeiten.

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Doch bis es soweit ist, würden einzelne Anwohner mit freiwilligen Tempo-30-Schildern versuchen, die Autofahrer zu sensibilisieren, so Resch. Im Bodenseekreis sei das geduldet, im Landkreis Konstanz gehe der Landrat jedoch dagegen vor. Das zeige ein Beispiel von der Höri, wo Anwohner eigenmächtig ein Tempo-30-Schild aufgestellt haben.

Der Streit werde nun vor Gericht ausgetragen, so Resch. Die Deutsche Umwelthilfe unterstütze die Anwohner bei der Musterklage gegen den Landkreis. „Es ist schade, dass das Recht so oft durchgeklagt werden muss“, sagt Resch. „Ich wünsche mir, dass wir bei Tempo 30 mutiger werden.“ Nur so bekäme man die Verkehrswende am Bodensee hin.