Seelsorge in der Hand von Frauen? Das ist längst eine Tatsache. Unterhalb der Schwellenfrage „Frauen ins Priesteramt?“ sind Frauen aus der praktischen Seelsorge in der katholischen Kirche nicht mehr wegzudenken. In den Krankenhäusern arbeiten oft Ordensschwestern, in den Gefängnissen sind es häufig Pastoralreferentinnen. Und in Singen im Hegau wirkt seit Kurzem Heike Gotzmann in der Arbeitnehmerseelsorge.
Lebenserfahrung plus Bauchgefühl
„Ich bin Seelsorgerin insofern, als ich Mitarbeiter von Betrieben betreue,“ sagt die 53-Jährige. Sie kam auf Umwegen in dieses diözesane Amt. Betriebsseelsorge kann man nirgends studieren. Es ist eine Mischung aus Lebenserfahrung, eigener beruflicher Erfahrung, Bauchgefühl plus christlicher Einstellung.
Heike Gotzmann war vor ihrer kirchlichen Aufgabe in der Textilindustrie tätig. Die Bekleidungstechnikerin und Ingenieurin kommt aus einer Branche, die einen rapiden Wandel durchlaufen hat, Massenentlassungen inklusive. „In meiner Branche habe ich erlebt, was es bedeutet, wenn Produktionsstätten verlagert werden,“ sagt sie im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Und was es heißt, wenn Menschen plötzlich auf der Straße stehen.
Die Seelsorgerin ist nicht in jeder Firma beliebt
Zur Seelsorge kam Gotzmann erst später – auch, nachdem sie einen theologischen Kurs besucht hatte und sich über manche Grundlagen von Religion erst bewusst wurde. So tastete sie sich an die Betriebsseelsorge heran.
Große Betriebe gibt es in Singen genug, doch nicht allen geht es gut. Sie versucht, Kontakte in die Firmen hinein zu knüpfen. Das ist nicht immer einfach. Denn manche Betriebsräte sind nicht begeistert, wenn eine Sozialarbeiterin mit katholischem Vorzeichen in der Firma auftritt. Dann muss Heike Gotzmann Überzeugungsarbeit leisten. Als Seelsorgerin steht sie tendenziell auf der Seite der Arbeitnehmer. Sie will „Menschen aus der Opferrolle herausholen,“ sagt sie.
Dieses ehrgeizige Ziel macht die Aufgabe nicht leichter. Sie sagt: „Wir machen uns nicht immer beliebt. Wir stehen mitten in einem Spannungsfeld.“
Corona ist wie eine Vollbremsung
Das gilt verstärkt für die Zeit der Coronakrise. Eine schwierige Phase auch für Gotzmann. Ihre Frage lautet in diesen Tagen: Wie erreicht man Firmen und Betriebsräte, wo doch viele Betriebe ganz oder zum Teil schließen und viele Angestellte zuhause arbeiten? Sie sagt ohne Umschweife: „Im Moment bin ich ausgebremst.“ Der Kontakt zu den Mitarbeitern sei erschwert, berichtet sie. Auch Betriebsversammlungen seien derzeit kein Thema: „Die Welt ist ins Stocken geraten,“ ahnt sie.