Im Dezember 2022 steigt Fritz A. aus Oberteuringen eines Morgens in ein Taxi, in dem schon eine Frau sitzt. Wenig später steigt in Friedrichshafen noch eine Frau zu. Die drei Senioren werden nach Stuttgart in die Herzchirurgie eines Krankenhauses gefahren, ein Krankentransport gewissermaßen. Hier werden sie operiert. Am OP-Tisch steht laut Bericht auch eine Ärztin, die nicht in der Stuttgarter Klinik angestellt ist. Ganz im Gegenteil: Sie ist Leitende Oberärztin am Klinikum Friedrichshafen.

Immer mehr solcher Vorfälle werden im Zuge der Untersuchungen am Klinikum Friedrichshafen bekannt. Sie werfen viele Fragen auf und lassen manche Vorfälle in einem anderen Licht erscheinen. Auch ein Chefarzt stand, genau wie die Leitende Oberärztin, regelmäßig im Stuttgarter Krankenhaus am OP-Tisch. Es tauchen immer mehr Umstände auf, die die Frage aufwerfen, ob dieser Chefarzt im Klinikum mehr Freiheiten hatte als üblich.

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Wöchentliche OPs in einer anderen Klinik

Warum operieren ein Chefarzt und die Leitende Oberärztin regelmäßig, phasenweise sogar wöchentlich an einem anderen Krankenhaus? Die erste Anfrage an die Geschäftsführung des MCB läuft ins Leere. Sie verweist auf die „Wahrung unserer Geschäftsinterna“ und auf die „Geheimhaltungspflicht“, weil ein Vertragspartner des MCB involviert sei.

Das Stuttgarter Klinikum bestätigt auf Anfrage, dass es diese Kooperation mit dem MCB seit vielen Jahren gibt und „Ärzte aus Friedrichshafen bei Operationen dabei sind und unterstützen“. Die OPs selbst würden aber federführend von Herzchirurgen des eigenen Hauses durchgeführt.

Kooperation mit Fragezeichen

Inzwischen ist auch die MCB-Chefetage auskunftsfreudiger. Demnach gibt es seit 2019 eine Vereinbarung zwischen Klinikum Friedrichshafen und der Herzchirurgie des Stuttgarter Klinikums, um Patienten in Stuttgart „gemeinschaftlich“ zu behandeln, bei denen eine neue Herzklappe mittels Kathetertechnik über die Leiste implantiert wird. Diese sogenannte Tavi-Operation darf Friedrichshafen nicht anbieten, weil das Krankenhaus keine Herzchirurgie hat.

Nun ist es gang und gäbe, dass Patienten an andere Kliniken überwiesen werden, wenn nur dort spezielle Behandlungen oder Therapien möglich sind. Eher unüblich ist es allerdings, dass eine Klinik ihre Ärzte gleich mit entsendet. Zwar sind die beiden Mediziner aus Friedrichshafen zweifellos erfahren auf dem Gebiet der minimal-invasiven Untersuchungen und Eingriffe im Herzkatheterlabor. Beide haben viele Jahre an einer Uniklinik gearbeitet und geforscht, das vor einigen Jahren als Tavi-Zentrum zertifiziert wurde. Der Chefarzt war dort Leiter des Herzklappenprogramms. Doch die Herzchirurgie in Stuttgart bietet Tavi-Operationen selbst an.

Kardiologen bei einer Tavi-Operation: Mittels Katheter wird das Implantat von der Leiste aus bis zum Herz geschoben.
Kardiologen bei einer Tavi-Operation: Mittels Katheter wird das Implantat von der Leiste aus bis zum Herz geschoben. | Bild: Sana Herzzentrum Cottbus/Benjamin Seidemann

Keine Nebentätigkeitserlaubnis nötig

Trotzdem bleibt die Frage offen: Ist es am MCB üblich, dass leitende Ärzte zumindest phasenweise regelmäßig einen Tag pro ihrer Klinik nicht zur Verfügung stehen? Für die Geschäftsführung ist das kein Problem: Deren Einsatz basiere „auf der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zwischen beiden Kliniken“. Dafür bedurfte es noch nicht einmal einer Nebentätigkeitserlaubnis. Mehr noch: Der Vorhalt, die Ärzte hätten dem Klinikum Friedrichshafen dann nicht zur Verfügung gestanden, wenn sie in Stuttgart operieren, sei „nicht gerechtfertigt“.

