Der Chefarzt, der im Zentrum der Vorwürfe am Klinikum Friedrichshafen steht, wird entlassen. Das verkündete OB Andreas Brand am Mittwoch im Auditorium des Krankenhauses bei einer Pressekonferenz. „Ich möchte betonen, dass mit den vorliegenden Ergebnissen keine strafrechtliche Bewertung verbunden ist“, sagt Brand, der Chef des Aufsichtsrats ist. Die Staatsanwaltschaften Ravensburg und Stuttgart ermitteln parallel.
Untersuchung läuft seit Januar
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist ein Ergebnis des Compliance-Verfahrens am Klinikum, das zum Medizin Campus Bodensee gehört. Seit Anfang des Jahres laufen Untersuchungen, die der Aufsichtsrat bei der Kanzlei Feigen Graf in Auftrag gegeben hat. Im Dezember 2023 waren nach dem Suizid einer Oberärztin schwere Vorwürfe gegen das Krankenhaus bekannt geworden. Die Untersuchung sollte daraus resultierende Fragen klären. Dazu wurden auch über 100 Mitarbeiter des Klinikums befragt.
Aufsichtsrat beschließt Kündigung des Chefarztes
Am Dienstag hatte der Aufsichtsrat über die Ergebnisse beraten. Am Mittwoch folgte die Pressekonferenz, nachdem die Mitarbeiter informiert wurden. Als verkündet wurde, dass der Chefarzt gehen soll, habe es im vollbesetzten Auditorium tosenden Applaus gegeben, sagte eine Mitarbeiterin dem SÜDKURIER im Nachgang. Danach traten Oberbürgermeister Andreas Brand als Vorsitzender des Aufsichtsrats und Andreas Minkoff von der Kanzlei Feigen Graf vor die Presse.

Der betroffene Chefarzt nahm auf Anfrage unserer Zeitung über seine Kanzlei Stellung zur Kündigung. Er weise die in der Presseerklärung zu lesenden Vorwürfe zurück. „Die genauen Gründe, die den Aufsichtsrat zu dieser Entscheidung veranlasst haben, wurden ihm bisher nicht erläutert“, so sein Rechtsanwalt Lucas Brost.
Hintergrund der Vorwürfe
Darum geht es: Eine Oberärztin, die am Medizin Campus Bodensee (MCB) beschäftigt war, hatte dem Chefarzt vorgeworfen, das Patientenwohl zu gefährden, indem er Komplikationen bei der Behandlung von Patienten verheimlicht habe. Zudem seien Assistenzärzte auf der Intensivstation überfordert gewesen, kritisierte sie. Nachdem die Oberärztin Ende 2023 Suizid begangen hatte, erfuhren die Ermittlungsbehörden von den Vorwürfen. Der Chefarzt bestritt diese stets.
Was ergab die Untersuchung im Detail?
Konkret geht es um Behandlungsfehler, die sich die internistische Intensivstation sowie die kardiologische Abteilung wechselseitig vorgeworfen hatten. Nach Angaben von Andreas Minkoff, der die Untersuchung leitet, stützt sich die Bewertung auf neun inzwischen abgeschlossene Fälle. Diese „ergeben ein differenziertes Bild“, so Minkoff. In zwei Fällen erhärten die medizinischen Gutachten den dringenden Verdacht ärztlicher und arbeitsrechtlicher Pflichtverletzungen gegen den betroffenen Chefarzt, heißt es weiter. Andere Vorwürfe gegen den Chefarzt hätten sich nicht bestätigt. Der Aufsichtsrat habe dem Mediziner die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Seine Einlassungen hätten ihn nur punktuell entlasten können. Der Aufsichtsrat traf in der Sitzung am Dienstag deshalb die Entscheidung, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Dazu wird noch der Betriebsrat angehört.
Behandlungsfehler der verstorbenen Ärztin
Die interne Untersuchung bezog sich auch auf einen Fall, bei dem der verstorbenen Oberärztin ein Behandlungsabbruch mit tödlichem Ausgang vorgeworfen worden war. Der medizinische Gutachter, der im Auftrag der Kanzlei Feigen Graf tätig ist, bestätigt das. Die Entscheidung der Ärztin stelle ihm zufolge „einen Verstoß gegen elementare Behandlungsstandards“ dar.
