Das Kennzeichen des bronzefarbenen VW-Busses stammt aus dem Raum Hannover. Bundespolizist Ralph Strölin winkt den Fahrer rechts ran. Er hat an diesem Vormittag am Grenzübergang in Bietingen an der Schweizer Grenze schon unzählige Fahrzeuge kontrolliert. Autos mit Kennzeichen, die nicht aus der Region stammen, haben die Beamten besonders im Visier.
Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Fahrer unter 24 Stunden im Schweizer Grenzgebiet unterwegs waren, schwindet mit der Entfernung. Die Zeitspanne ist maßgeblich für die Quarantäneregeln, an die sich Einreisende halten müssen. Wer aus der Region bis zu 24 Stunden im Schweizer Grenzgebiet unterwegs war, muss demnach nicht in Quarantäne.
Es ist der neue Alltag von Strölin und seinem Kollegen Patrick Neher, mit dem er heute im Dienst ist. Seit Baden-Württemberg die strengeren Quarantäneregelungen getroffen hat, soll die Bundespolizei an den Grenzen und im Schienenverkehr stichprobenartig die Reisenden kontrollieren.
Den Mundschutz tragen die Beamten dabei permanent. Einen einfachen, wenn der Abstand zu wahren ist, eine FFP2-Maske, wenn das nicht möglich ist. „Das ist schon anstrengend“, sagt Neher. Aber er sieht die Maske wie einen Teil seiner Schutzausrüstung. Seine Weste würde er auch nicht ablegen, selbst wenn man darunter schon schwitze, wie er gesteht.
Wenn ihm Leute zu nahe kommen, bittet er sie, die Maske zu tragen oder nimmt selbst Abstand. Die meisten legen sie aber schon von sich aus an, wenn sie die Beamten an der Grenze oder am Bahnhof sehen. Angst, sich einem größeren Risiko auszusetzen als andere hat er aber nicht. Er sieht die Aufgabe als Teil seines Jobs. Mit den entsprechenden Schutzvorkehrungen gibt es für ihn kein Problem.
Ein kalkuliertes Risiko
In dem VW-Bus sitzen ein paar junge Männer, keiner trägt Maske. Die Beamten halten Abstand. Die vier Männer wirken müde. Auf der Rückbank liegen eine Packung Mandarinen, Oliven und Bonbons verteilt. Eine Mülltüte liegt auf dem Boden. Es sieht nach durchgemachter Nacht aus.
Der 51-jährige Beamte fragt die Truppe, wie lange sie in der Schweiz waren, die derzeit als Risikogebiet für das Coronavirus gilt. „Knapp unter 72 Stunden“ sagt der Beifahrer, ein junger Mann mit Vollbart und Kapuzenpulli ohne zu zögern. Es klingt, als glaube er zu wissen, damit seien sie aus dem Schneider.
Die jungen Männer geben an, ein Musiklabel gegründet zu haben und in der Schweiz nach Drehorten für ein Musikvideo zu suchen. „Wir sind auf gut Glück losgefahren“, sagt einer der Mitfahrer – unwissend, dass er die Truppe damit noch weiter in die Bredouille bringt.
Strölin klärt sie über die Quarantänepflicht auf. Denn die 72-Stunden-Regelung gilt vor allem für den Besuch von Familienangehörigen ersten Grades oder beispielsweise für dringende medizinische Behandlungen. Ausnahmen gelten nur für „zwingend notwendige“ Reisen, etwa aus dringenden beruflichen Gründen und „unaufschiebbaren“ Terminen.

Langsam dämmert den Männern, dass sie in Quarantäne müssen. Der junge Mann auf der Rückbank, im grauen Jogginganzug und Sneakers mit dicken Sohlen, versucht seinen Charme spielen zu lassen, lächelt den Beamten an. „Sie haben doch einen Ermessensspielraum“, glaubt er zu wissen. Und dann: „Hören Sie, wir waren auch nur etwas über 24 Stunden in der Schweiz.“
Strölin wird hellhörig, hakt nach. Für ihn ist die erste Angabe ausschlaggebend. Vom SÜDKURIER angesprochen, ob sie die Quarantänebestimmungen kennen, sagt der Beifahrer nur: „Ich verweigere die Aussage.“ Mit der Presse wollen sie nicht reden. „Ich bitte Sie, drücken Sie ein Auge zu“, versucht der junge Mann im Jogginganzug es noch einmal. Vergebens.
Einreiseformular fürs Gesundheitsamt
Alle vier müssen ein Formular ausfüllen, Strölin wird es sofort einscannen und per E-Mail an das Gesundheitsamt in Hannover schicken. Der Bundespolizist schärft den jungen Männern ein: „Das Gesundheitsamt wird informiert sein, bevor sie zurück sind“, sagt er.
