Eine Hochlandkuh liegt leblos auf der Seite. In ihrem aufgerissenen Bauch ist der Kopf eines Kälbchens zu erkennen. Reinhold Götte dreht sein Handy zurück zu sich. Das auf den Fotos ist Sabine, sie wurde Mitte Februar von einem Wolf gerissen.
„Es waren grausame Wochen“, sagt Götte. Er sieht sich nicht vor allem als Landwirt, sondern als Gastronom. 2012 haben der 52-Jährige und seine Frau das Anwesen seiner Eltern in Blasiwald am Schluchsee geerbt; nach verschiedenen Überlegungen haben sie sich dazu entschlossen, dem Haus wieder seine ursprünglichen Funktion zu geben: eine Gastwirtschaft.
Die Tiere stehen seitdem unter großem Stress
Dazu irgendwann Tiny Houses als Übernachtungsgelegenheit und eine nachhaltige Landwirtschaft inklusive Themenweg über die Besonderheiten von Highland-Rindern. Die sollen ein gutes Leben haben auf dem etwa sieben bis acht Hektar großen Grundstück und irgendwann für das Restaurant auf der Weide geschossen werden. „Wir wissen aber noch nicht, ob wir das wirklich übers Herz bringen“, sagt Götte.
Er sitzt an einem Tisch im fast fertig eingerichteten Gasthof, auf einer Fensterbank steht ein Foto von Paula, der ältesten Kuh der kleinen Herde. Die besteht seit dem Riss nur noch aus vier Kühen und einem Kalb: Paula, Lina, Leni, Zehrina und Zwetschge. Auch Zwetschge hat wohl in Folge des Wolfsrisses ihr Kalb verloren, Zehrina ihres verstoßen. Die Tiere stehen seitdem unter großem Stress.

Als er endlich nach den Rindern gucken kann, ist es schon dunkel
An jenem 13. Februar ruft Reinhold Götte die Tiere, wie eigentlich immer hören sie auf ihn und kommen. Außer zwei. „Das war komisch“, erinnert sich Götte zwei Monate später. An dem Tag hat er Handwerker im Haus, er ist beschäftigt. Als er endlich nach den Rindern gucken kann, ist es schon dunkel. „Ich bin mit Stirnlampe los, habe die zwei aber nicht finden können.“
Am nächsten Morgen kalbt Zwetschge. Nach der Geburt rennt sie an den nahen Bach. Da liegt dann die tote Sabine.
„Die Herde ist seitdem total durcheinander“, sagt Götte. Die Tiere seien nicht mehr so zutraulich wie vorher, er müsse Vertrauen mühsam wieder aufbauen. „Ich kann erst langsam wieder probieren, sie zu streicheln. Vorher war das kein Problem.“
In Baden-Württemberg erstattet die Landesregierung die Kosten von gerissenem Vieh. „Diese Zahlungen sind für uns keine Option. Das sind Familienmitglieder“, sagt Reinhold Götte.
Welche Schutzmaßnahmen können Teilzeitlandwirte realisieren?
Seit dem Vorfall bekommen die Göttes auch Unterstützung von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA). Die hilft zum Beispiel, einen passenden Herdenschutzzaun zu errichten – der auch staatlich gefördert wird. Reinhold Götte ist dankbar für die Hilfe, die Zusammenarbeit mit der FVA klappe gut, sagt er.
Eine richtige Lösung ist das für ihn aber nicht. Er hält die Rinder nur im Nebenerwerb, hauptsächlich kümmert er sich um die Gastwirtschaft. Die Tiere sind im Grunde pflegeleicht. Ein Herdenschutzzaun eher nicht: Der funktioniert nämlich nur, wenn regelmäßig der Rasen gemäht wird, weil die Stromleitung sonst geerdet wird. Und er müsste auf Schäden kontrolliert werden. „Ich kann aber nicht jeden Tag sieben oder acht Hektar ablaufen, wenn im Restaurant die Hütte brennt“, sagt Götte.

Außerdem wird das Gelände doppelt genutzt – Weide im Sommer, Skilanglauftrainingsgelände im Winter. Der Zaun müsste also jährlich auf- und abgebaut werden. Für den Teilzeitlandwirt ist das nicht zu stemmen.
Hat der Wolf einen Lebensraum im Schwarzwald?
„Jedes Tier hat ein Recht zu leben“, findet Reinhold Götte. Er kann sich aber nicht vorstellen, dass der Wolf in so dicht besiedelten Gebieten wie dem Schwarzwald einen Lebensraum hat. „Wir schlafen seit dem Vorfall nur noch mit offenem Fenster“, sagt er. Er glaubt, dass vor allem Landwirte mit kleinen Betrieben im Schwarzwald aufhören würden, wenn sich der Wolf hier ansiedelte. Zu groß seien die psychische Last und der Schutzaufwand.
Götte steht am Zaun und füttert seine Rinder, sie kabbeln sich um die Brezeln und das Brot. Wenn er ruft: „Hört auf!“ hören sie gleich auf.
„Die Landschaft würde sich dadurch negativ verändern“, sagt Götte. Gerade die Artenvielfalt der Pflanzen profitiere sehr von den grasenden Highlandern. Auch der Tourismus würde leiden, glaubt er, gerade im Herbst, wenn viele Schweizer zum Pilze- und Beerensammeln kommen. „Der Wolf wird hier mehr kaputt machen, als dass er hilft.“
Reinhold Götte ist mit Tieren groß geworden. Sein Vater habe jeden Tag eine halbe Stunde sein Vieh im Stall gestreichelt, erzählt er. Das hat ihn geprägt. Für ihn steht fest: „Wir werden unsere Tiere nicht der ständigen Angst aussetzen. Das halten wir auch selbst psychisch gar nicht aus.“