Annkatrin Herzing ist Mutter von drei Kindern, die nach den Sommerferien alle die Grundschule Bermatingen besuchen. Die Familie ist vor rund zwei Jahren nach Ahausen ins Neubaugebiet „Hinterm Dorf“ gezogen, die Eltern arbeiten bei Diehl in Überlingen, er Vollzeit, sie Teilzeit. Damit das funktioniert, sind sie auf die Betreuungsplätze in der Grundschule angewiesen. Doch statt den an Bedarf gemeldeten fünf Nachmittagen – dreimal bis 13.30 Uhr und zweimal bis 16.30 Uhr – wurde ihr der Dienstagnachmittag ersatzlos gestrichen. Nun steht die Familie vor einem derzeit noch unlösbaren Problem: Wer kann die Kinder in den fehlenden Stunden betreuen?

Aufnahmekapazität an Grundschule ist erreicht

Hintergrund ist der, dass die Betreuung an der Grundschule an ihre räumlichen und personellen Aufnahmekapazitäten angelangt ist. Um weiterhin eine gute Betreuung gewährleisten zu können, hatte der Gemeinderat im Frühjahr beschlossen, die Betreuungsplätze zu begrenzen. Um Platzvergabe transparent und nachvollziehbar zu gestalten, wurden Aufnahmekriterien erarbeitet. Nach diesen Kriterien wurden nun die Betreuungsplätze für das kommende Schuljahr vergeben – und den Familien in einer Mail an einem Freitagnachmittag Mitte Juni mitgeteilt, dass mehr Bedarf angemeldet wurde, als betreut werden kann.

Wenig Verständnis für die Situation

Auch Sebastian Gatzka und Frederic Striegler sind betroffen. Auch sie haben einige Stunden weniger an Betreuung erhalten, als sie benötigen. Wenig Verständnis haben die Väter auch für die Art und Weise und für den Zeitpunkt der Mitteilung. Auf Rückfragen sei in der Verwaltung einige Tage niemand erreichbar gewesen und der Unmut habe sich weiter aufgebaut. „Das bedeutet für viele Familien, dass sie massiv umplanen müssen“, so Striegler, der von rund 100 betroffenen Familien spricht, die nun vor großen Herausforderungen stehen. Die Gemeinde Bermatingen schreibt dagegen von 17 Familien, deren Betreuungsbedarf an einem gewünschten Tag nicht gedeckt werden kann.

Sebastian Gatzka, der bei Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen als Teamleiter arbeitet, muss seinen Sohn an einem Tag in der ...
Sebastian Gatzka, der bei Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen als Teamleiter arbeitet, muss seinen Sohn an einem Tag in der Woche statt um 13.30 Uhr bereits um 12 Uhr abholen. | Bild: Nosswitz, Stefanie
Frederic Striegler, Geschäftsführer der IG-Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, hat seine Tochter für zwei Nachmittage angemeldet, ...
Frederic Striegler, Geschäftsführer der IG-Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, hat seine Tochter für zwei Nachmittage angemeldet, bekommt aber nur für einen Nachmittag die Betreuung zugesagt. | Bild: Nosswitz, Stefanie
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Rund 150 Eltern unterstützen offenen Brief

In einem offenen Brief hat sich Frederic Striegler an Bürgermeister Martin Rupp und den Gemeinderat gewandt. Rund 150 Eltern unterstützen den Brief. Darin heißt es unter anderem, dass es bedauerlich sei, dass die Gemeinde nicht mit den Eltern in den Dialog tritt und nach Lösungen sucht. Seit März sei die Situation bekannt gewesen, Mitte Juni erfolgte erst die Information. Viele Eltern haben sich individuell in Mails und Telefonaten an die Gemeinde gewandt und warten hier noch auf Antwort. Bürgermeister Martin Rupp teilt mit, dass alle Eltern, die sich im konkreten Einzelfall gemeldet haben, eine individuelle Antwort erhalten werden.

