„Man wird nie einem syrischen Flüchtling glauben, immer dem deutschen Mädchen.“ Es ist die Erklärung von Alaa A., jenem jungen Mann, der im Freiburger Prozess um eine Gruppenvergewaltigung dem mutmaßlichen Opfer Franziska W. Ecstasy verkauft und sich später an der damals 18-Jährigen vergangen haben soll. Mit dieser Aussage vor dem Haftrichter wollte Alaa A. sich herausreden – denn zuvor hatte er behauptet, mit dem Opfer gar kein Kontakt gehabt zu haben. Doch DNA-Spuren belasten ihn. Schließlich behauptet er, die junge Frau habe Sex gewollt und aktiv verlangt: „Sie wollte Sex, ich habe nichts Verbotenes getan“, sagt er ihr.
Langwierige Verhandlung
Der Prozess, der im Juni dieses Jahres begann, steht kurz vor der Winterpause. Weit über 20 Verhandlungstage haben bereits stattgefunden, im Januar werden wohl mindestens zehn weitere folgen. Die Suche nach der Wahrheit gestaltet sich schwierig. Die jungen Männer schweigen zu den Vorwürfen oder behaupten wie Alaa A., die junge Frau habe gewollt, was geschehen ist.

Rückblick: Im Oktober 2018 besucht Franziska W. mit ihrer Freundin das Hans-Bunte-Areal im Freiburger Industriegebiet. Sie haben vorher ein wenig getrunken, kaufen in dem Technoclub Ecstasy. Für die 18-Jährige ist es das erste Mal. Sie lernt Majd H. kennen, den Hauptangeklagten im Prozess. Der 21-Jährige lädt sie zu einem Drink ein. Später werden Spuren eines Betäubungsmittels, möglicherweise K.O.-Tropfen in ihrem Blut gefunden.
Majd H. will ihr ein Tattoo zeigen am Oberschenkel. Sie soll mit nach draußen kommen, damit er nicht vor allen Leuten seine Hose öffnen muss. Im Gebüsch wenige Meter vom Eingang entfernt soll es dann zur Vergewaltigung gekommen sein. Majd H. soll seine Freunde informiert haben, nach und nach, teils gleichzeitig, sollen sie sich an der jungen Frau vergangen haben.
Kaum Erinnerungen
Das mutmaßliche Opfer kann sich nur teilweise an die Nacht erinnern, wohl aber an ihren ersten Peiniger. Sie weiß, dass es noch andere Männer gab. Sie wurden später über die DNA-Spuren identifiziert. Was passiert ist, hat sie nicht gewollt. Doch die jungen Männer, die auf der Anklagebank sitzen, behaupten das Gegenteil. Sie habe nach Sex verlangt, nach weiteren Männern. An diesem Tag sagt einer der Haftrichter aus. „Ich habe in meiner ganzen beruflichen Erfahrung noch nie erlebt, dass ein Mädchen halb nackt im Gebüsch liegt und nach Sex schreit.“
Auch deshalb kamen zunächst alle elf der Angeklagten in Untersuchungshaft, inzwischen sind aufgrund zweifelhafter Zeugenaussagen drei der Angeklagten wieder auf freiem Fuß, müssen sich aber noch wegen des Vorwurfs unterlassener Hilfeleistung verantworten. Der Haftrichter betont, dass es in dem Moment, in der die Männer das Mädchen vorfanden, „nicht um Hilfeleistung ging, sondern nur noch um Sex.“ Er versetzt sich in die Situation, als er sagt: „Ich muss davon ausgehen, dass dem Mädchen geholfen werden muss, damit sie aus ihrer offensichtlich bestehenden Ausnahmesituation herauskommt.“
Doch auch der Hauptangeklagte Majd H. behauptet, der Sex sei einvernehmlich gewesen. Ebenso wie Kosay A. Er will sich sogar zehn Minuten mit der 18-Jährigen unterhalten haben, bevor er Sex mit ihr hatte. Dabei hatte die junge Frau ausgesagt, dass sie sich unter der Wirkung der Drogen irgendwann nicht mehr artikulieren konnte, aber durch Laute und mit ihren Händen versucht habe, sich zu wehren. Die Versionen in diesem Gerichtssaal werden mit fortschreitender Verhandlung immer vielfältiger – und immer widersprüchlicher.
Indizien, aber keine klaren Belege
Die forensischen Spuren sind in diesem Prozess deshalb ein wichtiges Indiz. Eine Gutachterin erklärt erste Spuren an einem der Angeklagten, Mustafa I. Es gibt Hautabschürfungen am Rücken. Er behauptet, er habe sie sich beim Aufstehen zugezogen, er sei in seinem Zimmer gegen eine Kante gestoßen.
Die kleinen Wunden an den Händen seien durch ein heißes Backblech entstanden. Die Gutachterin kann seine Aussagen nicht widerlegen. Allerdings hat er auch Wunden am Hals, die er nicht erklären konnte.
Eine weitere Gutachterin sagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus, der Anwalt von Muhamad M. hat ihn beantragt – es gehe um den Intimbereich seines Mandanten. Dabei ist Muhamad M. einer jener Angeklagten, die auf freiem Fuß sind, weil für eine Untersuchungshaft ein dringender Tatverdacht bestehen muss.
Doch auch er hat Kratzspuren. Darf man seiner Aussage Glauben schenken, hat er dem mutmaßlichen Opfer aber nur helfen wollen, aus dem Gebüsch zu kommen, sich aber nicht an ihr vergangen.
Die Puzzleteile in diesem Fall scheinen nicht zusammenzupassen, sie fügen sich zu keinem stimmigen Bild zusammen. Beobachter fürchten schon, dass der Prozess mit einer Überraschung enden könnte. Und am Ende alle freikommen.