Fast 40 Jahre hat es bis zum Startsignal für die E-Loks auf der Südbahn gedauert. Solange wurde gestritten, geplant und letztlich gebaut. Darauf verwies Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der am heutigen Montagnachmittag im Zeppelin-Hangar in Friedrichshafen mit den Schubhebel umlegte. Das Projekt habe schon den Landtag beschäftigt, als er 1983 ins Parlament kam.

Jetzt ist es soweit: Mit dem Fahrplanwechsel am kommenden Sonntag, 12. Dezember, lösen elektrische Züge die alten Dieselloks auf der Strecke von Ulm nach Lindau ab. Damit ist die älteste Eisenbahnstrecke Württembergs, die 1850 in Betrieb ging, endlich zeitgemäß modernisiert – auch wenn das Wagenmaterial vorerst weiter von gestern ist.

Noch fahren die Züge auf der Südbahn, hier in Friedrichshafen, nicht elektrisch. Am Sonntag, 12. Dezember, rollt 6.31 Uhr der erste ...
Noch fahren die Züge auf der Südbahn, hier in Friedrichshafen, nicht elektrisch. Am Sonntag, 12. Dezember, rollt 6.31 Uhr der erste Regionalexpress mit E-Lok aus dem Bahnhof in der Zeppelinstadt. | Bild: Wieland, Fabiane

Während 1850 über 5000 begeisterte Menschen die erste „Schwäbische Eisenbahn“ am Bodensee begrüßten, blieben die Offiziellen bei der Inbetriebnahme diesmal corona-bedingt fast unter sich. Die meisten Gäste waren online zugeschaltet. Doch nicht nur der Ministerpräsident, sondern auch Bahn-Vorstand Ronald Pofalla kam extra nach Friedrichshafen, während Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer an seinem vorletzten Arbeitstag per Videobotschaft teilnahm.

Die Südbahn sei eines der sieben „Leuchtturmprojekte für den Deutschlandtakt“, sagte Roland Pofalla, Vorstand für ...
Die Südbahn sei eines der sieben „Leuchtturmprojekte für den Deutschlandtakt“, sagte Roland Pofalla, Vorstand für Infrastruktur bei der DB AG. | Bild: Cuko, Katy
An seinem letzten Arbeitstag als geschäftsführender Bundesverkehrsminister wünschte Andreas Scheuer der Südbahn per Videobotschaft gute ...
An seinem letzten Arbeitstag als geschäftsführender Bundesverkehrsminister wünschte Andreas Scheuer der Südbahn per Videobotschaft gute Fahrt. | Bild: Cuko, Katy
„In den letzten Jahren wurde die Schiene besser – durch große Investitionen. Denn: Die Zukunft der Bahn ist elektrisch.“
Andreas Scheuer, geschäftsführender Bundesminister für Verkehr

Ministerpräsident Winfried Kretschmann verwies trotz aller Freude über den Abschluss des Großprojekts darauf, dass Investitionen in die Infrastruktur in Deutschland zu lange brauchen. „Wir sind hier in Baden-Württemberg in einer Hightech-, in einer Boom- und Wachstumsregion und in einer der innovativsten Gegenden Europas. In eine solche Landschaft passen dröhnende Dieselloks nicht mehr hinein.“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der Inbetriebnahme der elektrifizierten Südbahn: „In eine solche Landschaft passen ...
Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der Inbetriebnahme der elektrifizierten Südbahn: „In eine solche Landschaft passen dröhnende Dieselloks nicht mehr hinein.“ | Bild: Cuko, Katy

Ob die Strecke heute unter Strom stehen würde, wenn die Region finanziell nicht in Vorleistung gegangen wäre? Zwar war der Fahrdraht 2006 im Prinzip beschlossene Sache, als sich Land, Bund und Deutsche Bahn auf den Ausbau verständigt hatten. Aber wer was und wie viel bei damals geschätzten Baukosten von 90 Millionen Euro bezahlt, blieb lange unklar.

Interessenverband Südbahn finanziert Planung vor

Erst zwei Jahre später, im Februar 2008, unterzeichnete der Interessenverband Südbahn den Finanzierungsvertrag mit der Bahn, damit die endlich mit der Vorplanung beginnt. Zwei Jahre zuvor hatten sich fünf Landkreise, 17 Städte und Gemeinden sowie zwei Industrie- und Handelskammern in der Region zusammen geschlossen, um das seit Jahrzehnten diskutierte Bahnprojekt endlich aufs Gleis zu bekommen. Sie erklärten sich bereit, 1,4 Millionen Euro vorzufinanzieren.

Die elektrifizierte Südbahn wurde symbolisch ohne im Zeppelin-Hangar in Betrieb genommen. Die meisten Gäste waren Pandemie-bedingt nun ...
Die elektrifizierte Südbahn wurde symbolisch ohne im Zeppelin-Hangar in Betrieb genommen. Die meisten Gäste waren Pandemie-bedingt nun online zugeschaltet. | Bild: Cuko, Katy

Landrat Lothar Wölfle erinnerte bei der Inbetriebnahme an die „Geburtshelfer“ von damals, „ohne die wir heute nicht hier wären“. Nun sei der Bodensee endlich zeitgemäß ans Bahnnetz angeschlossen. Bei diesem Schub für die Region dürfe es aber nicht bleiben. Wölfle und und Friedrichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand sagten, dass „nach der Elektrifizierung vor der Elektrifizierung“ sei. Jetzt sei die Bodenseegürtelbahn dran, und „darauf wollen wir nicht so lange warten“, sagte Brand.

