Nanu? Hier stimmt doch etwas nicht. Statt lasziver Frauen in sündigem Schwarz sind Mädchen in knallbunten Sommerkleidchen zu sehen. Statt Sekt an der Reling des Oberdecks der "München" wird Sangria auf der Ladefläche der "Euregia" ausgeschenkt. Und während die Malle-Party auf der Euregia langsam Fahrt aufnimmt, stehen die Freunde von Lack, Leder und nackter Haut etwas ratlos am Pier und warten auf ihr Schiff.

Weniger als sonst sind gekommen. Weniger bizarre Kostümträger und weniger Schaulustige – trotz der lauen Abendluft. "Wir radeln um den Bodensee und wollten hier in Friedrichshafen das Fußballspiel sehen", sagt ein Zuschauer aus Zürich im schwedischen Trikot. Jetzt sei er ganz überrascht, was hier so vor sich geht.

Voll in Gummi eingeschlossen, das Gesicht hinter einer Atemschutzmaske verborgen, verschnürt ein Fetischist die Handschuhe seiner "Gummipuppe". Wie eine zweite Haut umschließt sie schwarz-glänzender Latex und schon der Gedanke, so etwas anziehen zu müssen, führt zu einem Schweißausbruch. "Ich benutze dafür Babypuder oder Silikonöl,", erklärt die Dame, die durch ihre Gasmaske kaum zu verstehen ist.
Doch Babypuder habe an heißen Tagen die unangenehme Eigenschaft, Flecken auf dem Fußboden zu hinterlassen. So habe sie sich heute, da mit verstärkter Transpiration zu rechnen sei, für Silikonöl entschieden. Das Ganze daure dann etwa eine halbe Stunde.

Welcher Kontrast zu mancher offenbusigen Dame und zu Männern, die nur ihre strategisch wichtigsten Teile kunstvoll verborgen haben. "Es ist Party und nichts Anderes", sagt einer, der schon zum 14. Mal aufs Torture Ship nach Friedrichshafen kommt. Das Kopfkino der "Stinos", also der Stinknormalen, sei viel wilder als jede Realität. Es gäbe nur Diskos, Shops und "Spielmöglichkeiten" an Bord und heute hoffentlich kein Fußball.
Das sei ein totales No-Go. "Wer 65 Euro bezahlt hat, kommt ganz sicher nicht zum Fußball schauen", sagt er und führt seine devot blickende Begleiterin am Halsband vor. Drei erkennbar fußballaffine Männer schleichen verschämt vorbei, wollen lieber nicht gesehen werden.

Dann kommt Ingrid Hannemann. Im Trikot der deutschen Nationalmannschaft und Ohrringen in Schwarz-Rot-Gold ist sie auf dem Weg zum Public Viewing im Lammgarten hängen geblieben. Sie habe ihr ganzes Wohnzimmer mit Fanartikeln dekoriert und nach dem Spiel gegen Mexiko voller Zorn wieder weggeräumt. "Wenn die Deutschen heute wieder verlieren, werfe ich alles weg", sagt sie mit funkelnden Augen.
Das Ballermann-Schiff ist längst ausgelaufen, als das Boarding auf der "München" endlch beginnt. Ein knapp bekleideter Mann mit schwarz-rot-goldener Blumenkette steigt ein. "Das Schiff ist mir heute wichtiger, als das Spiel", sagt er. Auf der "München" werden wohl ganz andere Spielchen im Mittelpunkt stehen.
Das Torture Ship
Die von der Agentur "Zip-Zone" veranstaltete BDSM- und Fetisch-Party findet seit 1996 jährlich auf einem Schiff der Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB) statt. Mit über 500 Gästen ist das "Torture Ship" die größte Veranstaltung dieser Art auf einem fahrenden Binnenschiff.
Nach kontroversen Diskussionen verschärfte die BSB 2014 die Bedingungen für Charterverträge. So darf es keine gesonderten Einrichtungen für sexuelle Handlungen auf ihren Schiffen geben. Die "München" lief am Samstag zur 22. Lack-und-Leder-Party aus. (abe)