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Auch der Chefarzt selbst könne dazu und zu weiteren Fragen des SÜDKURIER zu diesem Engagement keine Auskunft geben, weil er sich nach Auskunft seines Anwalts „zu Betriebsinterna in einem laufenden Arbeitsverhältnis nicht äußern darf“. So bleiben viele Fragen zum Einsatz der Ärzte und zur Vermittlung der Patienten offen, welche Zusammenhänge bestehen, wer diese Entscheidungen getroffen hat und dabei wie kontrolliert wurde.

MCB: Keine Beeinflussung bei Auftragsvergabe

2023 beschloss der Gemeinderat als Hauptgesellschafter des Medizin Campus Bodensee (MCB) zudem Unterstützung beim Management einzukaufen. Vier Bieter reichten Angebote ein. Ausgewählt wurde der Betreiber des Stuttgarter Krankenhauses. Der Vertrag läuft seit Oktober 2023 für mindestens vier Jahre. Mit dieser Vergabe steht allerdings auch die Frage im Raum, ob der Chefarzt bei dieser Entscheidung involviert war. Hier bestünde ein Interessenkonflikt, wenn er vertraglich mit einer Klinik des Betreibers verbunden war. Denn 2023 gehörte er zur Geschäftsleitung. Die sei aber „weder in die Auswahl noch in die Bewertung der vorliegenden Angebote involviert“ gewesen, teilt der MCB auf Anfrage mit. Die Entscheidung habe allein der Aufsichtsrat getroffen.

Seit Dezember 2023 sieht das Klinikum Friedrichshafen sich schwerwiegenden Vorwürfen gegenüber. Im Zentrum der Vorwürfe steht unter anderem eben dieser Chefarzt, um den es hier geht. Er wurde inzwischen entlassen. Eine Oberärztin der Intensivstation hatte Ende 2023 Missstände gemeldet, die das Patientenwohl gefährden. Sie nahm sich an dem Tag das Leben, als ihr die Kündigung zugestellt wurde.

Kollegen der verstorbenen Oberärztin haben am Hubschrauber-Hangar einen Gedenkort eingerichtet.
Kollegen der verstorbenen Oberärztin haben am Hubschrauber-Hangar einen Gedenkort eingerichtet. | Bild: Cuko, Katy

Mitte Juli hat der Aufsichtsrat beschlossen, den Chefarzt zu entlassen. Das ist das erste Ergebnis der Compliance-Untersuchung, die weiterläuft. Mit den ersten Ergebnissen der internen Untersuchung geht keine strafrechtliche Bewertung einher.

Aufsichtspflicht und Verantwortung der Chefetage

Einige Fragen sind noch offen, auch die nach der Aufsichtspflicht und Verantwortung der Chefetage. Dabei zeichnet sich ab, dass sich die Untersuchungen immer mehr um Wahrung der Kontrollfunktion und eigenmächtige Entscheidungen von Führungskräften drehen. Seit Anfang des Jahres ist die externe Kanzlei Feigen Graf beauftragt, die Vorgänge aufzuklären. Dazu wurden umfangreiche Unterlagen und Daten ausgewertet und über 100 Mitarbeiter des Klinikums befragt.

Parallel ermitteln die Staatsanwaltschaften Ravensburg und Stuttgart wegen angeblicher ärztlicher Fehlbehandlung wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung bis hin zu einem vermeintlichen Abrechnungsbetrug. Das Verfahren gegen zwei Assistenzärzte wurde mittlerweile eingestellt. Bei einer Ärztin könne der Tatnachweis einer gefährlichen Körperverletzung nicht geführt werden. Das gilt auch für einen Arzt, gegen den wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt worden war. Gegen drei Beschuldigte werde weiter ermittelt. In zwei Fällen rechne die Staatsanwaltschaft damit, dass die Verfahren voraussichtlich bis Ende des Jahres abgeschlossen sind. Gegen einen Beschuldigten würden die Ermittlungen wohl länger dauern. Der Chefarzt, gegen den ermittelt wird, hat bisher alle Vorwürfe abgestritten.