Herr Lagumdzija, warum wollen Sie Oberbürgermeister in Friedrichshafen werden?

Ich lebe seit über 40 Jahren in Friedrichshafen und hänge an der Stadt, genauso wie an der ZF, wo ich seit 26 Jahren arbeite. Ich habe als Zerspaner angefangen und bin heute Systementwickler und arbeite im Bereich Fahrzeugdynamik und Funktionsentwicklung im Team für Software-Komponenten, obwohl ich immer dachte, dass ich da wie ein Pinguin in der Wüste bin. Als die OB-Wahl ausgeschrieben wurde, hatte ich gehofft, dass sich ein Häfler aufstellen lässt, der weiß, was geändert werden muss. Da kam aber nichts und dann der Punkt, wo ich mir dachte: Dann musst Du selber aktiv werden. Alle meckern immer nur, was schlecht ist, aber wer ergreift die Initiative? Ich will ein Zeichen setzen.

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Was wollen Sie ändern?

Das ist wirklich ein großes Spektrum. Alles auf einmal geht auch gar nicht. Das Allerwichtigste für mich ist, dass Wohnraum wieder bezahlbar wird. Damit löst man viele andere Probleme.

Warum ist das für Sie ein so großes Thema?

Wir hatten ein Haus in der Friedrichsstraße, das wir verkaufen mussten, weil sich die Erbengemeinschaft auflösen wollte. Wir waren selbst ewig auf der Suche nach etwas Anderem. Deshalb kenne ich das Problem der Wohnungssuche, aber auch als Vermieter. Sie glauben nicht, wie oft Leute bei uns geklopft und gefragt haben, ob was frei sei. Unsere Mieter stehen zum Jahresende auf der Straße, weil der neue Eigentümer inzwischen allen gekündigt hat. Und sie finden nichts, was bezahlbar ist. Sowas ärgert mich.

Wie würden Sie das Problem angehen?

Die Stadt Ulm macht eine Baulandpolitik, die ich vorbildlich finde. Wer dort bauen will, muss sich das Grundstück bei der Stadt kaufen. So steuern sie die Preise. In Friedrichshafen geht das Meiste über Bauträger, die sich eine goldene Nase verdienen. Da werden für ein Grundstück in Fischbach, das einen Bodenpreis von 300 Euro pro Quadratmeter hat, 1000 Euro aufgerufen. Für ein Grundstück! Die Stadt hat das Vorkaufsrecht, aber nutzt es nicht. Die Stadt müsste doch ein Interesse daran haben, dass es sozialverträgliche Wohnungen gibt. Dann habe ich wieder mehr Azubis für die ZF, Erzieherinnen, Pflegepersonal fürs Krankenhaus. Aber wenn die was finden, kostet ein 1-Zimmer-Apartment 800, 900 Euro. Da bleibt nichts fürs Leben übrig.

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Ihr Herz hängt an der ZF, ihrem Arbeitgeber. Stadt und ZF sehen sie wie eine Ehe. In welchem Zustand ist die Ihrer Meinung nach?

Ich fände es gut, wenn es die Stadt schaffen würde, mir ihren normalen Einkünften, also ohne Zeppelin-Stiftung, zu haushalten. Das machen alle anderen Gemeinden in Deutschland ja auch. Aber hier bekommt man den Hals nicht voll. Früher hat ZF 50 Millionen Euro im Jahr an die Stadt überwiesen, damit konnte jeder rechnen. Dann sind es plötzlich 18 Prozent vom Gewinn. Mit dem Geld gründet die Stadt die Ferdinand GmbH und erklärt, dass damit Dividenden gespart werden, die auch ZF bekommen könnte, wenn es uns mal schlecht geht. Davon spricht heute keiner mehr. Das sind Gelder, die ZF heute für die Transformation fehlen. Eins ist für mich klar: Wenn die ZFler nicht mehr da sind, dann kann hier das Café auch zumachen.

Das Werk 2 des Automobilzulieferers ZF: Das Unternehmen ist essenziell für das Wohl der Stadt Friedrichshafen.
Das Werk 2 des Automobilzulieferers ZF: Das Unternehmen ist essenziell für das Wohl der Stadt Friedrichshafen. | Bild: Simon Conrads

Wie soll sich Friedrichshafen Ihrer Meinung nach verändern?

Die Stadt muss agiler werden, genau wie ihre Verwaltung. Seit Dezember läuft unser Bauantrag für zwei Dachgaupen, der ist bis heute nicht genehmigt. Und das ist nicht das einzige Problem, mit dem wir uns herumschlagen. Ich musste schmunzeln, als ein OB-Kandidat gesagt hat, das Rathaus soll mit ihm an der Spitze sowas wie ein Start-up werden. Das ist mit 1500 Mitarbeitern ein bisschen schwierig. Aber man kann die Leute motivieren, damit sie nicht mehr nur Dienst nach Vorschrift machen, sondern Spaß haben, für die Menschen, die hier leben, zu arbeiten.

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Wie stellt sich für Sie als Bürger die Entwicklung der vergangenen Jahre dar?

Nehmen wir die Friedrichstraße. Wir haben unser Haus vor 20 Jahren gekauft. Da hieß es schon, wir machen hier eine verkehrsberuhigte Zone, das war 2003. So lange doktert man an dieser Straße herum. Jetzt ist da was provisorisch umgestaltet für rund eine Million Euro. Man hätte auch erstmals ein paar Striche auf die Straße malen können und schauen, ob das funktioniert mit den Radlern auf der Straße. In der Industrie nennt man sowas Pilotprojekt. Und wie sieht es heute aus? Unser Haus hat die Firma Junker gekauft und wird das abreißen und neu bauen.

Fahrräder und Roller fahren auf der Friedrichstraße: Dieser Verkehrsweg bleibt ein heiß diskutiertes Thema in der Stadt.
Fahrräder und Roller fahren auf der Friedrichstraße: Dieser Verkehrsweg bleibt ein heiß diskutiertes Thema in der Stadt. | Bild: Cuko, Katy

Weiter vorn hat die Firma schon riesige Häuser hingebaut, die teuer verkauft wurden. Schauen Sie, wo überall Gewerbeflächen leer stehen, weil sich das keiner mehr leisten kann. Ist das gut für Friedrichshafen? Ich denke nein. Dieser Stolz, Häfler oder ZFler zu sein, der löst sich irgendwie auf. Als Bürger fühlt man sich nicht mehr wertgeschätzt. Damit geht auch die Identifikation verloren.

Ihr Rezept, das zu ändern, sieht wie aus?

Die Stadt muss sich zuerst um das kümmern, was die Menschen an Grundversorgung brauchen. Und dann dafür geradestehen, dass es lebenswert und Wohnraum bezahlbar bleibt. Nur ein Beispiel: Der Vorschlag, den Bahnhofsplatz mit Kameras zu überwachen, ist Symptombekämpfung. Vielleicht muss ich den Jugendlichen ja mal was Passendes bieten. Wo sollen die heute hin? Da oben ist das alte Werksgelände der Bahn, da wird seit Jahren von Umgestaltung gesprochen. Stadt, mach was! Vorkaufsrecht nutzen, Ideen und vielleicht auch Investoren für was Neues suchen oder ein schönes Kneipenviertel draus machen. In Friedrichshafen wird immer versucht, das Rad neu zu erfinden, statt Synergien zu suchen.