Mit einem tausendfach geklickten Video haben ein deutschlandweit bekannter Influencer und ein Friedrichshafener Unternehmen vergangenen Herbst in den sozialen Netzwerken einen Shitstorm ausgelöst – und das ganz gezielt. Inscope21 gab in einer Instagram-Story vor, mit seinen Freunden einen Baby-Delfin zu essen.

Die Attrappe in einer Box im Häfler Followfood-Büro.
Die Attrappe in einer Box im Häfler Followfood-Büro. | Bild: Fabiane Wieland

Die Reaktionen auf die vermeintliche Kochaktion ließen nicht lange auf sich warten. Tausende Hasskommentare, Entfreundungen und Social-Media-Beiträge folgten. Dann die Auflösung: der Baby-Delfin eine Attrappe aus dem 3D-Drucker, die Aktion Teil der Kampagne „Was wir essen, darf nicht die Welt kosten“ des Friedrichshafener Unternehmens Followfood. Ziel der Aktion von Followfish, eine Sparte des Unternehmens Followfood, war es, auf die Überfischung der Ozeane und die Gefährdung vieler Fischarten durch Beifang und illegalen Fischfang aufmerksam zu machen.

Wie radikal darf eine Kampagne sein?

Ist der Plan aufgegangen, fragen wir Geschäftsführer Jürgen Knoll rund drei Monate nach der Aktion. Wie sehr hat sie polarisiert und wie radikal darf eine Kampagne in seinen Augen sein? „Die Kampagne war ein Riesenerfolg“, sagt Jürgen Knoll. Gemeinsam mit der Hamburg School of Ideas habe man an dem Konzept gearbeitet. Zwölf Teams entwickelten Ideen, dann fiel die Entscheidung auf die Aktion mit dem Delfin-Baby. „Das war einfach etwas ganz anderes. Ziel war eine Guerilla-Marketing-Aktion, die national sichtbar ist“, erklärt Knoll. Dabei sollte die Kraft des Shitstorms (laut Duden ein Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht) genutzt werden.

In den sozialen Medien hatte dieses vermeintlich tote Delfin-Baby für ordentlich Wirbel gesorgt.
In den sozialen Medien hatte dieses vermeintlich tote Delfin-Baby für ordentlich Wirbel gesorgt. | Bild: Fabiane Wieland

Rasend schnell habe sich gezeigt, wie extrem die Reaktionen ausfallen, wenn jemand vorgibt, einen Delfin zu essen. „Und wie wenig auf der anderen Seite darüber nachgedacht wird, welche Konsequenzen es für die Arten in den Meeren hat, wenn man beispielsweise billigsten Thunfisch kauft – da regen sich die Leute nicht auf“, so Knoll. Daher sei die Erfahrung mit dieser Kampagne, die wochenlang fast das einzige Thema war, extrem spannend gewesen.

„Für uns war es natürlich aufregend, weil wir nicht abschätzen konnten, ob die Aktion nach hinten losgeht.“ Gezeigt habe sich dabei auch, wie schnell und heftig die Menschen reagieren, ohne kritisch zu hinterfragen. Das habe Inscope21 deutlich zu spüren bekommen. Nach dem Shitstorm habe eine Debatte über die Echtheit des Videos begonnen und damit verbunden eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema – daher habe sich die Kampagne ausgezahlt.

Kann man überhaupt noch guten Gewissens Fisch essen?

Mit der Kampagne sollen die Menschen also darauf aufmerksam gemacht werden, ihren Lebensmittelkonsum zu hinterfragen. Doch kann man heute angesichts überfischter Ozeane überhaupt noch guten Gewissens Fisch essen? „Sicherlich nicht jeden Tag“, sagt Jürgen Knoll. Insgesamt allerdings schon – vorausgesetzt, er werde nachhaltig gefangen.

Dieser Meinung schließt sich Rainer Froese vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel im Grundsatz an. „Nicht jeden Tag, aber ein bis zwei Mal die Woche kann man sicherlich Fisch essen, wenn die Tiere aus Beständen stammen, die nachhaltig bewirtschaftet werden.“

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Bei Followfish-Produkten angeln Knolls Angaben zufolge beispielsweise Fischer vor den Malediven mit traditionellen Ruten nach Thunfisch. Anders als bei schwimmenden Fischfabriken mit riesigen Netzen werde bei dieser Methode ein Fisch nach dem anderen aus dem Meer gezogen und es gebe keinen Beifang. „Wenn Fisch so produziert wird, dann können wir ihn auch heute noch genießen“, betont Jürgen Knoll. Alle Fische bei Followfish stammen nach Angaben des Unternehmens aus Bio-Aquakulturen oder MSC-zertifiziertem Wildfang. Hier werden laut Tracking-Code der Produkte beispielsweise auch Kiemen- oder Wadennetze eingesetzt.

Doch wie glaubwürdig sind solche Siegel? Rainer Froese steht dem MSC-Siegel kritisch gegenüber. Einige Bestände würden stärker befischt, als sie verkraften könnte. Trotz der Forderung von Umweltschutzverbänden und Wissenschaftlern, die Standards der Zertifizierung nachzubessern und das möglichst rasch, habe sich daran in den vergangenen Jahren nichts grundlegend verändert.

