Homeoffice und ein erster Lockdown: Corona hat dafür gesorgt, dass 2020 die Straßen weitgehend frei waren. Eigentlich also ideale Bedingungen für Raser, die auf die Tube drücken wollen. Parallel hätten sich die Gemeinden über steigende Einnahmen freuen dürfen, denn die Bußgelder für Verkehrsvergehen wurden Ende April angehoben. Die Realität sah anders aus: Deutlich weniger Knöllchen gab es in der Region für zu schnelles Fahren.
Hier finden Sie den großen Vergleich: Was kosten Tempo-Verstöße in Deutschland und der Schweiz?
Wie oft blitzte es 2020 in der Grenzregion?
Ob aus Konstanz oder Singen, aus Waldshut-Tiengen oder Bad Säckingen, ob von Landratsämtern oder Gemeinden: Sämtliche Ordnungsbehörden aus der Grenzregion zur Schweiz bestätigen diesen Trend. Bis zu 20 Prozent seltener blitzte es. Allein für die grenznahen Abschnitte der A 81 ging die verhängte Bußgeld-Summe im Vergleich zu 2019 um mehr als eine Dreiviertel Million Euro zurück.
Auch den einzelnen Gemeinden in der Grenzregion fehlten Einnahmen. Allein in Konstanz waren es laut dem Sprecher der Stadt, Walter Rügert, wegen Tempo-Verstößen rund 100.000 Euro weniger.
Die Mär von den Rasern aus der Schweiz
Gerade dort, zwischen Bodensee und Hochrhein, wird zuweilen geraunt: „Logisch gab es weniger Geschwindigkeitsverstöße, sind ja wegen der Grenzkontrollen kaum Schweizer Raser hier.“ Die bekannten Hotspots: die A 81 Richtung Stuttgart, B 34 vor allem im östlichen Waldshuter Kreisgebiet oder die besonders bei Motorradfahrern beliebten Strecken in den höheren Lagen Richtung Südschwarzwald. Auch innerorts – etwa in den Innenstädten von Konstanz oder Singen – wird gerne mal zu schnell gefahren.
Und immer sollen das „die Schweizer“ sein? Das hieße: Es müssten nicht nur insgesamt seltener geblitzt haben – schließlich blieben während der Lockdowns auch Autos mit deutschen Kennzeichen vielfach stehen. Sondern die Zahlen müssen durch die Grenzschließung drastisch und überdurchschnittlich in den Keller gerauscht sein.
Behördensprecherin: Herkunft der Fahrzeughalter „für staatliche Aufgaben nicht relevant“
Mit einer simplen Statistik belegen lässt sich das nicht, denn das Herkunftsland der Halter wird von deutschen Behörden nicht erfasst, wie diese unisono mitteilen. Es sei „für die Wahrnehmung unserer staatlichen Aufgabe nicht relevant“, begründet stellvertretend Marlene Pellhammer, Sprecherin des Landratsamts Konstanz.
Gleichzeitig scheint es auch an der Technik zu hapern. Ersichtlich ist der Heimatort des Verkehrssünders natürlich schon, schließlich muss ihm ein Strafzettel zugestellt werden. Nur liefert die genutzt Software keine entsprechenden Filter, aus Abertausenden Verfahren müsste „mit enormem Zeit- und Personalaufwand diese Statistik händisch ausgelesen werden“, erklärt Tobias Herrmann, Pressesprecher des Landratsamts Waldshut.
Richter: Kaum Fälle mit Rasern aus der Schweiz
Anhaltspunkte geben die Einschätzungen der jeweiligen Behörden. Und hier kommt man je nach Ort zu unterschiedlichen Bewertungen. Richter Johannes Daun bezeichnet es als „Klischee“, dass Schweizer überdurchschnittlich viel rasen.
„Dieser Eindruck lässt sich nicht belegen“, sagt der Leiter des Singener Amtsgerichts. Tatsächlich seien sie „die ganz große Ausnahme“ gewesen unter den circa 120 Fällen die in seinem Zuständigkeitsbereich im Vorjahr verhandelt wurden.
