„In meinem Kopf sind Bilder, die werde ich nicht vergessen“, sagt Cagdas Hepbasli. Er steht mit Ayhan Oruc neben der Bundesstraße 31 in Uhldingen-Mühlhofen. Hepbasli schluckt. Dann sagt er: „Ich denke oft darüber nach, dass wir vielleicht mehr hätten tun können.“ Beiden Männern steht die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben.

Hepbasli und Oruc waren nach dem schweren Unfall am 12. Juni zwei von fünf Ersthelfern, die sich noch vor dem Eintreffen der Rettungskräfte um die Verletzten kümmerten. Rückblickend hatten sie Glück, sagen die beiden wenige Tage später. „Es hätte auch uns treffen können“, sagt Oruc, seinen Blick auf die Bundesstraße gerichtet.

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Am Ende dieses Videos sind Cagdas Hepbasli und Ayhan Oruc zu sehen, die an der Leitplanke lehnen.

Die Unfallstelle Video: Mona Lippisch

Cagdas Hepbasli (33) und Ayhan Oruc (30) kommen beide aus Markdorf und arbeiten als Monteure bei ZF in Friedrichshafen. Am Montagnachmittag waren sie mit dem Auto von Überlingen in Richtung Friedrichshafen auf der B31 unterwegs. Kurz vor der Abbiegespur Uhldingen knallte es dann – nur wenige Autos vor ihnen passierte der schwere Unfall.

„Ich habe jedes Zeitgefühl verloren“

„Wir mussten eine Notbremsung einlegen und standen dann schon fast neben der Unfallstelle“, erzählen die beiden. Viel Zeit zum Nachdenken hatten sie nicht. Ihnen sei sofort klar gewesen, dass sie helfen müssen. Oruc denkt zurück: „In dem Moment stand alles still. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Ohne nachzudenken, haben wir plötzlich einfach gehandelt, nur noch funktioniert.“

Er sei zunächst zum roten Unfallauto gerannt, sagt der 30-Jährige. Die Fahrerin war bereits ausgestiegen, doch der Motor war noch an. „Es hat schon angefangen zu rauchen, ich habe den Motor schnell ausgemacht.“

Ayhan Oruc kümmerte sich zunächst um dieses Auto. Nachdem die Fahrerin schon draußen war, rannte er zum Wagen und machte den Motor aus.
Ayhan Oruc kümmerte sich zunächst um dieses Auto. Nachdem die Fahrerin schon draußen war, rannte er zum Wagen und machte den Motor aus. | Bild: Mona Lippisch

Danach rannten die Männer zum Passat des 86-jährigen, mutmaßlichen Unfallverursachers. „Auf dem Weg bin ich hingefallen. Die ganze Straße war voll mit Öl. Es war rutschig“, erinnert sich Hepbasli. Am Auto des Seniors angekommen sahen die beiden die komplett eingequetschten Beine des Fahrers. Hepbasli schüttelt den Kopf. Er macht die Augen zu. „Ich bekomme das Bild nicht mehr aus meinem Kopf. Überall war Blut und die Knochen an den Beinen standen heraus“, sagt er leise.

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„Überall war Öl und Blut“

Unter Adrenalin und mit vereinten Kräften bekamen die Männer schließlich die Beifahrertüre des Passats auf. Ayhan Oruc konnte den Senior ansprechen. „Jetzt kommt es mir blöd vor – aber ich habe gefragt, wie es ihm geht. Er antwortete, dass er Schmerzen hat und seine Beine ausstrecken möchte.“

Wie die Ersthelfer erzählen, fragten sie eine Rettungssanitäterin um Rat, die in der Zwischenzeit eingetroffen war. Nachdem diese erlaubte, dass der Fahrersitz nach hinten geschoben wird, machten sich Hepbasli und Oruc an die Arbeit. Gemeinsam versuchten sie, den Mann auf dem Sitz nach hinten zu schieben.