Die Bundespolizei kann selbst keine Quarantäne anordnen, lediglich auf die Selbstverpflichtung der Betroffenen hinweisen: Alles andere ist Aufgabe des Gesundheitsamts. In diesem Fall wird das Gesundheitsamt in Hannover entscheiden, ob die selbsternannten Musikproduzenten in Quarantäne bleiben müssen oder nicht.
Viele Reisende kennen die Regeln
Es wird der einzige Zwischenfall in der Schicht der beiden bleiben. Eine Statistik zu den Fällen, die die Bundespolizei an die Gesundheitsämter weiterleitet, gibt es noch nicht. Die meisten der Einreisenden scheinen die Regeln aber zu kennen und halten sich daran. Viele tragen Masken, wenn sie das Fenster an der Fahrerseite herunterlassen.
Ein Ehepaar aus Dresden wird kontrolliert, sie kommen gerade vom zweitägigen Besuch der Eltern der Frau zurück, sagen sie. Das ist erlaubt. Bundespolizist Neher fragt nach der Adresse in der Schweiz, wo sich die beiden aufgehalten haben. „Überprüfbar ist das natürlich nicht“, macht der Beamte klar. Aber er hat inzwischen Erfahrung, ein Gespür entwickelt, wann er genauer nachfragen sollte, etwas nicht stimmig wirkt.
Eine Frau aus Zürich gibt an, Ihre Freundin besuchen zu wollen – für weniger als 24 Stunden. Eine andere ist unterwegs zu ihrem Freund in Stuttgart, sie will zwei Tage bleiben. Lebenspartner dürfen sich bis zu 72 Stunden sehen, ohne im Anschluss in Quarantäne zu müssen. Zwei Männer aus Esslingen lieferten in in der Schweiz einigen Kunden etwas aus und sind auf dem Nachhauseweg. Eine berufliche Notwendigkeit also. Eine junge Frau mit Schweizer Kennzeichen ist auf dem Weg zu einem Auffrischungskurs des Roten Kreuzes in Radolfzell. Sie werde am Abend wieder zurückfahren, sagt sie.
Wie kontrolliert die Landespolizei die Einhaltung der Corona-Regeln überhaupt? Die wichtigsten Antworten
Bei den Berufspendlern fällt auf, dass einige die alte Pendlerbescheinigung vom ersten Lockdown, als die Einreise massiv eingeschränkt worden war, hinter der Windschutzscheibe angebracht haben.
Einreiseanmeldung gilt seit dem 8. November
Ein Mann in einem roten Kombi zeigt sofort seine digitale Anmeldung vor: Erst seit wenigen Tagen gilt die neue Regelung, wonach Reisende ihre Kontaktdaten vorab online angeben müssen sowie das Risikogebiet, das sie vor ihrer Einreise besucht haben. Wer nicht zu den Ausnahmen zählt, muss sich für zehn Tage in Quarantäne begeben.

Von der neuen digitalen Anmeldepflicht wüssten sicher 80 Prozent der Einreisenden nichts, sagt Strölin. Er hat die jüngste Quarantäne-Verordnung des Landes immer zur Hand. „Manchmal ändert sich schnell etwas“, sagt er. Die immer neuen Regeln seien schon eine Herausforderung, gestehen die Beamten ein. Sie müssen immer auf dem neuesten Stand sein. Ein Jäger kommt in seinem Geländewagen angefahren, will wissen, wie lange er denn jetzt eigentlich in der Schweiz hätte bleiben dürfen. Strölin winkt ihn rechts ran, erklärt es ihm.
Hotline für Fragen zur Quarantänebestimmung
„Manchmal müssen wir auch einfach mal zuhören“, sagt Neher. Das Bedürfnis nach jemandem, der die Regeln erklärt, ist offenbar groß. Die Bundespolizei hat eine Hotline eingerichtet (0800-6888000), die Inspektion in Konstanz eine Bandansage mit den wichtigsten Informationen.
Wer dann noch Fragen habe, erklärt die Sprecherin der Bundespolizeiinspektion Konstanz, Daniela Schmidt, werde telefonisch betreut. Wie groß das Bedürfnis nach Aufklärung sei, lasse sich aber wegen der vorgeschalteten Bandansage nicht mehr genau beziffern, erklärt die Beamtin. Es ist Schichtwechsel an der Grenze. Strölin und Neher übergeben an die Ablösung, steigen in einen Dienstwagen und fahren in Richtung Autobahn. Zum nächsten Einsatzort.