Ende für das Dieselloch

Als Druckmittel erwies sich damals eine Studie, die der Regionalverband fertigen ließ. „Seitdem wird vom Dieselloch gesprochen“, erinnert sich Stefan Köhler, der 2006 Verbandsdirektor war und alle Kommunen abklappert habe, um für die Gründung des Interessenverbandes zu werben. „Wir haben damals festgestellt und sichtbar gemacht, dass es in Deutschland nur zwei größere Räume gibt, in denen kein einziger Streckenkilometer im Netz der Bahn elektrifiziert ist, die Grenzräume Oberschwaben-Allgäu und Ostbayern.“ Ziel war, dass die Südbahn ab 2010 in den Investitionsplan des Bundes aufgenommen wird.

„D‘ schwäbische Eisenbahn elektrisch“: Die Bauarbeiten dauerten rund vier Jahre und waren im April 2021 abgeschlossen.
„D‘ schwäbische Eisenbahn elektrisch“: Die Bauarbeiten dauerten rund vier Jahre und waren im April 2021 abgeschlossen. | Bild: Bernd Hasenfratz

Damals hätte sich jedoch keiner träumen lassen, dass die Elektrifizierung ein Jahrzehnt länger dauert als erhofft. Der Interessenverband schrieb in seiner Pressemitteilung vom 14. Februar 2008, dass die Südbahn nun „unter Einhaltung eines strikten Zeitmanagements in den Jahren 2011/12 gebaut werden“ könne. Die Zeit dränge, schrieb Köhler damals. Ab 2012 würden die Gelder von Bund und Land wohl zuerst in das Großprojekt Stuttgart 21 fließen. Genau so kam es – und die Südbahn nicht vorwärts.

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Erst im Februar 2016 unterschrieb der Landesverkehrsminister Winfried Hermann die Finanzierungsvereinbarung. Damit war der Weg frei: Das Land erklärte sich bereit, maximal 112,5 Millionen Euro zu bezahlen – „freiwillig und ausnahmsweise“, wie Winfried Kretschmann während des Festaktes sagte, denn Schienenwege sind Bundesaufgabe. Die Gesamtkosten waren zu diesem Zeitpunkt auf 220 Millionen Euro taxiert. Die zahlte am Ende der Bund allein, denn letztlich beliefen sich die Gesamtkosten auf 370 Millionen Euro, so Pofalla. Er würdigte ausdrücklich die Bemühungen des Interessenverbandes, der „das Projekt dieser Region“ gestartet und all die Jahre vorangetrieben habe.

250 Kilometer Oberleitung wurden zwischen 4000 neue Masten gezogen.
250 Kilometer Oberleitung wurden zwischen 4000 neue Masten gezogen. | Bild: Wieland, Fabiane

Im März 2018 begann parallel zum Ausbau des eingleisigen Abschnitts auf der „Bodenseegürtelbahn“ von Friedrichshafen nach Lindau-Aeschach dann auch endlich die Elektrifizierung der Südbahn. Auf rund 120 Kilometern bis Ulm wurden zwischen 4000 neuen Masten Oberleitungen verlegt. 38 Bahnübergänge, 35 Straßenüberführungen und drei Straßenbrücken sind neu entstanden. Die Bauarbeiten waren im Frühjahr abgeschlossen. Aber da fehlten noch die passenden Züge, um den E-Betrieb aufzunehmen. Die stehen jetzt parat: Doppelstockwagen mit E-Loks und acht alte Elektrotriebwagen für den Regionalverkehr, die die DB im Saarland gekauft hat.

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Und bringt die Elektrifizierung nun wirklich Vorteile?

Welche Vorteile bringt die Elektrifizierung? Reisende vom Bodensee nach Stuttgart brauchen nicht mehr umzusteigen. Stündlich fährt ein Regionalexpress ab. Eigentlich sollte der künftig deutlich schneller fahren, weil die Streckengeschwindigkeit zumindest abschnittsweise auf 160 Kilometer pro Stunde erhöht wurde. Doch die Fahrzeit verlängert sich sogar auf mindestens zwei Stunden und 21 Minuten von Friedrichshafen in die Landeshauptstadt. Der Zug bleibt weiter bis zu 20 Minuten am Bahnhof in Ulm stehen, auch wenn keine Diesellok mehr umgespannt werden muss – damit Anschlüsse funktionieren. Dafür fährt der österreichische „Rail Jet“ jetzt neu in rund einer Stunde nach Stuttgart (und weiter nach Frankfurt). Und von Friedrichshafen kommt man halbstündlich mit dem Regionalexpress nach Ulm und zurück.

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Außerdem werden der internationale Personen- und Güterverkehr in Lindau und Bregenz besser miteinander verknüpft. Die elektrifizierte Südbahn soll nach Angaben der Deutschen Bahn „ein wesentlicher Bestandteil für weitere zukunftsgerichtete Verkehrskonzepte im Sinne klimafreundlicher Mobilität sein“.