Anton Schraff steht an dem eingezäunten Feld, das mal seins war. Statt Mais oder Apfelbäumen steht kniehoch das Gras, dazwischen kleine Baumsetzlinge. „Die Messe ist gelesen“, sagt er bitter. Der frühere Acker nahe seines Hofs gehört nun dem Bund.
„Ich hab‘ die Arschkarte gezogen“
Der Schnetzenhausener Landwirt wurde auch um diese, knapp 2,2 Hektar große Fläche enteignet. Dabei wurde das Stück gar nicht für die neue Straße gebraucht, sondern „nur“ als Ausgleichsfläche.
Aber das ist es nicht allein: Land weg, eine vierspurige Straße vor der Haustür, sein Betriebsgelände dank der neuen B 31 nun zerschnitten und ein riesiger Wertverlust für seinen Hof: „Ich hab‘ die Arschkarte gezogen“, sagt Anton Schraff mit Tränen in den Augen.
Insgesamt müssen er und seine Frau 3,8 Hektar Ackerland hergeben. 38.000 Quadratmeter von seinem Grund und Boden, die der Staat für den Bau der Bundesstraße beansprucht hat. So steht es im Beschluss des Regierungspräsidiums (RP) Tübingen, der seinem Anwalt seit Dienstag vorliegt.
War die Enteignung wirklich nötig?
„Wir werden diesen Beschluss gerichtlich überprüfen lassen“, sagt Martin Glöggler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, der Anton Schraff in diesem Rechtsstreit vertritt.
Dann befasst sich die Baulandkammer beim Landgericht Stuttgart mit dem Fall. Und wird auch die Frage stellen, ob die Enteignung des Ackers als Ausgleich für den Eingriff in die Natur durch den Straßenbau wirklich nötig war.
„Ich verstehe nicht, warum man Herrn Schraff Flächen dafür weggenommen hat, denn es hätte andere Grundstück gegeben“, sagt Martin Göggler.
Katastrophe für den Landwirt
Für Anton Schraff ist die Enteignung eine Katastrophe. Neben 13 Hektar Wald nannte er mal 16 Hektar Ackerland sein Eigen. Zwei Hektar hat er dem Staat für die damals noch zweispurig geplante B 31 verkauft. Knapp vier Hektar nimmt man ihm weg – wider Willen.
Ursache dafür ist ein Anfang 2012 misslungener Tauschvertrag mit der Stadt Friedrichshafen. Die verhandelte damals mit den Bauern und Grundstücksbesitzern, deren Land und Felder auf der künftigen B-31-Trasse liegen.
Anton Schraff sollte im Ausgleich Waldgrundstücke erhalten. So stand es im Januar 2002 unterschriebenen Vertragsangebot von der Stadt, das zehn Jahre lang galt.
Was dem Landwirt zum Verhängnis wird
Als die Flächen kurz vor Ablauf der Frist an den Schnetzenhausener Bauern übertragen wurden, war der Großteil des Waldes längst abgeholzt und für Anton Schraff nicht mehr das wert, was auf dem Papier stand. Der Tauschvertrag platzte.
Genau dieser Umstand wird dem Bauern heute zum Verhängnis. Denn im Juni 2008 wurde die neue B-31-Trasse planfestgestellt und damit auch alle Grundstücke, die der Staat für den Straßenbau und als Ausgleichsflächen braucht – auch die 3,8 Hektar von Anton Schraff. „Dieser Beschluss ist rechtskräftig“, so die Auskunft der Pressestelle des RP Tübingen.
Regierungspräsidium leitete im Juli 2018 die Enteignung ein
Im Glauben, sein Fall sei ja mit dem Tauschvertrag geregelt, verzichtete er damals offenkundig darauf, sich gegen die staatliche Landnahme im Interesse der Allgemeinheit zur Wehr zu setzen.
Denn er gehörte nicht zu den 42 Einwendern im Planfeststellungsverfahren, die vor allem wegen einer Existenzgefährdung ihres landwirtschaftlichen Betriebes Einspruch erhoben.

Jeder einzelne Einspruch wurde letztlich einvernehmlich geregelt. Anton Schraff war der Einzige, mit dem die Stadt nicht handelseinig wurde.
Deshalb hat das Regierungspräsidium Tübingen – im Auftrag der Bundesregierung gewissermaßen – im Juli 2018 die Enteignung eingeleitet. In dem Verfahren gehe es im Wesentlichen nur noch um den Eigentümerwechsel der Grundstücke sowie um die Entschädigung, so das RP auf Anfrage.
Keine Einigung über Flächentausch
Das heißt: „Über die Entscheidung, welche Grundstücke enteignet werden sollen, wird nicht mehr verhandelt.“ Daran lässt sich also nicht mehr rütteln.
