Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 22.September 2021. Anlässlich des Todes von Benedikt XVI. veröffentlichen wir ihn erneut.
Der Papst in Südbaden? Das galt lange als undenkbar und fernab der kirchlichen Wirklichkeit. Zu unscheinbar erschien die Diözese zwischen Oberrhein und Bodensee. Zu jung war das Erzbistum, das gerade seinen 200. Geburtstag feiert. Das Konstanzer Konzil fand in Konstanz statt und das Nachfolgekonzil in Basel. An Freiburg und die robusten Weintrinker dort dachte niemand.
Bis Robert Zollitsch 2008 zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt wurde und es sich zum Ziel machte, den Pontifex nach Baden zu holen. Am 25. September 2011 war es soweit: Papst Benedikt XVI. traf an diesem sonnigen Samstag mit seiner Wagenkolonne vom Flughafen Lahr kommend auf dem Münsterplatz ein.
Die Kosten sprengten den Rahmen
Die Vorbereitungen dafür waren immens. Und sie waren in in ihrer Dimension kaum abschätzbar. München hatte allein für das Sicherheitspaket 10 Millionen Euro hingeblättert. „Wir wollten drunter bleiben“, erinnert sich Peter Birkhofer, der den Besuch für die Erzdiözese koordinierte. Später stellte sich heraus, dass Freiburg diesen Rahmen noch übertraf. „Die Kosten sind explodiert“, sagt der Domkapitular im Gespräch mit dem SÜDKURIER.

Ein Teil der Kosten konnte durch den Verkauf der Bänke eingefangen werden, die für die Gottesdienste im Münstertal und in Schonach gefertigt wurden. Die Papstbänke – massive Klötze – wurden später verkauft, natürlich mit Zertifikat, dass es sich um eine echte Papstbank handelt. Die Möbel stehen bis heute vor Kapellen und auf Plätzen.
Einzelne lehnten den Besuch ab
Prompt kam Kritik auf. Die katholische Kirche wurde aufgefordert, die Kosten alleine zu tragen. Vereinzelt meldeten sich Stimmen, die das Treffen boykottieren wollten. Der damalige Freiburger OB Dieter Salomon hielt dagegen: Es sei eine Frage des Respekts, das Kirchenoberhaupt anständig zu empfangen.
So turbulent wie im Bundestag ging es in Freiburg nicht zu. Vor der Bundestagsrede des Papstes hatten einige Abgeordnete dazu aufgefordert, den Auftritt von Benedikt XVI. im Parlament zu meiden. Auch Till Seiler (Konstanz) gehörte dazu. Der Gymnasiallehrer (Grüne) sagt im Rückblick: „In gesellschaftspolitischen Fragen hat Ratzinger stets konservative Standpunkte vertreten. Insofern bleibt von seinem Besuch aus meiner Sicht erfreulich wenig.“

Benedikt wollte Helmut Kohl unbedingt treffen
In Freiburg überwog trotz der Bedenkenträger die Begeisterung. Zur nächtlichen Vigilfeier auf dem Freiburger Flugplatz kamen etwa 100.000 vor allem junge Menschen. Die meisten übernachteten mit Sack und Pack auf dem Grünland, als Papst und Polizei längst in einer langen Staubwolke entschwunden war. Die Vigil entwickelte sich zum katholischen Woodstock mit Dutzenden an Leuchtfeuern. Peter Birkhofer erinnert sich: „Die Polizei hat danach bei mir angerufen und sich gefreut, dass so viele Menschen so friedlich feiern können.“
Ein Besucher freilich kam in den Genuss einer Einzelaudienz: Helmut Kohl traf in Freiburg auf Benedikt XVI. Der Papst hatte sich das Treffen ausdrücklich gewünscht. Er würdigte bei der Begegnung im Priesterseminar den Ex-Regierungschef als „Kanzler der Einheit“. Kohl, der zu diesem Zeitpunkt bereits im Rollstuhl saß, war sehr gerührt, berichten Teilnehmer.
Unvergesslich wird der Freiburg-Besuch auch für die Frau von Helmut Kohl gewesen sein. Maike Kohl-Richter hatte das Auto durch die Altstadt chauffiert und eine Freiburger Spezialität übersehen: Die Bächle, die schmalen und tückischen Wasserrinnen also, die einige Straßen durchziehen. Frau Kohl geriet mit den Rädern in einen der alten Gewerbekanäle. Ein Abschleppdienst benötigte 90 Minuten, um den schweren Daimler aus dem Bächle zu ziehen.