Detlef Kröger, Anwalt der verstorbenen Oberärztin, weist diese Vorwürfe entschieden zurück und fordert die Offenlegung des Gutachtens. Er betonte, dass die verstorbene Oberärztin mit Blick auf die Vorgeschichte dieses Behandlungsfalls nicht verantwortlich gemacht werden könne. „Ich halte diese Vorwürfe auch für höchst pietätlos. Jeder Anstand verbietet es, sowas gegenüber einer Verstorbenen zu machen.“
Kröger hatte bei der Vorstellung des Gutachtens erwartet, dass sich die Verantwortlichen des Klinikums vor allem bei der Oberärztin bedanken, „dass sie sie diesen Fall zum Laufen gebracht hat“. Ohne sie und die Fortsetzung des Engagements durch Angehörige hätte es keine Compliance-Untersuchung, keine Entlassung des Chefarztes sowie eine Veränderung der Intensivstation im Klinikum gegeben, sagt Kröger.
War die Kündigung der Oberärztin gerechtfertigt?
Geprüft wurde auch, ob die Geschäftsführung angemessen auf die mehrfachen Vorwürfe der Oberärztin reagiert hat. War ihre Kündigung gerechtfertigt? Dieser Fall, der nun der Oberärztin angelastet wird, soll ursächlich dafür gewesen sein, so Minkoff. Die Geschäftsleitung habe sich seinerzeit fachanwaltlich beraten lassen. Die Einleitung des Kündigungsverfahrens wurde „in besonderer Weise auf den dringenden Verdacht eines medizinisch nicht indizierten Therapieabbruchs“ gestützt. Der medizinische Gutachter im Auftrag der Kanzlei habe diesen Verdacht betätigt. Insofern habe die Geschäftsführung angemessen reagiert. Dass sie eine Beförderung sowie die Versetzung in eine andere Abteilung angeboten bekam, sei Verhandlungssache gewesen, um die Kündigung zu vermeiden. Im weiteren Verfahren soll die Compliance-Untersuchung aber die Reaktion der Geschäftsführung des Klinikums auf die Vorwürfe der Oberärztin in den Fokus nehmen.
Weitere Ärzte von Vorwürfen entlastet
Drei weitere Ärzte wurden vom Gutachter entlastet. Sie waren bis zur Klärung der Vorwürfe freigestellt worden. Der Aufsichtsrat entschied nun, sie wieder einzusetzen. Sie sollen noch in dieser Woche wieder ihre Arbeit aufnehmen können. Auch die Staatsanwaltschaft Ravensburg habe die Ermittlungsverfahren gegen zwei Ärzte zwischenzeitlich eingestellt.
Untersuchungen noch nicht abgeschlossen
Abgeschlossen ist das Compliance-Verfahren damit allerdings noch nicht. Wie Andreas Minkoff erläuterte, soll sich die Untersuchung im nächsten Schritt auf die Verwendung der sogenannten Mitra-Clips im Klinikum Friedrichshafen konzentrieren. Dabei handelt es sich um ein relativ neues Verfahren, das bei Herzpatienten zur Anwendung kommt. Aber auch die Mobbingvorwürfe der verstorbenen Oberärztin sollen bearbeitet werden. Wann hier Ergebnisse vorliegen, lasse sich derzeit nicht abschätzen, erklärte Andreas Brand.

Darum geht es bei der Compliance-Untersuchung
Im Januar 2024 hatte der Aufsichtsrat die Anwaltskanzlei Feigen Graf beauftragt, die Vorgänge zu überprüfen. In den vergangenen Monaten wurden mehr als 100 Aufklärungsgespräche mit Mitarbeitenden des Klinikums und Externen geführt sowie umfangreiche Unterlagen und Daten ausgewertet hat. Die ersten ausermittelten Behandlungsfälle wurden demnach bereits von einem medizinischen Sachverständigen begutachtet.