Die Eltern fordern von der Gemeinde, zu handeln und pragmatische Lösungen zu finden. Mit der Erschließung neuer Wohngebiete und den Kriterien zur Bauplatzvergabe habe die Gemeinde aktiv die Ansiedlung junger Familien gefördert. Es sei daher abzusehen gewesen, dass die Anzahl der Kinder wachsen und somit auch der Bedarf an Betreuungsplätzen zunehmen wird.

Für eine Ganztagsbetreuung fehlen Räume, aber mehr noch Personal. Die Erweiterung der Grundschule ist auf dem Weg gebracht. Baubeginn ...
Für eine Ganztagsbetreuung fehlen Räume, aber mehr noch Personal. Die Erweiterung der Grundschule ist auf dem Weg gebracht. Baubeginn der Erweiterung soll im Sommer 2025 sein, mit einer Fertigstellung wird rechtzeitig zum Schuljahr 2026/2027 gerechnet. | Bild: Christiane Keutner

Eltern müssen ihre Arbeitszeit reduzieren

Annkatrin Herzing befürchtet, dass es die Gemeinde es den Eltern überlässt, Lösungen zu finden. Für sie wird es darauf hinauslaufen, dass sie ihre Teilzeit reduzieren muss. „Das war so natürlich nicht vorgesehen.“ Auch Frederic Striegler muss seine Arbeitszeit reduzieren. „Betreuung und Bildung sind keine Randthemen, sondern entscheiden über den wirtschaftlichen Erfolg einer Region“, sagt der Geschäftsführer der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben.

Annkatrin Herzing benötigt im kommenden Schuljahr für drei Kinder eine Betreuung nach dem Unterricht. Herzing arbeitet Teilzeit bei ...
Annkatrin Herzing benötigt im kommenden Schuljahr für drei Kinder eine Betreuung nach dem Unterricht. Herzing arbeitet Teilzeit bei Diehl in Überlingen und muss nun ihre Arbeitszeit reduzieren. | Bild: Nosswitz, Stefanie

Sebastian Gatzka arbeitet als Teamleiter bei Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen, muss dort Präsenz zeigen. Wie die Familie den Betreuungsengpass löst, ist noch offen. „Klar springen wir auch als Familien untereinander ein, aber das kann ja nicht die Lösung sein“, so Striegler.

Die Familien fordern als kurzfristige Lösungen, die Nutzung anderer Räume als Betreuungseinrichtungen sowie die Einbeziehung von Freiwilligen, Aushilfskräften und Eltern, die unter Anleitung qualifizierten Personals arbeiten. Außerdem können sie sich Kooperationen mit lokalen Vereinen und Organisationen vorstellen.

Gemeinde soll in Austausch mit den Eltern gehen

Sebastian Gatzka, Annkatrin Herzing und Frederic Striegler haben die Erwartungshaltung, dass die Gemeinde in den Austausch mit den Eltern geht. Sie möchten, dass der Bedarf erneut abgefragt wird und eine Tauschbörse initiiert wird. „Das muss aber von der Gemeinde ausgehen, das können wir als Eltern auch aufgrund von Datenschutz nicht leisten“, so Striegler. Doch die Zeit drängt, die Sommerferien rücken näher.

Bei der ganzen Diskussion ist vor allem auch den Eltern wichtig, dem Personal an der Grundschule für ihren unermüdlichen Einsatz zu danken. „Der Mangel wäre noch drastischer, wenn die Erzieherinnen und Lehrerinnen nicht so engagiert wären“, ist sich Frederic Striegler sicher.

Veranstaltung an de Grundschule Mitte Juni: Annette Stöcklin, Leiterin der Bibliothek, hatte sich mit einem Lesepicknick wieder etwas ...
Veranstaltung an de Grundschule Mitte Juni: Annette Stöcklin, Leiterin der Bibliothek, hatte sich mit einem Lesepicknick wieder etwas Besonderes einfallen lassen, um die Mädchen und Jungen spielerisch und mit Spaß-Faktor wieder einmal in die Welt der Bücher eintauchen zu lassen. | Bild: Christiane Keutner

Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung ab 2026

Mit Blick auf das Jahr 2026, ab dem ein gesetzlicher Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder in Kraft tritt, sei es essenziell, dass die Gemeinde proaktiv Maßnahmen ergreift, um diesem Anspruch gerecht zu werden. „Wir fordern daher den Gemeinderat und die Verwaltung auf, einen detaillierten Plan vorzulegen, wie dieser Rechtsanspruch umgesetzt werden soll“, heißt es am Ende des Briefes.

