Telefonseelsorge bedeute, anderen Menschen Raum und Zeit zu schenken, sagt eine ehrenamtliche Seelsorgerin. Seit sieben Jahren beschenkt die 58-Jährige, die wie alle Mitarbeiter der Telefonseelsorge anonym bleiben muss, ihre Familie, Hilfesuchende und sich selbst mit diesem kostbaren Gut.
Ihr Mann, beruflich häufig unterwegs, hatte nur selten Zeit für die beiden gemeinsamen Töchter. Obwohl diese inzwischen erwachsen sind und bereits selber Kinder haben, behält die Familie das Ritual bei: Der Vater und die beiden jungen Frauen treffen sich seither am 24. Dezember im Elternhaus und verbringen vier Stunden Zeit miteinander, während sich die Mutter telefonisch den Sorgen fremder Menschen widmet.
Den Menschen die Angst nehmen
20 Minuten lang versucht sie, für diese Menschen Weihnachten entstehen zu lassen. Denn an Weihnachten, so ihre Erfahrung, poppt alles auf, worüber man in der Familie nie gesprochen hat. Alkoholiker, vor allem Frauen, schämen sich ihrer Sucht und wissen oft nicht wie sie diese vor den Enkelkindern über die Feiertage verbergen können. Sie hilft ihnen, Angst vor den unangenehmen Besuchen zu nehmen, bespricht mit ihnen, wie sie sich wappnen können. Dazu gehört auch das Erinnern an die schönen Seiten des Fests. Die Sehnsucht nach einem liebevollen Zusammensein an diesem Tag sei unsterblich, selbst wenn dies immer wieder enttäuscht wird, weiß sie.
Die Telefonseelsorge
Arm, einsam, krank
Viele Anrufer vermissen die familiäre Herzlichkeit, für manche ist es das erste Weihnachten seit der Trennung des Partners oder dem Tod eines geliebten Menschen. Die Aussage, „Ich habe niemanden“, hört sie oft von älteren Menschen. Krankheit macht sie arm und Armut macht einsam. Oder macht Armut einsam und die Einsamkeit krank? Häufig ist es dieser Teufelskreis, der Menschen in letzter Instanz zum Telefon greifen lässt.
„Wenn man nicht weiß, was passiert, wenn man den Hörer auflegt, das ist das Schlimmste.“Seelsorgerin
Und nicht selten sprechen sie über den Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Gerade die dunkle Jahreszeit verstärkt eine Depression. Kommt dann noch ein Fest wie Weihnachten dazu, auf das sie sich nicht freuen können, fühlen sich depressive Menschen doppelt ausgeschlossen. Doch solange sie bei der Telefonseelsorge anrufen, besteht noch Hoffnung, dass es etwas gibt, das sie von ihren Gedanken abbringen kann. „Wenn man nicht weiß, was passiert, wenn man den Hörer auflegt, das ist das Schlimmste“, sagt die ehrenamtliche Seelsorgerin.
Fürs Zuhören, fürs Dasein, für die Hinwendung
Trotzdem geschieht an Weihnachten auch Wunderbares. Oft riefen die Menschen an diesem Tag nur an, um sich zu bedanken. Fürs Zuhören, fürs Dasein, für die Hinwendung. Und das sei das Geschenk an sie selbst, erklärt die Ehrenamtliche. Intensiv zuhören, ganz beim Gesprächspartner zu sein, das heißt, alles andere loszulassen. Die Aufmerksamkeit ist nicht mehr nach innen gerichtet, sondern nur noch auf das, was die Hilfesuchenden sagen. „Die Möglichkeit zuzuhören ist wie die Kontemplation im Gebet“, sagt sie. Denn das Leben sei laut und deshalb sei es schön, Begegnungen zu haben, die still verlaufen.

Dieses Jahr fehlt die Fröhlichkeit
Aus demselben Grund macht Roswitha Heidbreder seit vielen Jahren an Heiligabend Dienst im Hospiz in Friedrichshafen. Es sei der Kontrast zum Kommerz, dem Stress und der Hektik des normalen Lebens, der sie dabei mit Sinn erfülle, sagt die 68-Jährige. Stimmungsvoll und liebevoll sei die Atmosphäre, denn jeder versuche, es den Sterbenskranken so angenehm wie möglich zu machen. Auch wenn in diesem Jahr alles anders ist. Deshalb fehle auch die Fröhlichkeit. Wo sich normalerweise die Gäste auf den Besuch der Familie freuen, wo kleine Tische und Stühle im Zimmer aufgestellt und Platz für den Weihnachtsbaum geschaffen wird, soll es in diesem Jahr still bleiben. Kein Gottesdienst, keine Musik, kein Singen und kein Lachen drängen den Wunsch zu Sterben in den Hintergrund.
Man muss vor allem Ruhe ausstrahlen
Nachdem die ehrenamtliche Helferin den Gästen ihr Frühstück serviert hat, ist sie offen für die Bedürfnisse ihrer Gäste. Manche lassen vor ihr das gesamte Leben Revue passieren, andere genießen ihre Gesellschaft bei einer Runde Mensch-ärgere-dich-nicht. Man müsse vor allem Ruhe ausstrahlen, sagt die Mutter von drei erwachsenen Kindern, ansonsten könne es sein, dass die Menschen laut und böse reagierten.
Sterbende wurden früher ins Bad geschoben
Seit 2001 engagiert sich die pensionierte Lehrerin im Hospiz. Neben ihrem naturwissenschaftlichen Studium in Karlsruhe hat sie eine Ausbildung zur Pflegehelferin gemacht. Als sie damals in den 70er Jahren erlebte, wie Sterbende ins Badezimmer geschoben wurden, war sie entsetzt. Als sie 1999 an den Bodensee kam, beschloss sie, einen Hospizhelferkurs zu besuchen und sich ehrenamtlich zu engagieren.
Eine Arbeit, die Wertschätzung erfährt
Dass man sich beim Helfen selber helfen kann, erlebt auch Gisela Blank. Sonn- und Feiertage seien für alleinstehende Menschen die schlimmsten Tage, da niemand Zeit für sie habe. Als sie kurz hintereinander drei ihrer liebsten Menschen verlor, hat sie sich für die Arbeit im Hospiz entschieden. Hier kann sie den hauptamtlichen Pflegekräften Arbeit abnehmen, hier wird sie gebraucht. Sie sagt: „Das ist die erste Arbeit in meinem Leben, bei der ich den Eindruck habe, dass sie Wertschätzung erfährt“.