Zwei Mal wurde Anton Schraff dazu gehört, zuletzt am 1. August 2019. „Die Verhandlungen zum Flächentausch sind gescheitert“, erklärt Dirk Abel, Pressesprecher beim RP Tübingen nach dem Termin. Deshalb die Enteignung als „letztes Mittel“.
Er hätte viel lieber Ersatzflächen für seinen Grund und Boden gehabt, sagt Anton Schraff. Aber was man ihm zum Tausch angeboten habe, sei für ihn als Landwirt nicht annehmbar gewesen. Mehr noch: „Ich bin stinksauer.“
Sein Ärger liegt auf diesem Acker von 2,2 Hektar am Waldrand, der heute eingezäunt ist. Dahinter hat Anton Schraff noch 1,8 Hektar Land, auf dem Mais angebaut ist. „Das war ein Schlag mit vier Hektar“, erklärt er. Bauern versuchen, möglichst große Flächen zu bewirtschaften. Jetzt muss er zusehen, wie auf dem größten Teil Sträucher wachsen.

Als Ausgleich dafür habe ihm die Stadt zwei Hektar Acker direkt an der neuen B-31-Anschlussstelle in Spaltenstein angeboten – weit weg von seinem Hof, die auch kein anderer Landwirt wollte.
„Die Stadt hat immer gesagt, sie habe keine anderen Flächen für mich“, sagt Anton Schraff. „Aber warum nimmt sie nicht ihre eigene Fläche für den Ausgleich her? Mit der kaufe ich mir doch nur Stress und Ärger ein.“
2,2 Hektar für Ausgleich enteignet
Die Stadtverwaltung könne „zur Auswahl und der Festsetzung der Ausgleichsflächen keine Aussage treffen“, heißt es von der städtischen Pressestelle, weil das Verfahren beim RP Tübingen liege.
Die Behörde bestätigt, dass auch Ausgleichsflächen bei der Planfeststellung im Juni 2008 bestimmt wurden. Ohne diese „wäre der Straßenbau rechtlich nicht zulässig gewesen.“
Man habe in diesem Verfahren im Juni 2008 darauf geachtet, „dass bei landwirtschaftlichen Flächen weniger gut geeignete Flächen für Maßnahmen des landschaftspflegerischen Begleitplans vorgesehen werden.“ Und: „Gegen die im Planfeststellungsbeschluss bestimmten Flächen wurden keine Einwände erhoben.“
Landwirt rechnet mit rund 290.000 Euro an Entschädigung
Mit dem Beschluss zur Enteignung, der jetzt schriftlich vorliegt, weiß Anton Schraff nun sicher, wie viel der Staat als Entschädigung zahlt.
Für jeden Quadratmeter neuer Straße auf seinem früheren Grund und Boden sind es 10,75 Euro. Weil zwei Drittel aber „nur“ Ausgleichsfläche sind, bekommt er für die 2,2 Hektar 7,15 Euro pro Quadratmeter, für Gewässerrandstreifen sogar nur 3,60 Euro.
Alles in allem rechnet der Landwirt mit rund 290.000 Euro an Entschädigung. Von diesem Betrag dürfe er aber ein Drittel wieder beim Staat abliefern, wenn er das Geld nicht in seinen Hof investiert. Denn dann gelte der Landverkauf wider Willen als Gewinnentnahme aus seinem Betrieb, der mit 30 Prozent zu versteuern sei. Investieren würde er in Ackerboden. Doch wer verkauft in diesen Zeiten Land?
Enteignung ist selten
- Enteignungen sind nach dem Grundgesetz ausdrücklich erlaubt – allerdings nur, wenn sie „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. So steht es in Artikel 14 des Grundgesetzes. Der ehemalige Eigentümer erhält dann eine Entschädigung, die sich am Verkehrswert orientiert.
- Nach Auskunft des Regierungspräsidiums Tübingen wurden in den vergangenen zehn Jahren in Baden-Württemberg 28 Grundstücke enteignet: für Bauprojekte elf Grundstücke mit zwölf Eigentümern, für den Bau von Fernstraßen acht Grundstücke mit elf Eigentümern, für den Bau einer Eisenbahn zwei Grundstücke mit zwei Eigentümern und für den Bau einer wasserrechtlichen Anlage sieben Grundstücke mit mehreren Eigentümern.
- Nach Angaben der Stadt Friedrichshafen konnten alle Grundstücksangelegenheiten, die für den Bau der B 31 geregelt werden mussten, im Einvernehmen mit den Eigentümern erledigt werden. Das Enteignungsverfahren im Fall Anton Schraff sei das einzige.