Matthias Helmke gibt es heute zu: Er hat sich blenden lassen. Blenden von der scheinbar perfekten Wohnung. Sankt-Gebahrt-Straße 3 am Seerhein, frisch renoviert, möbliert und dann auch noch günstig. 575 Euro Miete. Ein Spottpreis für Konstanzer Verhältnisse. Doch genau so lautete das Angebot auf dem Portal wg-gesucht.de.

„Ich habe mich so gefreut – da habe ich gar nicht nachgedacht“, ärgert sich der Mitarbeiter des SÜDKURIER. Eigentlich ist er doch quasi im Internet Zuhause. Euphorie schlägt den Verstand. Denn dass die Wohnung zu perfekt ist, um echt zu sein, vergräbt der junge Mann irgendwo im Hinterkopf.
Kein Wunder: schnell sein ist Regel Nummer eins bei der Suche im Internet. Wohnraum in Konstanz ist knapp. Dass sich Vermieter überhaupt zurückmelden, kommt selten vor. Helmke weiß das und setzt schnell eine kurze Mail auf.

Empfängerin: Marianne Z. Sie hat die Wohnung geerbt. Z. selbst lebt im Ausland. Genauer: in Irlands Hauptstadt Dublin – aus beruflichen Gründen versteht sich. Das alles behauptet sie zumindest in der Antwort an Matthias Helmke. Z. scannt sogar ihren Personalausweis ein und schickt ihn Helmke per Mail zu.
Wie sich später herausstellen wird, handelt es sich in diesem Fall wohl um Identitätsdiebstahl. Um eine mögliche echte Person auf dem Personalausweis zu schützen, die mit dem versuchten Betrug wahrscheinlich nichts zu tun hat, nennt der SÜDKURIER nicht den vollen Namen.

