Herr Fruci, Sie sind Rechtsanwalt und Fachanwalt für Straf- und Verkehrsrecht in Singen. Wie gehen Gerichte mit dem neuen Paragraf zum illegalen Autorennen um?

Nach Einführung des Paragrafen herrschte eine extreme Rechtsunsicherheit. Ich habe das Gefühl, dass die Gerichte einfach in allen Richtungen rechtsprechen. Denn es gibt bislang noch keine obergerichtliche Entscheidung, die die Rechtsprechungen einordnen.

Mit dem neuen Gesetz wollte man Rennfahrer abschrecken. Hat man das Ihrer Meinung nach geschafft?

In Relation zum alten Straftatbestand der Nötigung im Straßenverkehr hat sich die Rechtsprechung sehr verschärft. Meiner Meinung nach sogar unverhältnismäßig verschärft. Wo es früher noch 40 bis 60 Tagessätze wegen Nötigung im Straßenverkehr gab, gibt es heute teilweise bis zu 90 Tagessätze für das neue Vergehen, obwohl der Strafrahmen eindeutig niedriger ist. Ich glaube, dass die Grenznähe damit etwas zu tun haben könnte.

Rechtsanwalt Gianpiero Fruci hat sich auf Verkehrs- und Strafrecht spezialisiert.
Rechtsanwalt Gianpiero Fruci hat sich auf Verkehrs- und Strafrecht spezialisiert. | Bild: Gianpiero Fruci

Was meinen Sie damit?

Im Fokus der Justiz und der Sicherheitsbehörden stehen zur Zeit Schweizer mit ihren hochmotorisierten Fahrzeugen. Da versucht die Justiz präventiv mit harten Urteilen abschreckend vorzugehen.

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Ihrer Meinung nach sind Schweizer also eine Zielscheibe der deutschen Justiz?

Zielscheibe der Justiz sind Personen mit hochmotorisierten Fahrzeugen, ob aus der Schweiz oder aus Deutschland. In den von mir bearbeiteten Verfahren ist der Schwerpunkt jedoch klar dahingehend, dass vermehrt Verfahren gegen Schweizer Personen mit hochmotorisierten Fahrzeugen geführt werden. Es kann sein, dass bei meinen Kollegen schwerpunktmäßig Verfahren gegen Deutsche auf dem Tisch stehen.

Liegt das an den Schweizer Autofahrern oder an den Deutschen Sicherheitsbehörden?

Ich glaube, dass im Zweifel viele Autofahrer eher bei Schweizer Kennzeichen an ein Autorennen denken, dann bei der Polizei anrufen. Das ist mein persönlicher Eindruck. Es kann wiederum sein, dass ein anderer Kollege nur Fälle mit Bezug auf deutsche Staatsangehörige auf dem Schreibtisch hat. Bei mir sind es größtenteils Schweizer. Die Menschen, die ein mutmaßliches illegales Autorennen bei der Polizei melden, liegen manchmal einfach falsch. Bei diesen Leuten ist ein ganz bestimmtes Bild im Kopf: Zwei Fahrzeuge fahren schnell, somit ist es ein Rennen.

Warum ist das Ihrer Meinung nach denn kein Autorennen?

Nicht nach juristischer Definition. Es ist ja theoretisch möglich, dass die beiden Fahrer rein gar nichts miteinander zu tun haben. Dort, wo keine Geschwindigkeitsbegrenzung herrscht, darf man ja so schnell fahren wie man will, solange niemand gefährdet wird.

Und wenn beide abbremsen und anschließend beschleunigen?