So reagiert Bürgermeister Martin Rupp auf den offenen Brief

Der SÜDKURIER hat Bürgermeister Martin Rupp um eine Stellungnahme zu dem offenen Brief der Eltern und der Betreuungssituation an der Grundschule gebeten. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte.

  • Zur aktuellen Situation: Die begrenzten Plätze in der Ganztagesbetreuung der Grundschule wurden nach den vom Gemeinderat im Frühjahr festgelegten Aufnahmekriterien vergeben. „Dass leider einzelne Absagen unumgänglich waren, schmerzt auch uns“, schreibt Martin Rupp. Allerdings sei festzuhalten, dass es mit enormen Aufwand des Betreuungspersonals gelungen sei, die Absagen auf einen einzelnen Tag pro betroffener Familie in der Woche zu begrenzen und es sich überwiegend um Betreuungszeiten zwischen Schulende und 13.30 Uhr handelt, also circa 1,5 Stunden. „Wir wissen, dass das die einen oder anderen berufstätigen Eltern trotzdem vor Herausforderungen stellt“, so Rupp.
Bürgermeister Martin Rupp ist zuversichtlich, dass Eltern, Familien und Arbeitgeber für diesen einzelnen Tag im kommenden Schuljahr eine ...
Bürgermeister Martin Rupp ist zuversichtlich, dass Eltern, Familien und Arbeitgeber für diesen einzelnen Tag im kommenden Schuljahr eine gute Lösung finden werden. | Bild: Freie Wähler
  • Temporäre Übergangslösungen: Für temporäre Übergangslösungen, die auch die Einbeziehung von Eltern in die Betreuung und Räumlichkeiten außerhalb der Schule beinhalten, sei die Gemeinde grundsätzlich offen. Man befinde sich bereits in einer ersten Prüfung, wie zum Beispiel die Nutzung des Mesnerhauses. Aber auch hier stelle sich die Frage nach dem Betreuungspersonal. „Und grundsätzlich kann eine Gemeinde – gerade auch in unserer Größe – leider nicht jeden individuellen Bedarf abdecken, auch nicht zukünftig – das gehört zur Wahrheit auch dazu. Aber wenn alle kompromissbereit sind und an einem Strang ziehen, kann vielleicht eine Lösung gelingen“, so Rupp. Da es für eine Übergangslösung aber noch viele offene Fragen und Klärungsbedarf gibt, sollten sich betroffene Eltern vorsorglich um eine ergänzende Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind ab dem kommenden Schuljahr bemühen. „Wir sind zuversichtlich, dass Eltern, Familien und Arbeitgeber für diesen einzelnen Tag im kommenden Schuljahr eine gute Lösung finden werden“, heißt es in der Stellungnahme.
  • Erweiterung der Grundschule: Die Diskussion zur Entwicklung einer Ganztages-Grundschule wurde bereits vor Jahren angestoßen. Ebenso die Planungen zur Erweiterung der Grundschule, um die dafür erforderlichen räumlichen Voraussetzungen für eine gute Betreuung zu schaffen. Mit der Machbarkeitsstudie und veranschlagten Kosten in Höhe von gut 5 Millionen Euro musste zuerst eine europaweite Ausschreibung erfolgen, die unmittelbar umgesetzt wurde. Das Büro MMP aus Uhldingen Mühlhofen ist bereits in der Bearbeitung der weiteren Planungen. Martin Rupp geht davon aus, dass mit einem Baubeginn der Erweiterung im Sommer 2025 und einer Fertigstellung rechtzeitig zum Schuljahr 2026/2027 gerechnet werden kann.