„Liegst du gerade oder stehst du?“, fragt der Mann am Telefon, der sich als Andreas vorstellt und behauptet, er habe eine Wohnung für Sabine Saez. Schon, als er wenige Minuten zuvor ihr Gewicht und ihre Größe wissen wollte, wurde die Konstanzerin stutzig.
„Aber als er fragte, ob ich liege, da dachte ich, mir fällt das Handy aus der Hand“, erinnert sich die 39 Jahre alte Frau und lacht ein wenig verzweifelt. Sabine Saez ist eigentlich ein fröhlicher Mensch, doch momentan fällt es ihr schwer, positiv zu bleiben.
Haus wird abgerissen, sie muss raus
Sie muss im Juni raus aus dem Haus in Wollmatingen, in dem sie mit ihren drei Kindern lebt. Es wird abgerissen, soll einem Neubau weichen. Seit beinahe acht Monaten sucht Sabine Saez nach einer Wohnung. „Ich habe auch eine eigene Suchanzeige aufgegeben.“ Statt konkreten Angeboten erhält sie schlüpfrige Nachrichten, explizite, anzügliche Bilder und seltsame Anrufe.
Andreas wollte Details über ihren Körper wissen
Etwa von dem Mann, der sich Andreas nannte, und so genau über ihren Körper Bescheid wissen wollte. „Gestern erst war das“, sagt Sabine Saez. Sie sitzt auf der grauen XL-Couch in ihrem Wohnzimmer, aus dem Fernseher schallt leise Musik. Der Tisch ist mit lila Kerzen dekoriert, auf der Anrichte gegenüber zwischen weißen Porzellanengeln die gerahmten Fotos ihrer drei Kinder: der Neunjährige Sohn und die zwei Töchter: 13 und 14 Jahre alt.
Sie scrollt durch ihr Smartphone und klickt auf die Nachrichten, die auf ihre Suchanzeige hin eingegangen sind. „Heiße Mama“, schreibt einer. Sabine Saez hat höflich geantwortet: „Das ist nett, aber ich suche eine Wohnung.“ Wenn derjenige ein Angebot habe, freue sie sich. Daraufhin kam nichts mehr zurück. Ein anderer Mann bietet tatsächlich eine Bleibe an. In einer Villa. Die Miete, kündigt er an, könne man individuell aushandeln.
„Was mir für Bilder zugeschickt werden ...“
Der Anruf auf Sabine Saez Handy ging um 22:50 Uhr ein. Über eine Stunde habe der Mann von seinem Wohlstand geschwärmt, wie viele Mitarbeiter er habe und dass er eigentlich gar nicht vermieten müsse. Über die Wohnung selbst verrät er wenig, dafür will er Details aus Saez' Leben wissen, berichtet sie. „Als ich nach der Adresse fragte, legte er einfach auf.“ Im Vergleich sei das noch eines der weniger schlimmen Erlebnisse gewesen. „Was mir für Bilder zugeschickt werden ...“, sagt sie.
Die Situation, nicht zu wissen, wo sie ab Juni mit ihren drei Kindern leben soll, belastet sie schwer. Die Anzüglichkeiten treffen sie persönlich. Warum mache jemand so etwas, was soll das?
Sie versucht, mit dem Problem alleine fertig zu werden
Da öffnet sich die Haustüre. Es ist die älteste Tochter, eingepackt in eine dicke Jacke. Sabine Saez umarmt sie. „Ich bin so stolz auf die beiden Mädchen, sie sind schon so erwachsen.“ Während die 14-Jährige sich aufmacht, Prospekte auszutragen – ihr Nebenjob – verrät Saez, wie die kleine Familie vor knapp sechs Jahren in das Haus in Wollmatingen einzog.
Vermieterin war eine nette ältere Dame
Die Trennung vom Mann noch relativ frisch, waren sie froh, so viel Platz zu haben, für einen günstigen Preis. Die Vermieterin, eine nette ältere Dame, lebte mit ihnen und einer Kindergärtnerin in dem zweistöckigen Haus. „Vor zwei Jahren starb sie leider, die Erbin will das Haus nun abreißen lassen und hier neu bauen“, erzählt Saez. Sie weiß seit Juli 2019 Bescheid. Als sie mit der Suche anfing, war sie guter Dinge.
„Ich habe mich überall angemeldet, ich stehe auf der Warteliste der Wobak, auf der des Wohnungsbauunternehmens in Radolfzell, ich habe viele Makler kontaktiert“, zählt sie auf. Jedesmal, wenn bei den bekannten Online-Immobilien-Portalen ein neues Angebot aufploppt, wird sie per Email benachrichtigt. „Allein diese Woche habe ich rund 20 kontaktiert.“ Antworten: eine einzige, eine Absage.
Wollen Vermieter keine Kinder?
Sie wurde bisher nur selten überhaupt zu Besichtigungen eingeladen. „Ich glaube, dass viele Vermieter keine Alleinerziehende mit drei Kindern wollen“, vermutet die 39 Jahre alte Konstanzerin. Einige hätten ihr dies deutlich gesagt. In einer Absage hieß es, ohne Partner könne man sie nicht zur Besichtigung einladen. In einer anderen, die Wohnung sei für drei Kinder angeblich zu klein.
Was macht Saez, wenn sie keine Wohnung findet? „Ich weiß es doch auch nicht.“ Ihr kommen die Tränen. „Dann gäbe es wohl eine Räumungsklage, der Fall würde vermutlich vor Gericht gehen, doch das möchte ich nicht.“ Sie blickt sich um, die Uhr an der Wand tickt leise, es ist gemütlich eingerichtet, Puzzles an der Wand, Fotos. „Seit all dem fühle ich mich hier gar nicht mehr zu Hause“, sagt sie leise.
Sie wischt die Tränen weg, setzt ein Lächeln auf – für ihre Tochter
Ihre jüngste Tochter kommt. Sabine Saez wischt die Tränen weg, setzt schnell ein Lächeln auf. „Schatz, magst du nach oben gehen, ich unterhalte mich gerade“, sagt sie. Als das Mädchen weg ist, fährt sie fort: „Für meine Kinder will ich stark sein.“ Eine Wohnung, drei Zimmer, in Konstanz, bis 1100 Euro warm, das kann doch nicht so schwer sein, oder?