Kann man einen Papstbesuch berechnen?
Was bleibt sonst vom singulären Besuch eines Papstes in Baden? Kritiker sind schnell zur Hand und sagen: nichts bleibt. Meist waren die Kritiker nicht dabei – anders als die Tausende von Ministranten, Ordensschwestern, die Busse mit Gläubigen. Diese erzählen bis heute begeistert von 36 Stunden Papst.
Das Papst-Fenster hat sich einmal aufgetan – und viele Katholiken haben hineingeschaut. Ein deutscher Pontifex, ein ehrgeiziger Robert Zollitsch – und ein Privatsekretär, der seinem Chef gut badisch zugeredet hat: diese Kombination ist mindestens vorläufig einzigartig, die nächsten zehn Päpste dürften kaum aus Deutschland kommen.
Sein Sekretär setzte sich für Freiburg ein
Georg Gänswein hat den Besuch bis heute in bester Erinnerung. Er schreibt dem SÜDKURIER: „Besonders ist mir die Atmosphäre in Erinnerung geblieben: Abgesehen vom ‚Papstwetter‘ mit herrlichem Sonnenschein war es eine besondere Atmosphäre, die an den beiden Tagen in und um Freiburg herrschte. Man konnte die Freude über den Besuch geradezu physisch spüren. Nichts Aufgesetztes, nichts Künstliches, einfach Freude und Frohsinn pur.“
Freilich, der Privatsekretär gewährt auch Einblicke in seinen Arbeitsmodus. Er schreibt: „Die Tage waren für mich sehr anstrengend, aber das gilt für alle Tage während einer Papstvisite, egal wo.“
Was er auch schreibt: Als in der engsten Umgebung des Papstes die zahlreichen Besuchswünsche sondiert wurden, legte Gänswein ein starkes Wort für seine badische Heimat ein. Er hat in Freiburg studiert und war früher Bischofssekretär bei Oskar Saier. Das gute Zureden des Monsignore aus dem Schwarzwald half. Freiburg war damit gesetzt.
Diese Rede klingt bis heute nach – und stört
Und dann ist noch etwas: Die Rede, die der deutsche Papst im Freiburger Konzerthaus gehalten hat. Dort führte ihn die letzte Station des dichten – manche sagen auch: überfrachteten – Programms hin. Das Referat entpuppte sich textlich als echter Ratzinger: dicht, hintersinnig, diesmal auch kämpferisch. Von der Freiburger Rede bleibt mindestens ein Stichwort, das seitdem regelmäßig in der Diskussion auftaucht, wenn es um das Verhältnis von Kirche und Staat geht: die Entweltlichung.
Joseph Ratzinger spielte damit auch auf die enge Verflechtung beider Sphären an. Zum Beispiel, wenn die Kirchensteuer aus alter Gewohnheit vom Staat eingezogen und an die Kirchen weitergereicht wird. Warum geschieht das?, fragte der Papst damals kritisch. In den meisten Ländern gibt es keine Kirchensteuer, die Gemeinden sorgen selbst für ihre Finanzen – genießen damit aber größere Freiheiten.

Im Papamobil ohne Sicherheitsgurt
Die Freiburger Rede trieb die höflich zuhörenden deutschen Bischöfe auf das Hochseil der Interpretation. Sie lobten den Papst und dessen Worte. Gleichzeitig distanzierten sie sich, wenn auch vorsichtig. Denn das deutsche System, weltweit einzigartig, erweist sich für die Finanzen der 27 Bistümer sehr vorteilhaft.
Birkhofer hält die Rede auch zehn Jahre noch für äußerst aufregend. „Eine Glaubensgemeinschaft muss ein Stückweit auf Distanz gehen“, sagt er. Zu viel Nähe zu den staatlichen Institutionen sei schädlich. Als Benedikt XVI. kürzlich die deutschen Katholiken kritisierte wegen ihrer Bequemlichkeit, tauchte das Freiburger Schlüsselwort wieder auf: Entweltlichung.
Der Papst wurde angezeigt
Das päpstliche Referat konnte aber nicht verhindern, dass der Papst nach der Abreise selbst vom Weltlichen eingeholt wurde: Ein Freiburger hatte den Heiligen Vater angezeigt – wegen Fahrens im Papamobil ohne Sicherheitsgurt. Die Anzeige wurde nicht weiter verfolgt.