Allerdings kann Daun nur über diesen kleinen Ausschnitt mehrerer Zehntausend zugestellter Bußgeldbescheide aus Singen sprechen, die nach einem Einspruch vor Gericht landen. „Die meisten lassen es wegen einer Ordnungswidrigkeit nicht auf einen Prozess ankommen“, gibt der Amtsgerichtsleiter zu bedenken.
Wo sich die Grenzschließung auf Tempoverstöße auswirkte – und wo nicht
Aus der Stadt Singen und dem Landkreis Konstanz wird sein Eindruck aber bestätigt. Deren Sprecher gehen davon aus, dass die rückläufigen Zahlen nicht nur der eingeschränkten Einreise aus der Schweiz geschuldet sind. Wenngleich Marlene Pellhammer vom Landratsamt erklärt: „Es gab im Jahr 2020 und zu Beginn des Jahres 2021 sicherlich Messstellen, welche in der Nähe oder direkt an Grenzübergängen lagen und die durch Grenzschließungen kaum Messungen lieferten.“
Für Christina Scholz vom Bad Säckinger Ordnungsamt ist dagegen klar: „Es hatten selbstverständlich auch die Einreisen aus der Schweiz Einfluss darauf“, dass 16 Prozent weniger Strafzettel an Temposünder verteilt worden und der 17.000-Einwohner-Stadt etwa 5000 Euro weniger zugegangen seien.
Auch in der Stadt Lörrach lässt sich der reduzierte Verkehr mit an den Grenzschließungen festmachen, erklärt Pressesprecherin Monique Amend und begründet: „Viele der Grenzgänger sind oder waren im Homeoffice.“

A 81 in der Region: Dreiviertel Million Euro geringere Bußgelder für Temposünder
Für Autobahnen in Baden-Württemberg ahndet das Regierungspräsidium Karlsruhe Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten. Dort, wo die A 81 die Landkreise Konstanz, Lörrach und Waldshut durchquert, hat die Zentrale Bußgeldstelle laut ihrem Leiter Karl-Heinz Klenk 2020 mehr als 10.000 Geschwindigkeitsverstöße weniger registriert als 2019, ein Rückgang um 15 Prozent. Die verhängten Bußgelder reduzierte sich sogar um ein Drittel, rund 758.000 Euro.
Auch hier bleibt der Behördenleiter vorsichtig, inwieweit das auf die zeitweise Grenzschließung zurückzuführen ist. Es habe in der Corona-Pandemie generell weniger Autobahnverkehr in den Grenz-Landkreisen gegeben, sagt Karl-Heinz Klenk, was jedoch „sicherlich auch auf die verminderten Einreisen aus der Schweiz und Ausreisen in die Schweiz zurückzuführen ist“.
Wie sieht die Situation jenseits der Grenze aus?

Anders als in Deutschland erhebt die Schweiz eine Herkunftsstatistik zu Verkehrssündern, wenigstens im Bereich der von der Kantonspolizei erfassten Ordnungsbußgelder bis 260 Franken (rund 230 Euro). Darunter fallen Geschwindigkeitsübertretungen bis 15 km/h innerorts, 20 km/h außerorts und 25 km/h auf der Autobahn. Alles darüber hat eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und dann gegebenenfalls eine Strafanzeige zur Folge.
Statistisch belegt: 2020 weniger deutsche Raser in der Schweiz
2019 ging laut Thurgauer Kantonspolizei von insgesamt 125.000 ausgestellten Ordnungsbußen jede neunte nach Deutschland. In den Kantonen Basel-Stadt und -Landschaft sind die Werte ähnlich und lagen im selben Jahr bei zwölf beziehungsweise 14 Prozent, berichten die dortigen Behörden. In allen drei Kantonen ging der Deutschen-Anteil 2020 herunter, am auffälligsten Thurgau, wo er sich 2020 auf 6,5 Prozent nahezu halbierte.
Der Sprecher der Polizei Basel-Landschaft, Adrian Gaugler, sagt außerdem: „In Bezug auf die Corona Pandemie ist gegenüber dem Jahr 2019 sicherlich der eingeschränkte Reiseverkehr spürbar.“ Anders, weniger diplomatisch ausgedrückt: Durch die Grenzschließung rasten weniger Autofahrer aus Deutschland in der Schweiz.