„Es war überhaupt nicht einfach. Überall war Öl und Blut. Irgendwie haben wir es geschafft, das linke Bein des Mannes aus dem Auto zu bekommen, sodass er es ausstrecken konnte“, blickt Oruc zurück. Nachdem das Bein befreit war, blieb er bei dem 86-Jährigen und versuchte, ihn bei Bewusstsein zu halten.

Das Auto des mutmaßlichen Unfallverursachers ist im Vordergrund zu sehen. Hier packten die Ersthelfer mit an und öffneten die Türen, ...
Das Auto des mutmaßlichen Unfallverursachers ist im Vordergrund zu sehen. Hier packten die Ersthelfer mit an und öffneten die Türen, sprachen mit dem Fahrer und hielten ihn bei Bewusstsein. | Bild: Mona Lippisch

Cagdas Hepbasli eilte derweil zur Sanitäterin, die bei einem weiteren Auto um Hilfe schrie. Es war der Hyundai. In diesem Fahrzeug saß ein Mann auf dem Fahrersitz, eine Frau auf dem Beifahrersitz. Der Mann verstarb noch am selben Tag an seinen Verletzungen, wie die Polizei am Abend des Unfalls mitteilte.

In diesem Moment wollte Hepbasli einfach nur helfen. „Ich bin zur Beifahrerseite. Wegen des Airbags habe ich nicht einmal erkannt, dass dort jemand sitzt. Ich habe nach einem Messer gefragt und wir haben gemeinsam den Airbag aufgeschnitten und konnten die Frau schließlich auf die Straße legen“, erzählt der 33-Jährige. Danach sei er zur Fahrerseite und habe mit einem weiteren Helfer versucht, die Tür zu öffnen.

„Warum habe ich die Tür nicht aufbekommen?“

„Es hat einfach nicht geklappt. Die Tür war so eingedrückt und verdellt. Wir haben sie nicht aufbekommen“, sagt Hepbasli und schluckt. Dann spricht er langsam weiter: „Wenn ich darüber nachdenke, dass der Fahrer am Ende gestorben ist, mache ich mir Vorwürfe. Warum habe ich die Tür nicht aufbekommen?“

Doch vor Ort blieb den Männern nichts anderes übrig, als auf die Feuerwehr und weitere Rettungskräfte zu warten. Beide geben zu: „In dem Moment haben wir uns hilflos gefühlt. Wir hätten gern noch mehr getan.“ Doch das, was Cagdas Hepbasli und Ayhan Oruc an diesem Nachmittag überhaupt auf der Bundesstraße geleistet haben, ist keinesfalls selbstverständlich.

Beide blieben noch so lange an der Unfallstelle, bis alle Verletzten geborgen und auf dem Weg ins Krankenhaus waren. Einsatzkräfte, darunter Ewald Moser von der Feuerwehr, betonten am Montag noch vor Ort gegenüber dem SÜDKURIER, dass sie sich bei den Ersthelfern sehr für die tatkräftige Unterstützung bedanken.

Eine Kerze an der Unfallstelle erinnert an den verstorbenen 58-jährigen Autofahrer.
Eine Kerze an der Unfallstelle erinnert an den verstorbenen 58-jährigen Autofahrer. | Bild: Mona Lippisch

„In den letzten Nächten konnte ich kaum schlafen“

Einige Tage nach dem Unfall drehen sich die Gedanken von Cagdas Hepbasli und Ayhan Oruc immer noch um die schreckliche Situation auf der Bundesstraße. „Die Bilder sind präsent. In den letzten Nächten konnte ich kaum schlafen“, sagt Hepbasli. Auch Ayhan Oruc sitze das Geschehene noch in den Knochen. „Es war einfach heftig“, sagt er. Besonders nachdenklich macht die beiden Männer der Tod des 58-jährigen Hyundai-Fahrers. „Wir wünschen der Familie und allen Angehörigen viel Kraft. Wir hätten gerne mehr getan. Es tut uns leid. Wirklich“, sagen sie.