Strategisch ist alles perfekt vorbereitet, um Thomas Strobl Mitte Februar, gut drei Wochen vor der Landtagswahl, ein Podium in eigener Sache zu bieten, wie es öffentlichkeitswirksamer nicht sein könnte: die Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020. Die Beamten im Ministerium und bei der Polizei mussten Extraschichten fahren, um die Zahlen ja rechtzeitig aufzubereiten.
Sicherheit! Polizei! CDU! Dieser Dreiklang wird derzeit als eines der zentralen Wahlkampfthemen der Partei landesweit plakatiert. Dem Innenminister und CDU-Landesvorsitzenden, der sich am 14. März erstmals auch selbst um ein Landtagsmandat bewirbt, könnte niemand vorwerfen, sein Amt bei diesem Termin für Wahlkampfzwecke zu nutzen.
Denn die Präsentation der Zahlen und des Sicherheitsberichtes ist ein politisches Hochamt, das Strobl seit seinem Amtsantritt 2016 nutzt, um die erfolgreiche Arbeit der Polizei, aber auch die Wirkung der innenpolitischen Weichenstellungen zu würdigen – und die tragen die Handschrift der CDU. Die Statistik ist vorab streng geheim.
Coronavirus bremst Kriminelle aus
Aber das Jahr 2020 wird wohl – so pfeifen es jedenfalls die Spatzen von den Dächern des Ministeriums – auch ganz ohne Zutun von Polizei und Innenminister als eines der sichersten überhaupt in die Annalen des Landes eingehen. Zumindest, was die Alltags-, Einbruchs- und Diebstahlkriminalität anbelangt. Schuld daran hat schlicht das Coronavirus.

Wo die Läden 2020 im Lockdown geschlossen blieben und die Menschen zuhause, war für Diebe und Einbrecher wenig zu holen. Und wo die Clubs und Kneipen dicht waren und das Nachtleben in den Tiefschlaf versetzt wurde, blieben auch die zugehörigen Überfälle und Körperverletzungen im öffentlichen Raum aus. Wenn Thomas Strobl also in gut zwei Wochen sinkende Kriminalitätszahlen für das vergangene Jahr verkündet, dürften diese selbst für Außenstehende eher ein Werk des Virus‘ als der Ausfluss erfolgreicher Sicherheitspolitik sein.
Die Menschen fühlen sich sicher
Zu allem Überfluss für Thomas Strobl kommt nun noch dazu, dass sich die allermeisten Menschen in Baden-Württemberg ziemlich sicher fühlen. Dies jedenfalls geht aus den Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) im Rahmen des BaWü-Checks im Auftrag der baden-württembergischen Tageszeitungen hervor, der sich in seinem heute veröffentlichten vierten Teil damit befasst, wie sicher die Bürger sich in Baden-Württemberg fühlen.

Ganze 86 Prozent der Landesbürger schätzen ihren Wohnort demnach als sicher oder sogar sehr sicher ein. Die wenigsten haben das Gefühl einer akuten Bedrohung. Und dennoch sind sie mehrheitlich der Meinung, dass es viel mehr und besser ausgerüstete Polizisten geben müsste und es an vielen Stellen Verbesserungsbedarf gibt. Vor allem glauben sie, dass sich die Sicherheitslage in den letzten fünf Jahren verschlechtert hat.

Die Gefahr, Opfer einer Straftat zu werden, hat zwar seit den Neunziger-Jahren messbar abgenommen. Doch die Menschen fürchten mehr abstrakt als konkret, dass ihnen etwas zustoßen könnte. Frauen deutlich mehr als Männer, die Menschen auf dem Land weniger als in Groß- und Mittelstädten – die Krawallnacht von Stuttgart lässt grüßen.

