Sie ziehen Verletzte aus den Autos, packen mit an, noch bevor der Notarzt da ist. Ersthelfer sehen – zum Beispiel an einer Unfallstelle – Dinge, die im Kopf bleiben. Das Gesehene brennt sich ins Gedächtnis ein. Wie beim schweren Unfall auf der B31 Anfang Juni bei Uhldingen-Mühlhofen, als unter anderem auch Ersthelfer im Einsatz waren.

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Ersthelferin bei Mord in Konstanz

Damit Ersthelfer diese Bilder im Nachhinein verarbeiten können, ist es wichtig, dass sie sich professionelle Hilfe holen. Verzichten Ersthelfer auf diese Hilfe, kann unter Umständen eine posttraumatische Belastungsstörung eintreten. Diese Erfahrung machte eine 67-jährige Frau aus Konstanz. Sie war Zeugin und Ersthelferin bei einem Mordfall 2012 an der Dreifaltigkeitskirche in Konstanz. Ihr Name ist der Redaktion bekannt, wird hier aber nicht genannt. Zu schwer wiegt die Erinnerung bis heute und die Konstanzerin möchte nicht öffentlich in Erscheinung treten.

Die Frau erinnert sich an den Vorfall: „Zwei Männer stritten sich, ich bin dazwischengegangen. Doch es hat nichts gebracht. Der Angreifer hat dem Opfer mit einem Messer in den Hals gestochen.“ So wurde die Zeugin zur Ersthelferin, sie versuchte, den Mann zu reanimieren.

„Ich hielt ihn so lange im Arm, bis der Rettungsdienst kam. Es war eine halbe Ewigkeit“, sagt die Frau. Unmittelbar nach dem Vorfall seien Notfallnachsorger zu ihr gekommen. Doch in dem Moment habe sie damit nichts anfangen können: „Ich hatte einen Schock. Ich war noch nicht bereit, darüber zu reden.“

Erste Tage voller Schuld und Vorwürfe

An den Tagen danach machte sich die Konstanzerin Vorwürfe. Wie sie erzählt, habe sie sich die Schuld dafür gegeben, dass der Mann es nicht geschafft hat und gestorben ist. „Irgendwann bin ich zu meinem Hausarzt gegangen, auch weil ich ja direkt mit dem Blut des Opfers in Berührung kam“, berichtet die 67-Jährige.

Der Arzt habe sie direkt krankgeschrieben und ihr einen Termin bei einer Psychiaterin verschrieben. „Bei der Psychiaterin habe ich ein Psychopharmakon bekommen, das hat mir wirklich gut über die schwere Zeit geholfen.“ Einige Jahre später kam die Konstanzerin erneut in eine schwierige Situation: Sie musste ihren jetzigen Mann nach einem Schlaganfall wiederbeleben.

Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung

Ihr Mann lag anschließend mehrere Wochen im Koma. Bis sie sich von diesem Vorfall erholte, dauerte es lange. „Ich bin in eine tiefe Depression gerutscht und habe Panikattacken entwickelt“, gibt die 67-Jährige offen zu. Schließlich habe ein Arzt eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. „Ohne die Termine bei meiner Psychologin wäre ich da nicht herausgekommen“, sagt die Konstanzerin heute. „Es hat mir wahnsinnig viel gebracht, mit jemandem zu reden.“

Hilfe, wie die 67-jährige Konstanzerin sie in Anspruch nahm, ist für Augenzeugen und Ersthelfer wichtig. Das betont Franziska Trunz aus Meersburg. Seit 2012 ist sie ehrenamtlich für das DRK Bodenseekreis als Notfallnachsorgerin tätig. „Das Gespräch danach hilft vielen“, weiß Trunz aus Erfahrung.

Franziska Trunz aus Meersburg leitet gemeinsam mit Markus Klein den Notfallnachsorgedienst des DRK Bodenseekreis.
Franziska Trunz aus Meersburg leitet gemeinsam mit Markus Klein den Notfallnachsorgedienst des DRK Bodenseekreis. | Bild: Mona Lippisch

Wenn Ersthelfer am Unfallort noch nicht bereit für ein Gespräch sind, können sie sich jederzeit im Nachgang bei der Notfallnachsorge melden. „Für den ersten Moment können auch Familienmitglieder und Freunde Ansprechpartner sein“, sagt Trunz. Für eine professionelle Beratung und gegebenenfalls Weiterleitung an Fachstellen sind dann Franziska Trunz und ihre Kollegen von der Notfallnachsorge zuständig.

„Wir versuchen den Betroffenen im Gespräch auch klarzumachen, dass Belastungsreaktionen nach Unfällen völlig normal sind“, sagt Trunz. Dazu gehören zum Beispiel schlechter Schlaf oder ein fehlendes Hungergefühl. Sie betont jedoch auch: „Wenn die Belastungsreaktionen länger als vier Wochen andauern, sollte man einen Facharzt aufsuchen.“