Auch die Umweltschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) ist MSC-kritisch: Aktuell reichte der WWF-Einspruch gegen die erste Zertifizierung einer Fischerei auf atlantischen Roten Thunfisch durch den Marine Stewardship Council (MSC) ein. Er warnt einer Mitteilung zufolge davor, dass die Zertifizierung mit dem Umwelt-Siegel falsche Anreize für den Markt setzt und die langfristige Erholung des Roten Thunfisch im Atlantik gefährdet. Marine Stewardship Council (MSC) gibt zum eigenen Siegel hingegen an, „wer ein Fischprodukt mit dem blauen MSC-Siegel kauft, belohnt nachhaltige Fischereien“.

Die Verbraucherzentrale Hamburg hat ganz aktuell einen Fischratgeber herausgegeben. Darin heißt es, Label und Gütesiegel könnten beim Einkauf helfen, doch weil es für Fisch so viele gebe, seien sie eher ein Problem. „Denn die Bewertungskriterien sind nicht einheitlich. Ein staatlich kontrolliertes Siegel mit transparenten Anforderungen und unabhängigen Kontrollen wäre dringend geboten.“ MSC sei der weltweit bedeutendste Standard für ökologisch nachhaltige Fischereien.

„Dennoch sind einige MSC-zertifizierte Fischereien nicht empfehlenswert.“ Daher empfiehlt die Verbraucherzentrale, dem Siegel nicht blind zu vertrauen und auch zertifizierte Fischereiprodukte auf ihre Nachhaltigkeit zu überprüfen. Jürgen Knoll sagt über die Qualitätssicherung bei Followfood: "Wir haben sehr kritische Kunden, die genau nachfragen, woher die Produkte stammen." Außerdem baue man sich bei den Lieferanten Partner auf und arbeite mit diesen dauerhaft zusammen. In Kombination mit den entsprechenden Zertifikaten sei dies als Qualitätssicherung sehr sinnvoll.

Das Häfler Unternehmen bietet neben Garnelen, Lachs, Kabeljau, Thunfisch und anderen Fischprodukten auch Pizza, Gemüse und Wein an. Weitere Produkte kommen in wenigen Wochen auf den Markt. „Neben Fisch bieten wir vor allem vegane Produkte an“, sagt Knoll. Es werde schon genug Fleisch gegessen, da brauche es nicht noch einen weiteren Anbieter. So habe man beispielsweise einen veganen Burger entwickelt. Für jedes Produkt werden dabei 5 Cent in eine Initiative für gesunde Böden investiert – mit dem Ziel einer regenerativen Landwirtschaft möglichst ohne Schaden für das Ökosystem.

Vom Burger bis zum Curry wird das Angebot nach und nach ausgebaut.
Vom Burger bis zum Curry wird das Angebot nach und nach ausgebaut. | Bild: Fabiane Wieland

Wie wirkt sich Nachhaltigkeit auf den Preis aus?

Doch wie wirkt sich das Ziel, regenerative und nachhaltige Produkte herzustellen, auf den Preis aus? „Die Yoga-Pizza kostet beispielsweise 4 Euro“, sagt Jürgen Knoll. Auf die gesamte Palette gesehen seien Followfood-Produkte etwa zehn bis 20 Prozent teurer als Markenprodukte oder sogenannte A-Ware. Also nur etwas für Großverdiener? „Nein“, sagt Jürgen Knoll: „Wir wollen keine Luxusmarke sein.“ Unter den Kunden seien viele Menschen, die das Geld, das ihnen zur Verfügung steht, bewusst ausgeben – „und sich daher für Followfood entscheiden“, sagt Knoll.

Insgesamt werden die Produkte vor allem in Städten gekauft, die Kunden seien eher weiblich und älter als 25 Jahre. Durch die „Fridays for Future„-Bewegung und eben die Kampagne kommen aktuell aber auch neue Zielgruppen hinzu, betont Knoll. Früher seien sie mit ihrer Idee, Lebensmittel nachhaltig zu produzieren, eher gegen den Strom geschwommen. „Wir waren die Exoten“, sagt Jürgen Knoll. Das habe sich inzwischen geändert, das Thema Nachhaltigkeit sei inzwischen auch in vielen anderen Firmen angekommen. „Bei uns ist es nach wie vor unser Markenkern und eine persönliche Herzensangelegenheit.“

Wildlachs aus der Tiefkühltruhe.
Wildlachs aus der Tiefkühltruhe. | Bild: Fabiane Wieland

Preisbeispiel und Nachverfolgung

Ein Wildlachsfilet von Followfish, 200 Gramm, kostet bei Edeka 6,49 Euro. Mit einem Tracking-Code auf jeder Packung soll der Kunde nachvollziehen können, wo und mit welchen Methoden sein Fisch gefangen wurde. Dazu einfach den auf der Verpackung abgedruckten Tracking-Code auf der Website eingeben oder den QR-Code scannen. Auf einer Karte wird sichtbar, wo der Fisch gefangen wurde. Außerdem werden in einer Tabelle Fangmethoden und Herkunft ausgewiesen.

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