Auch nach mehr als 36 Stunden seit der Alarmierung ist die Polizei am Mittwoch noch nicht abgezogen. Der bisher wohl größte Polizeieinsatz in Unterkirnach bei Villingen-Schwenningen dauert an. Vor dem Haus im Panaromaweg stehen Polizeibeamte, ein Fenster im Obergeschoss des etwas verwilderten Gebäudes ist durchbrochen, eine Leiter lehnt an der Wand, die Straße ist gesperrt.

Polizisten tragen im strömenden Regen Kartons voller Beweismittel hinaus, darunter eine Tüte voller Patronenhülsen. Und die Anwohner, die hier gleich zum Einkaufen fahren wollen oder mit dem Hund Gassi gehen, rätseln, wie es dazu kommen konnte. Denn der Mann sei höflich gewesen, er lebte aber zuletzt sehr zurückgezogen. In den Vereinen Unterkirnachs war er nicht aktiv.

Im Haus lebte Tilmann K., er drohte am Vortag noch, es anzuzünden. Er soll schon Benzin verschüttet haben. Erst am Abend konnte er überzeugt werden, aufzugeben. Die Staatsanwaltschaft Konstanz beantragte am Mittwoch Haftbefehl wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall, Bedrohung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten und Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz. Ein Haftrichter des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen hat den Haftbefehl erlassen, K. sitzt nun in einer Justizvollzugsanstalt.

Keine Hinweise auf Reichsbürger-Szene

Schnell kam der Verdacht auf, K. könnte der Reichsbürger-Szene nahestehen. Dazu erklärte das Polizeipräsidium noch am Dienstag, darauf keine Hinweise zu haben. Auch nach ersten SÜDKURIER-Recherchen deutet nichts darauf hin. K. soll zwar ein ehemaliger Zeitsoldat gewesen sein, etwas schrullig, aber kein Radikaler, der die Bundesrepublik ablehnt. So schildern ihn mehrere Menschen aus seinem Umfeld, mit denen der SÜDKURIER sprechen konnte. Einiges deutet auf eine Verzweiflungstat hin.

Hauptberuflich ist Tilmann K. aber EDV-Spezialist und Experte für Datenschutz. Nach Angaben eines Profils auf LinkedIn ist er seit mehr als 30 Jahren selbstständig. Bilder von ihm findet man aber weder in Sozialen Netzwerken noch in Messengerdiensten. Er war bis Dienstagmorgen auch nicht polizeibekannt. Er war Mitglied eines Schützenvereins in einer anderen Gemeinde, besaß mehrere Lang- und Kurzwaffen und hatte eine Sprengstofferlaubnis. Deswegen soll er daheim auch Schwarzpulver gehabt haben, um sich eigene Munition fertigen zu können.

Das könnte Sie auch interessieren

Anwohner in Unterkirnach berichten, dass sich K. in den vergangenen Jahren immer mehr zurückgezogen haben soll. Namentlich genannt werden wollen die Anwohner lieber nicht, im Dorf kenne man sich zu gut. Eine Frau, die nur einen Steinwurf von K. entfernt wohnt, berichtet, dass er ein Eigenbrötler gewesen sei, das Haus im Ort als Schandfleck bekannt. Kleinbusse seien im Garten gestanden, schon von Pflanzen eingewachsen. Das habe vielen in Unterkirnach missfallen. Aber Reichsbürger? „Das glaube ich nicht. Er war nicht politisch, eher ein Querulant“, berichtet einer, der noch den Vater von K. kannte.

Selbst gepanzerte Polizeifahrzeuge waren am Dienstag im Einsatz.
Selbst gepanzerte Polizeifahrzeuge waren am Dienstag im Einsatz. | Bild: Sprich, Roland

K. hing sehr am Haus

Warum eskalierte die Situation? Vermutlich weil K. an dem Haus sehr hing, erklärt eine Frau, die ihn seit 20 Jahren kennt. Sie sei befreundet mit ihm, er habe sie beruflich und privat bei allem unterstützt, wofür man einen Computer braucht. Das Haus habe sein Vater gebaut, ganz fertig war es wohl nie. Das Haus sei lange nicht richtig verputzt gewesen. Hier soll K. auch seinen Vater gepflegt haben. Nach dessen Tod habe sich K. hier zurückgezogen, noch mehr Bindungen nach außen abgebaut.

Er sei nicht gut mit Rechnungen gewesen, sagt die Freundin. Auch Termine habe er nie wirklich eingehalten. Wahrscheinlich sei es auch deswegen zur Zwangsversteigerung gekommen. „Ihm ist alles über den Kopf gewachsen.“ Sie sei froh, dass der Polizeieinsatz so friedlich und unblutig ausgegangen sei, sagt die Freundin – das sei völlig richtig so gewesen. Sie hätte es K. zugetraut, dass er sein Vorhaben auch durchgezogen hätte. Konservativ sei K. wohl gewesen, aber kein Radikaler.

Befremdliche Aussagen

Ein anderer Mann, der mit ihm beruflich zu tun hatte, stimmt dem zu: K. sei sehr pingelig gewesen, und habe sich immer recht wichtig genommen. Es habe Situationen gegeben, da seien ihm befremdliche Aussagen von K. aufgefallen. So habe K. sich über die Zustände in Deutschland beschwert und die Ampel-Regierung angeprangert, das mache ihn aber noch nicht zum Reichsbürger. Es wundere ihn aber nicht, dass es in Unterkirnach so abgelaufen ist.