Das hat vermutlich keiner erwartet. Oberärztin Elke Küßner zeigt intern Missstände auf der Intensivstation im Klinikum Friedrichshafen an, die das Patientenwohl gefährden. Erfolglos. Sie wird unter Druck gesetzt, ihre Vorwürfe zurückzunehmen. Das zeigen Unterlagen, die dem SÜDKURIER vorliegen. Am 1. Dezember 2023 nimmt sich die Ärztin das Leben; am selben Tag, an dem sie von ihrer fristlosen Kündigung erfährt.

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Nun sollte der Chefarzt, der im Fokus ihrer Kritik stand, gegen den strafrechtlich bis hin zum Verdacht auf fahrlässige Tötung ermittelt wird und die Vorwürfe bestreitet, über einen längeren Zeitraum einen Betrag von insgesamt 2,2 Millionen Euro und ein „sehr gutes bis gutes Arbeitszeugnis“ erhalten. Das hatte der Aufsichtsrat der Klinikum Friedrichshafen GmbH am 10. Dezember 2024 ursprünglich beschlossen. Begründung unter anderem: Die „ausgesprochene ordentliche Kündigung des Dienstverhältnisses“ sei unwirksam. Doch zehn Tage später kommt es zu einer erneuten Sitzung des Aufsichtsrats. Darin beschließt das Gremium einstimmig, einen Gütespruch nicht anzunehmen. Damit werde das Arbeitsrechtsverfahren gegen den Chefarzt vor Gericht fortgesetzt, wie der neue Oberbürgermeister Simon Blümcke in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender offiziell mitteilt. Zuvor hatte Blümcke schon darauf verwiesen, dass durch den Medizin Campus Bodensee (MCB) sehr wohl eine außerordentliche Kündigung gegen den betroffenen Chefarzt ausgesprochen worden sei.

Beschlusspapier legt Vorgänge offen

Doch der Reihe nach: Wie kam es zunächst zur Entscheidung des Aufsichtsrats am 10. Dezember? Dem SÜDKURIER liegt das Papier vor, das Grundlage für den Beschluss war. Es offenbart, dass es dem Aufsichtsrat vor allem darum ging, ein öffentliches Verfahren vor dem Arbeitsgericht zu vermeiden. Doch genau dazu kommt es jetzt.

Oberbürgermeister Andreas Brand (rechts) tritt Mitte Juli dieses Jahres als Vorsitzender des Aufsichtsrats vor die Medien und informiert ...
Oberbürgermeister Andreas Brand (rechts) tritt Mitte Juli dieses Jahres als Vorsitzender des Aufsichtsrats vor die Medien und informiert mit Andreas Minkoff von der Kanzlei Feigen Graf über erste Ergebnisse der Compliance-Untersuchung. | Bild: Cuko, Katy

Ein Blick zurück: Am 16. Juli 2024 tritt der damalige Oberbürgermeister Andreas Brand vor die Medien und informiert über die ersten Ergebnisse einer internen Untersuchung, die der Aufsichtsrat unter seinem Vorsitz ein halbes Jahr zuvor in Auftrag gegeben hatte. Die externe Kanzlei Feigen Graf sollte prüfen, was an den Vorwürfen der Leitenden Oberärztin dran ist. Ein medizinischer Gutachter attestiert darin, dass es gegen den Chefarzt „den dringenden Verdacht ärztlicher und arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen“ in zwei Fällen gebe. Erste Konsequenz: Man werde das Arbeitsverhältnis beenden. Der Aufsichtsrat erteilt den Auftrag zum Vollzug seinem Vorsitzenden. Brand betraut damit – einmal mehr – Gernod Meinel, Fachanwalt für Arbeitsrecht von der Berliner Kanzlei Raue, der sein Mandat unserer Zeitung gegenüber bestätigte.

In der Folge wurde dem Chefarzt gekündigt, der sich dagegen gerichtlich wehrt. Während viele Beobachter davon ausgegangen sind, dass das Arbeitsverhältnis damit beendet worden sei, erhält der Chefarzt offenbar weiterhin sein reguläres Gehalt. Wie das Arbeitsgericht Ulm und der MCB bereits im November 2024 übereinstimmend bestätigten, hat der Chefarzt Klage beim Arbeitsgericht eingereicht und will die Unwirksamkeit seiner Kündigung festgestellt wissen. Beide Seiten vereinbaren ein sogenanntes Güterichterverfahren, das nicht öffentlich ist.