Die Wahrnehmung der Bürger ist eine Ohrfeige für Strobl. Denn die Person des Innenministers kommt besonders schlecht weg. Gerade einmal zwölf Prozent der Menschen sind der Meinung, dass der CDU-Politiker genug dafür tut, um die Polizei auf Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Weit über die Hälfte (60 Prozent) der Bürger finden, er müsse deutlich mehr tun.
Dabei hat Thomas Strobl seit seinem Amtsbeginn an der personellen und materiellen Stärkung der Polizei und einer Verschärfung des Polizeigesetzes gearbeitet, oft in harter Konfliktlinie mit den Grünen. Dank Strobl und CDU hat Baden-Württemberg eines der schärfsten Polizeigesetze der Republik bekommen: Erlaubt sind nun etwa Telekommunikations-Überwachung, Videoüberwachung im öffentlichen Raum, Gefährderhaft, Polizei-Bodycams in Innenräumen wie Clubs oder Wohnungen oder die Durchsuchung von Bürgern im Umfeld von Großveranstaltungen. Auch im Kampf gegen Cyberkriminalität gibt es erste Schritte.

Doch während sich Polizeibeamte mittlerweile anerkennend äußern, dass sich im Bereich der Ausrüstung – etwa bei den Fahrzeugen und der Bewaffnung – unter Strobl viel getan hat, hinkt die Digitalisierung bei der Landespolizei anderen Bundesländern noch immer weit hinterher. Und auch das gegebene Versprechen, in jedes Revier zwei Beamte mehr zu bringen, ist trotz Einstellungsoffensive längst nicht erreicht.

Zwar werden mehr Polizeianwärter ausgebildet als je zuvor, aber das dauert eben. Gleichzeitig hat eine gewaltige Pensionierungswelle die Polizei erfasst und die Reviere ausgedünnt. Nicht nur gefühlt, sondern auch in der Praxis ist die Polizeipräsenz für viele Bürger zuletzt daher zurückgegangen – ausgerechnet in der Verantwortung des CDU-Innenministers, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit formelhaft als erstes die Arbeit der Polizei lobt.

Wurde dies anfangs in den Reihen der Beamten noch positiv registriert, ruft es mittlerweile nur noch Schulterzucken hervor. Das gestanzte floskelhafte Loblied auf „unsere Beamtinnen und Beamten, die täglich im Dienst für uns den Kopf hinhalten“ – so eine stehende Strobl-Wendung, werde so oft gesungen, dass es in Reihen der Polizei nicht mehr ernst genommen werde, sagt ein leitender Kriminalbeamter.
Und aus dem Innenministerium ist zu hören, dass sich der Stil im Haus unter Strobls Führung verändert habe. Der Minister sei schwerer zugänglich für seine Fachreferate als seine Vorgänger, Entscheidungen würden von oben durchgereicht, die Erfahrungen der Polizeipraktiker nicht mehr gehört oder einbezogen.

Wer dagegen wirklich positiv über Thomas Strobl spricht, ist ausgerechnet der grüne Koalitionspartner – freilich im Hintergrund und soweit sich ein CDU-Minister aus dem Law-and-Order-Lager von grüner Seite überhaupt loben lässt. Bei der Zusammenarbeit in der Koalition sei mit Strobl vieles besser gelaufen, als es nun seit der Übernahme der CDU-Koordinationsarbeit durch die CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann der Fall sei, lassen die Grünen in den letzten Monaten gerne durchblicken.

Verliert die CDU, ist Strobl gesetzt
Da steckt freilich auch grüne Wahlkampftaktik dahinter, um die gegnerische Spitzenkandidatin zu beschädigen. Aber sollte Eisenmann bei der Landtagswahl ihr Ziel verfehlen, die CDU wieder zur stärksten Kraft zu machen, wäre sie die Wahlverliererin. Strobl dagegen wäre als Landesvorsitzender bei möglichen neuen Koalitionsverhandlungen gesetzt. Parteiintern hat sich der Heilbronner seit seiner bitteren Niederlage um die Spitzenkandidatur gegen Eisenmann nichts zuschulden kommen lassen und in den Dienst der Sache gestellt.
Geht die Wahl verloren, wäre es nicht Strobl vorzuwerfen – und im Fall einer Neuauflage von Grün-Schwarz ließe sich der 60-Jährige das Innenministerium wohl kaum streitig machen. Arbeit, das bescheinigt ihm der aktuelle BaWü-Check, hätte er dort jedenfalls genug zu erledigen.