Dann kann es ein Rennen sein, muss es aber nicht. Es ist doch möglich, dass beide nicht ortskundig sind, Ausfahrtschilder lesen möchten und hierfür runterbremsen und danach wieder beschleunigen. Es gibt Fälle, wo Zeugen hier ein Rennen beobachtet haben wollen. Sie rufen die Polizei. Die zeihen die beiden Autos aus dem Verkehr und beschlagnahmen die Fahrzeuge. Das Gericht muss dann klären, ob es wirklich ein Rennen war. Ich will ja gar nicht bestreiten, dass es diese Rennen gibt. Natürlich könnte es sie geben. Theoretisch ist alles möglich. Und auch Schweizer könnten beteiligt sein. Aber was da manchmal aktenkundig wird, ist schlicht und einfach haarsträubend. Manchmal behaupten Zeugen Dinge, die gar nicht wahr sein können.

Was meinen Sie damit?

Ich erlebe es in der Praxis häufig, dass Menschen vor Gericht ungewollt falsche Tatsachen wiedergeben. Man kann sich eben nach einem halben Jahr oder 12 Monaten nicht mehr an alles genau erinnern. Das ist menschlich. Und unser Gehirn füllt die Gedächtnislücken dann mit vermeintlichen Fakten, die zum größten Teil eigene Erfahrungen oder Erinnerungen sind. Herauszufinden, was tatsächlich wahrgenommen wurde, beziehungsweise beobachtet wurde, ist sehr schwer. Eine Zeugenaussage ist das schlechteste Beweismittel.

Nach Ihrer Argumentation gibt es scheinbar gar keine Möglichkeit ein illegales Autorennen zu beweisen, oder?

Doch. Für mich ist ein glaubhafter Beweis, wenn Zeugen in der Verhandlung nicht mit aller Macht den Angeklagten belasten wollen, sondern einfach konkrete Fakten wiedergeben, an die sie sich erinnern, die sich nicht widersprechen. Die Überführung der vermeintlichen Täter kann durch Videobeweis erfolgen. Das wäre der sicherste Beweis.

Können diese Videos vor Gericht verwendet werden?

Mittlerweile werden Handyvideos und Dash-Cam-Videos vor Gericht als Beweis zugelassen. Über deren Verwendung und Verwertung herrscht noch Streit in der Rechtsprechung. Vor allem weil dadurch in wesentliche Grundrechte, beziehungsweise Beschuldigtenrechte eingegriffen wird.

Sind Walkie-Talkies ein starkes Indiz für ein Autorennen? Sie werden in der Szene ja häufig genutzt, um sich abzusprechen, weil Handys von der Polizei ausgewertet werden können.

Walkie-Talkies werden häufig benutzt, ja. Das ist jedoch kein Indiz für ein Rennen. Denn sonst müsste man ja auch jeden kriminalisieren, der sein Handy beim Fahren mitführt. Eine Entscheidung auf Indizien verbietet sich meiner Meinung nach. Nicht nur Handys werden untersucht und eingezogen. Es werden auch die Facebook-Profile der mutmaßlichen Rennteilnehmer beleuchtet.

Was wird bei Facebook geprüft?

Ob sie sich dort zu einem Rennen verabredeten.

Wie viele Verhandlung zu illegalen Autorennen haben Sie schon miterlebt?

Aktuell laufen bei mir sechs Verfahren parallel.

Nur in Baden-Württemberg?

Ja.

Ist die A81 ein Schwerpunkt?

Das könnte man so sagen.

Wie viele Fälle haben Sie seit dem neuen Gesetz miterlebt?

Ungefähr 30. Oft kommt es vor, dass ich gemeinsam mit meinem Kollegen Björn Bilidt aus Radolfzell Fälle betreue.

Wie wird meistens geurteilt?

Das hält sich die Waage. Die Gerichte folgen sehr oft den Zeugenaussagen, was meiner Meinung nach ein großes Problem ist. Aber das haben wir ja schon ausführlich besprochen. Vor allem handelt es sich um einen Paragraphen, der relativ neu ist, sodass nichts anderes verbleibt als die nächste Instanz anzustreben.

Sollten sich die Gerichte an anderen Urteilen orientieren, um eine einheitliche Linie zu fahren?

Jeder Fall muss als Einzelfall betrachtet werden und lässt sich nie im Detail mit anderen vergleichen.