Immer wieder sorgen Raser auf Schweizer Straßen für Schlagzeilen. Sie werden von den Gerichten teils mit einer langen Haft bestraft. So wie sie:

Fall eins: Mit 249 Stundenkilometern über die Schweizer Autobahn bei Frauenfeld gebrettert. Das Gericht verurteilt den Rekord-Raser zu einer 20-monatigen Bewährungsstrafe.

Fall zwei: 193 Kilometer pro Stunde bei erlaubten 80 rast ein Mann bei Leibstadt der in Schweiz. Er kommt mit einer Bewährungsstrafe von 22 Monaten davon.

Fall drei: Sechs Monate Gefängnis und zehn Monate auf Bewährung. Dafür musste ein 27-Jähriger in der Schweiz außerorts mit 153 Stundenkilometern geblitzt werden. In allen drei Rechtssachen wurden die Rennwagen und Führerscheine eingezogen.

Ist Deutschland zu milde?

In der Schweiz ist das nichts Außergewöhnliches. Die Eidgenossen sind schließlich bekannt für ihre drakonischen Strafen. Gerade beim Rasen kennen unsere Nachbarn kein Pardon. In Deutschland geht die Justiz mit Bleifüßen viel zu milde ins Gericht – so zumindest der Eindruck.

Björn Bilidt, Verkehrsrechtler aus Radolfzell, ist anderer Meinung. Er glaubt: In allen drei Fällen hätten die Täter auch in Deutschland zu Haftstrafen verurteilt werden können.

Bild 1: Strengere Strafen in der Schweiz als in Deutschland?
Bild: Bilidt und Partner Rechtsanwält

Denn Fakt ist: Alle drei Raser sind einschlägig vorbestraft. Sie fuhren also nicht zum ersten mal deutlich zu schnell. Nur Ersttäter kommen in der Regel – egal ob in der Schweiz oder in Deutschland – mit einer niedrigeren Strafe davon. „Auch wenn ich die Ermittlungsakten nicht kenne, glaube ich, dass die Strafen ähnlich hoch gewesen wären. Zwischen einem halben und einem ganzen Jahr wären realistisch – zuzüglich Geldbuße, Führerscheinentzug und der Beschlagnahmung des Autos“, so Bilidt.

Gerade bei hochmotorisierten Rennmaschinen seien Staatsanwaltschaften in der Region „nicht gerade zimperlich“, sagt der Anwalt. Sollte ein Gericht einen Raser schuldig sprechen, werden die Boliden anschließend bei Versteigerungen verkauft und das Geld einbehalten.

Geleaste Autos als Problem

Doch Bilidt weiß: Die meisten Raser besitzen ihren Wagen gar nicht. Viele leasen die Fahrzeuge, weil sie sich die Autos entweder nicht leisten können oder genau wissen, dass sie auf den Kosten sitzenbleiben, wenn ihr Eigentum versteigert wird. Geleaste Boliden werden immer an das Autohaus zurückgegeben. Fahrzeuge dürfen nur verkauft werden, wenn der Besitzer selbst zu schnell fuhr.

Den Führerschein zurückbekommen kann in Deutschland schwieriger zu sein

Beim Thema Führerscheinentzug sieht Björn Bilidt die deutsche Rechtsprechung im Vorteil. Denn um irgendwann wieder legal Autofahren zu dürfen, müssen Deutsche eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU), also den sogenannten Idiotentest, absolvieren. In der Schweiz reicht ein psychologisches Gutachten. „Ich kenne viele Fälle, wo das in der Schweiz ganz einfach war. Da haben wir hier größere Hürden“, sagt Bilidt.

Doch auch in Deutschland gibt es ein Schlupfloch: Viele Autofahrer umgehen die MPU indem sie sich in Osteuropa für eine Führerscheinprüfung einschreiben. Erst wenn sie hierzulande wieder auffällig werden, sei auch dieser Führerschein in Gefahr. Einziehen kann die deutsche Polizei den ausländischen „Lappen“ nicht. Aber die zuständige Behörde gibt die Info an die Kollegen im Ausland weiter. Ob der Einzug vollzogen wird, ist von Land zu Land unterschiedlich.

In der Schweiz gibt es Unterschiede sogar von Kanton zu Kanton. „Ich habe viel Erfahrung mit den Regionen an der Grenze. Die meisten sind da sehr konsequent“, sagt Verkehrsrechtler Björn Bilidt. In St. Gallen bewerte man die Fälle jedoch häufig anders. Viele dürfen ihren Führerschein behalten.

Also: Alles gleich, alles gut, alles nur Einbildung? Nein. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den Gesetzen in Deutschland und der Schweiz. Unsere Nachbarn haben eine klare Definition, wann eine zu schnelle Autofahrt strafrechtlich belangt wird. Wer das Tempolimit um mindestens 60 Stundenkilometer überschreitet, rast und bekommt eine Freiheitsstrafe von ein bis vier Jahren.

Rasen in Deutschland schwerer nachzuweisen

In Deutschland ist es viel komplizierter. Paragraf 315c oder d des Strafgesetzbuches muss erfüllt sein, um eine Fahrt dem Rasen strafrechtlich zuzuordnen. Das Gesetz orientiert sich nicht wie die Schweiz an der Geschwindigkeitsüberschreitung an sich, sondern an den Umständen der Fahrt. Heißt konkret: Es müssen Nachweise für ein Autorennen gegen eine andere Person oder gegen sich selbst vorliegen.

Ein Rennen gegen ein anderes Auto nachzuweisen, ist schon kompliziert genug – ein Rennen gegen sich selbst zu belegen noch viel mehr. „Und ich glaube, das ist bei uns genau das Problem“, sagt Björn Bilidt.

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Es reicht nicht in Deutschland oft nicht für eine hohe Strafe, nur viel zu schnell zu fahren. Man muss zudem unter anderem versucht haben, das Maximum aus dem Motor herauszuholen. Wer zum Beispiel mit 250 Stundenkilometern über die Landstraße fährt, begeht nur eine Ordnungswidrigkeit, falls der Wagen noch deutlich schneller fahren könnte, also in der Spitze beispielsweise bis zu 300 Kilometer pro Stunde. Wenn das Auto jedoch nicht mehr als diese 250 Stundenkilometer hergibt, kann das Vergehen schwerer wiegen.

Der Traktorfahrer als Raser?

Björn Bilidt zeigt, wie absurd das Gesetz wirken kann: Sollte ein Landwirt mit seinem Trecker mit einer Höchstgeschwindigkeit von 21 Kilometern pro Stunde durch einen verkehrsberuhigten Bereich fahren und geblitzt werden, könnte er rein theoretisch als Raser strafrechtlich belangt werden. „Das wird natürlich nie passieren. Aber ich glaube, dass das Gesetz, so wie es jetzt ist, dem Problem nicht wirklich gerecht wird“, sagt Bilidt.

Er sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, die Paragrafen zu vereinfachen. So wie es jetzt ist, können Raser einer harten Strafe unter Umständen doch entgehen. Falls nicht, drohen ähnliche Sanktionen wie in der Schweiz.