Die Nachricht hatte im Oktober 2018 für Aufruhr gesorgt: Eine damals 18-Jährige war von mindestens acht Männern vergewaltigt und missbraucht worden. Unmittelbar neben dem Eingang eines Technoclubs im Freiburger Industriegebiet. Das Hans-Bunte-Areal wurde zum Sinnbild für rohe Gewalt gegen Frauen.
Heute stehen elf Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die meisten von ihnen Flüchtlinge, vor Gericht, wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und der unterlassenen Hilfeleistung.
In diesem Frühjahr geriet der Prozess mit der Coronakrise gehörig ins Stocken. Im März fanden lediglich sogenannte Kurztermine statt, bis die Landesregierung eine längere Unterbrechung von Gerichtsverfahren unter dem Infektionsschutz bewilligte. Im April fielen weitere Termine wegen einer Corona-Erkrankung innerhalb der Familie eines Verfahrensbeteiligten und der damit verbundenen häuslichen Quarantäne aus.
Für die Angeklagten wohl eine doppelt bittere Pille: Der Untersuchungshaft, die für sie schon seit Oktober 2018 andauert, wurde mit den Besuchsverboten in Gefängnissen als Infektionsschutzmaßnahme nicht einfacher. Im Mai wurde die Verhandlung in ein externes Gebäude verlegt, weil der Sitzungssaal im Landgericht bereits ohne Coronavorschriften ob der Vielzahl der Verfahrensbeteiligten sehr beengt geworden war.

35 Verhandlungstage und noch kein Ende in Sicht
Nach Corona-bedingter Unterbrechung nimmt der Prozess nun wieder Fahrt auf – in Richtung Schlussphase. Doch wie dieser Mammutprozess ausgehen wird, ist noch vollkommen offen. Der Prozess, der inzwischen mehr als 35 Verhandlungstage zählt, ist geprägt von Zeugen, die nichts gehört haben wollen, sich schlecht erinnern oder gar unter Alkoholeinfluss zu stehen scheinen, als sie vor Gericht erscheinen.
Türsteher, Partygäste, Freunde und Bekannte der Angeklagten sowie des Opfers, Polizeibeamte und Sachverständige sagen aus. Es geht um verschwundene Videos aus der Tatnacht, die Wirkung von Ecstasy und Alkohol und nicht zuletzt die Unterstellung seitens einiger Verteidiger, die junge Frau könnte das alles gewollt haben. Sex mit mindestens acht Männern.
Rekonstruktion der Tatnacht
Inzwischen ist die Tatnacht vorwärts und rückwärts analysiert und in unterschiedlichsten Versionen rekonstruiert. Das mutmaßliche Opfer, Franziska W., sagt aus, sie habe zum ersten Mal Ecstasy genommen, gemeinsam mit ihrer Freundin Corinna S. Zuvor hatten die beiden gemeinsam etwas getrunken. Auf der Party im Club wird ihnen ein Drink angeboten von Majd H., dem späteren Hauptangeklagten. Während ihre Freundin ablehnt, nimmt Franziska W. den Drink an. Kurze Zeit später verlässt sie den Club mit Majd H., der ihr ihre Tattoos zeigen will. Im Gebüsch zeigt er ihr eine Tätowierung am Oberschenkel. Bis hierhin decken sich die Versionen.
Doch als die junge Frau wieder zum Club zurückkehren will, soll sie der junge Mann herumgerissen haben, sie schließlich im Gebüsch vergewaltigt haben. Franziska W. kann sich nach eigenen Angaben nicht wehren, fühlt sich benommen, verliert die Kontrolle über ihren Körper. Später soll er Freunde und Bekannte informiert haben, dass da „eine im Gebüsch liege, die gefickt werden will.“ Majd H. bestreitet das, sagt, die damals 18-Jährige habe Sex mit ihm gewollt. Später wird man Spuren eines Betäubungsmittels in ihrem Blut finden, der Sachverständige vermutet sogenannte K.O.-Tropfen, die Opfer wehrlos machen und Erinnerungslücken hervorrufen. Solche, wie sie die junge Frau später vor Gericht beschreiben wird.
Widersprüchliche Versionen
Einige der Angeklagten haben über ihre Verteidiger ausgesagt und behauptet, die junge Frau hätte Sex gewollt, ja explizit danach verlangt. Andere sagen, sie hätten keinen Sex mit ihr gehabt. Die übrigen sagen einfach gar nichts, grinsen sich gegenseitig im Verhandlungssaal an, tuscheln immer wieder miteinander, feixen, als ginge es hier um nichts weiter als einen Schulstreich. Drei der Angeklagten sind auf freiem Fuß, weil sie nicht mehr als dringend tatverdächtig gelten, was den Vorwurf der Vergewaltigung betrifft.
Das Labor des LKA in Stuttgart wertet über Monate Spuren des Falls aus, einige Mischspuren sind bis heute nicht entschlüsselt, die Polizei fahndet immer noch nach einem weiteren Tatverdächtigen. Viele Fragen bleiben offen, dennoch scheint sich der Prozess nach gut einem Jahr dem Ende zuzuneigen.
Neue Aussage des mutmaßlichen Opfers erwartet
Überraschend soll zuvor aber noch einmal das mutmaßliche Opfer aussagen. Wie bei ihrer ersten Aussage wird sie per Videoübertragung zugeschaltet, aller Voraussicht nach unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es geht für die Prozessbeteiligten darum, zu erfahren, wie es der jungen Frau heute geht. Zuletzt war bekannt, dass sie ihre Ausbildung unterbrechen musste, um sich in psychologische Behandlung zu geben. Sie litt an Schlafstörungen und mied größere Gruppen von Menschen.
Gerade haben die Sachverständigen ihre Gutachten abgegeben – größtenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil die Inhalte den persönlichen Lebensbereich des Opfers beziehungsweise der Angeklagten betrafen. An diesem Tag hat die Jugendgerichtshilfe ihre Beurteilungen zu den fünf Heranwachsenden unter den Angeklagten abgegeben.
Urteil möglicherweise Ende Juli
Damit könnte nach der zweiten Aussage der jungen Frau mit den Plädoyers begonnen werden. Die Staatsanwaltschaft hatte dem SÜDKURIER gesagt, dass sie allein für ihres voraussichtlich mindestens einen ganzen Prozesstag brauchen werde: Für jeden der elf Angeklagten müssen die beiden Staatsanwälte einzeln ein Strafmaß fordern. Im Anschluss muss jeder der elf Verteidiger ein Plädoyer zugunsten seines Mandanten halten. Es ist also absehbar, dass der Prozess noch viele weitere Prozesstage brauchen wird. Zuletzt rechnete das Landgericht mit einem Urteil bis Ende Juli.