Wer selten in Konstanz ist, muss sich darauf verlassen, dass der Mieter zuverlässig ist, schreibt Z. an Interessent Helmke. Herkommen, kennenlernen und alles prüfen? Das ist in Zeiten der Corona-Krise fast unmöglich geworden. Deshalb will sie den Schlüssel per Post zuschicken.
Zur Sicherheit soll Helmke zwei Monatsmieten überweisen. Wenn er die Wohnung nicht will, bekomme er sein Geld zurück. Garantiert, schreibt Z. Die Geschichte klingt eigenwillig, merkwürdig, beinahe erfunden, aber doch auch irgendwie plausibel, denkt Helmke zumindest.
Oliver Buttler vom baden-württembergischen Verbraucherschutz sagt: „Allerspätestens wenn bei der Besichtigung niemand dabei ist und man zur Vorkasse gebeten wird, ist irgendetwas faul. Zahlen Sie niemals Geld im Voraus!“ Abzocke auf Wohnungsportalen ist nicht neu. Der Ich-bin-im-Ausland-und-kann-leider-nicht-hier-sein-Trick gehört zum Altbau unter den Fake-Wohnungen.
Matthias Helmke ahnt von nichts. Und lässt sich vorerst auf die Forderung von Marianne Z. ein. Er antwortet ausführlich, gibt sich Mühe sein Leben in geordnete Worte zu fassen. Helmke will beeindrucken. Helmke will die Wohnung.
Und trotzdem wird er ein komisches Gefühl nicht los. Da war doch was. Dieser Hinterkopf. Zahlen – das will er vorerst lieber nicht. „Als sie dann noch schreibt, dass ein Tiefgaragenstellplatz dabei ist und sie keinen Abschlag für die Möbel möchte, dachte ich: Das kann einfach nicht wahr sein“, sagt Helmke heute.
Bildersuche im Internet bringt Gewissheit
Der Mann mit Bart und freundlichem Gemüt spielt Detektiv, recherchiert im Internet. „Den Namen Marianne Z. habe ich nirgendwo gelesen. Da dachte ich zuerst: alles gut, keine negativen Einträge.“ Das flaue Gefühl im Magen bleibt.
Wohnungsbilder schon einmal verwendet – in Hamburg
Helmke gibt nicht auf. Er startet ein eine Bildersuche bei Google. Und dann ein Treffer. Endlich Gewissheit. Exakt die selben Fotos der Wohnung, die Marianne Z. verwendet, wurden schon einmal benutzt. Nicht am Seerhein, nicht in Konstanz, nicht einmal in Südbaden. Sondern 1000 Kilometer nördlich. In Hamburg.
Geklaute Bilder gehören zum ein mal eins beim Internetbetrug. Nachzuweisen, dass es sich um ein falsches Angebot handelt, sei aber trotzdem schwierig, meint Annegret Mülbaier, Pressesprecherin von WG-Gesucht.de.
Zwischen acht und 20 Fake-Wohnungen täglich
„Bei bis zu 8000 neuen Anzeigen jeden Tag sind rein rechnerisch mehrere unseriöse Angebote dabei. Zwischen acht und 20 unseriöse Anzeigen werden täglich von unserem Filter nicht erkannt und müssen über die Nutzer gemeldet werden“, schreibt sie auf Nachfrage.
Die Meldung landet dann im Beschwerdezentrum. Dort werden Anzeige gegebenenfalls gelöscht. Zusätzlich filtert das Team Qualitätssicherung die Anzeigen. Wird eine falsche Wohnung dort erkannt, bekommen Nutzer, die sich das Objekt bereits angesehen habe, eine Warnung in ihr Nachrichtenpostfach, beschreibt Mülbaier den internen Prozess. Matthias Helmke musste selbst eingreifen. Den Betrug merken, aufdecken, melden.
Die Kartei von Marianne Z. wurde gelöscht. „Mich hat aber schon gewundert, dass mich das Portal nicht drauf hingewiesen hat, das Ganze bei der Polizei zu melden. Warum?“, fragt sich Helmke.
Oliver Buttler vom Verbraucherschutz vermutet: „Die Portale wollen das nicht, weil der Image-Schaden zu groß wäre. Sie wollen die Probleme immer möglichst intern regeln. Damit nichts nach draußen geht. Typisch.“
WG-Gesucht wehrt sich gegen Kritik
WG-Gesucht sieht das ganz anders. „Da die Betrüger hauptsächlich in afrikanischen Ländern beheimatet und schwer zu fassen sind, ermittelt die Polizei in der Regel erst, wenn ein finanzieller Schaden entstanden ist. Daher hatten wir Ihrem Kollegen nicht geraten, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Meldet sich ein Nutzer, der Geld überwiesen hat, empfehlen wir eine Anzeige ausdrücklich“, sagt Pressesprecherin Annegret Mülbaier.
„Ich empfehle allen so etwas bei der Polizei anzuzeigen.“
Liegt es wirklich an der Polizei, oder schiebt das Portal die Verantwortung von sich? Ein Sprecher des Landesinnenministeriums versichert: „Nicht nur der Betrug selbst, sondern auch versuchter Betrug ist schon eine Straftat. Auch da wird selbstverständlich ermittelt. Ich empfehle allen, so etwas bei der Polizei anzuzeigen.“
Doch auf dem Schaden bleibt meist der Verbraucher sitzen, wenn er auf Betrüger hereinfällt. Ein Unding, findet Verbraucherschützer Oliver Buttler. Deshalb fordert er seit vielen Jahren, dass der Gesetzgeber die Internetportale stärker in die Pflicht nimmt.
Verbraucherschutz will, dass Plattformen im Internet haften
„Wir haben in Deutschland keine gesetzlich verankerte Plattformhaftung, obwohl wir die dringend bräuchten.“ Bis heute sind die Portale nicht dafür verantwortlich im Betrugsfall zu haften – obwohl der Betrug auf ihrem Portal abgewickelt wurde.
„Im stationären Handel, im kleinen Geschäft von nebenan, haftet auch der Betreiber des Ladens, wenn an dem verkauften Produkt etwas nicht in Ordnung ist. Warum sollte man da zwischen online und offline unterscheiden?“, fragt Buttler.