Vereinbarung zur Verschwiegenheit

Ein erster Termin dazu beim Arbeitsgericht Ulm Kammern Ravensburg fand am 11. November statt. Was genau bei der Verhandlung zur Sprache kam, wissen aufseiten der Klinikum Friedrichshafen GmbH nur drei Personen: Geschäftsführerin Anthea Mayer, die nebst Anwalt anwesend war, darüber hinaus Ellio Schneider, nach dem Abtritt von OB Brand kommissarisch Vorsitzender des Aufsichtsrats, und der neue OB Simon Blümcke, der seit 1. Dezember im Amt ist und erstmals in diesem Gremium am Tisch sitzt. Vor dem Güterichter wird eine Vereinbarung zur Verschwiegenheit unterzeichnet. Der Aufsichtsrat soll nur über das Ergebnis der Verhandlung informiert werden. Und das lautet: Die ausgesprochene ordentliche Kündigung des Chefarztes „ist unwirksam“. Das alles steht in der Beschlussvorlage für den Aufsichtsrat.

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Unwirksam? Grund dafür soll sein, dass der Chefarzt zum Strahlenschutzbeauftragten der Klinik ernannt worden sei. Auf die Frage, wann und von wem er bestellt wurde, gibt das Klinikum wie auch auf alle anderen Fragen keine Antwort. Falls dem so ist, würde für den Chefarzt ein erweiterter Kündigungsschutz greifen.

Laut der Beschlussvorlage soll der zu schließende Vergleich „als gerichtlicher Vergleichsvorschlag im schriftlichen Verfahren im Güterichterverfahren vereinbart“ werden. Der bereits seit März 2024 freigestellte Mediziner soll danach bis zum 31.03.2026 weiterhin sein Gehalt, das in der Sitzungsvorlage mit rund 35.000 Euro monatlich inklusive Zulagen angegeben wird, erhalten. Summe: 700.000 Euro.

Nach wie vor ist beim Hangar des Rettungshubschraubers ein kleiner Erinnerungsort für Elke Küßner eingerichtet.
Nach wie vor ist beim Hangar des Rettungshubschraubers ein kleiner Erinnerungsort für Elke Küßner eingerichtet. | Bild: Cuko, Katy

Nach der Beschlussvorlage haben den Vergleich fürs Klinikum genau genommen nur zwei Personen verhandelt: der interimistische Aufsichtsratschef Ellio Schneider, im Hauptberuf Geschäftsführer der Waldburg-Zeil-Kliniken, und Anthea Mayer, derzeit von den Sana Kliniken AG entsandte Geschäftsführerin des Klinikums Friedrichshafen. Denn das hat sich 2023 externes Management eingekauft.

Verhandlungen ohne Klinik-Anwälte

Laut diesem Papier gab es zwei Videotermine beider Parteien nach der Verhandlung vor dem Güterichter, und zwar am 21. November und 27. November. Hier war der Rechtsanwalt der Häfler Klinik aber nicht zugegen, steht da. Das verwundert insofern, weil an anderer Stelle dessen hohe Kosten ins Feld geführt werden: 295.000 Euro von Juli bis November 2024. Die Rede ist nur von „in Abstimmung mit den betreuenden Rechtsanwälten“. Die finale Abstimmung lief demnach telefonisch über Ellio Schneider und den Anwalt des Chefarztes.

Freigestellt im Dienst bis März 2031

Und das steht außerdem im wörtlich so bezeichneten „Vergleichsabschluss“: Um Gerichts- und Prozesskosten zu vermeiden, soll der Chefarzt (unter Freistellung) bis Ende März 2031 weiterbeschäftigt werden. Dafür wird ein pauschales Jahresgehalt von 296.000 Euro zugrunde gelegt. Macht rund 1,5 Millionen Euro für weitere fünf Jahre. Denn: „Ein Durchstreiten der Kündigungsschutzklage beläuft sich nach Auskunft des Güterichters über alle Instanzen auf eine Verfahrensdauer 5-7 Jahre“, steht in der Beschlussvorlage.

Arbeitsrechtler sagt: „Völlig absurd“

Diese Aussage hält Arbeitsrechtler Johannes Weberling für „völlig absurd“. Der Berliner Rechtsanwalt ist seit über 30 Jahren Arbeits- und Medienrechtler, auch im Auftrag des SÜDKURIER. Er habe mehrere Verfahren bis zum Bundesarbeitsgericht gebracht. Das längste dauerte drei Jahre. Was dem Aufsichtsrat hier vorgelegt wurde, sei eine Worst-Case-Betrachtung, kein Vergleich, so Weberling. Ein Betrag von letztlich 2,2 Millionen Euro für den Chefarzt schade unter den gegebenen Umständen der Klinikum Friedrichshafen GmbH. Damit stehe der Straftatbestand der Untreue im Raum, wenn dies den Handelnden bewusst war, meint der Jurist.

Eine Erklärung für die hohe Summe könnte sein, dass man sich im Aufsichtsrat keinen unangenehmen Fragen aussetzen möchte. In der Beschlussvorlage steht explizit: Würde die Kündigungsschutzklage des Chefarztes vor dem Arbeitsgericht verhandelt, „dann ist dies ein öffentliches Verfahren“.

Nach übereinstimmenden Informationen, die dem SÜDKURIER vorliegen, hat der Aufsichtsrat des Klinikums in seiner Sitzung am 10. Dezember dem Beschlussantrag laut Sitzungsvorlage einstimmig zugestimmt. Doch eine gute Woche später folgt eine überraschende Kehrtwende. OB Simon Blümcke teilt mit, dass erst seit 17. Dezember ein Vergleichsvorschlag des Güterrichters vorliege. Dieser werde erst noch intensiv geprüft und gegebenenfalls mit dem Aufsichtsrat weiter beraten. Blümcke betont: „Ein Gütespruch oder Vergleich muss von beiden Seiten angenommen werden, das ist von unserer Seite aus definitiv nicht erfolgt.“ Auf die Sitzung und den Beschluss des Aufsichtsrats vom 10. Dezember geht Blümcke in seiner Erklärung nicht ein, verweist stattdessen darauf, dass Beratungen des Aufsichtsrats nichtöffentlich seien und der Verschwiegenheit unterliegen. Zudem befinde sich der Aufsichtsrat in einem laufenden Verfahren und wolle sich daher zu Inhalten der Beratung oder Beschlüssen nicht äußern.

Bemerkenswert dabei: Blümcke widerspricht ausdrücklich nicht, dass der Aufsichtsrat bereits einen Beschluss in der Angelegenheit gefasst hat. Er verweist lediglich darauf, dass ein Vergleich noch nicht angenommen worden sei. Stattdessen kommt es am 20. Dezember zu einer neuerlichen Sitzung des Aufsichtsrats. Dazu teilt die städtische Pressesprecherin in dürren Worten mit, dass der Aufsichtsrat der Klinikum Friedrichshafen nunmehr einstimmig beschlossen habe, den Gütespruch nicht anzunehmen. Damit werde das Verfahren vor Gericht fortgesetzt. Genau das sollte laut Beschlussvorlage vom 10. Dezember eigentlich vermieden werden.

Zwillingsschwester will Anzeige erstatten

Für Bettina Oertel, Zwillingsschwester der verstorbenen Elke Küßner, hat das Ganze mit Zufall nichts mehr zu tun. Sie ist selbst Rechtsanwältin und hält die Vorgänge um die Kündigung für „so unglaublich wie konstruiert“. Ihr drängt sich der Eindruck auf, dass es gar nicht mehr um Aufklärung der Vorwürfe ihrer Schwester gehe. Vielmehr sollten offenbar Details nicht öffentlich werden, zumal es in der ganzen Angelegenheit rund ums Klinikum auch um die Verantwortung und Haftung von Geschäftsführung und Aufsichtsrat gehe.

Bettina Oertel schaut auf ein Bild ihrer Zwillingsschwester, die vor einem Jahr Suizid beging. Der Tod von Elke Küßner, Oberärztin am ...
Bettina Oertel schaut auf ein Bild ihrer Zwillingsschwester, die vor einem Jahr Suizid beging. Der Tod von Elke Küßner, Oberärztin am Klinikum Friedrichshafen, erschüttert sie bis heute. | Bild: Cuko, Katy

Dass dem Chefarzt die im Raum stehenden Geldzahlungen zugestanden werden sollten, noch bevor die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgeschlossen sind, sei nicht zu rechtfertigen. „Hier wurde von allen Beteiligten, Klinikleitung und Aufsichtsrat zuerst, klar gegen die Interessen der Klinikum Friedrichshafen GmbH gehandelt.“

Deshalb müssten diese „ungeheuerlichen Vorgänge“ nun ihrerseits durch Strafverfolgungsbehörden untersucht und aufgeklärt werden. Oertel kündigte in einer ersten Reaktion an, Anzeige wegen des Verdachts der Untreue gegen die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat zu stellen.

Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 17.12.2024 und wurde seither mehrfach aktualisiert und unter anderem um nachträgliche Stellungnahmen von Oberbürgermeister Simon Blümcke ergänzt.