Ein schwarzer Van parkt vor der Wohnanlage St. Martin in Friedrichshafen-Berg. Im Kofferraum ist allerhand Spezialausrüstung untergebracht. Die braucht es, um einen Tatort auf Spuren zu untersuchen. Ein Mann in weißem Overall geht in eines der Apartments im Erdgeschoss. Auf seinem Rücken steht in schwarzer Schrift: „Polizei“. Er und ein weiterer Kollege sind Spezialisten der Kriminaltechnik. Sie untersuchen die Räumlichkeiten, in denen sich vergangene Woche eine Tragödie abgespielt hat. Deren Hintergründe liegen noch im Dunkeln.
Suizid oder Tötung?
Bereits am Freitag vorige Woche wurde durch Polizeiangaben bekannt: Ein 83-Jähriger Mann steht im Verdacht, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch seine 84-jährige Partnerin erschossen zu haben. Er selbst habe den Notruf gewählt und behauptet, seine Lebensgefährtin habe sich selbst getötet. Allerdings drängte sich den Ermittlern vor Ort der Verdacht auf, dass es sich vielmehr um ein Tötungsdelikt handeln muss. Der Mann sitzt in Untersuchungshaft.
Laut Polizei geschah die Tat in Ittenhausen. Doch SÜDKURIER-Recherchen an jenem Freitag kamen zu keinem Ergebnis: Niemand vor Ort wusste, wo sich die Tat ereignet haben soll.
Knapp eine Woche später erhalten wir einen Hinweis: Die Tat habe sich nicht in Ittenhausen ereignet, sondern in Friedrichshafen-Berg. Der Ort schließt sich sich nahtlos an Ittenhausen an. Demnach hätten sich die Geschehnisse in einem Heim für Betreutes Wohnen ereignet. Nach weiterer Recherche bestätigt ein Sprecher der betreibenden Stiftung Liebenau: „Ja, es hat einen Polizeieinsatz nach einem Vorfall in der Wohnanlage gegeben.“
Kriminaltechniker vor Ort
Beim Eintreffen des SÜDKURIER in Berg sind die Kriminaltechniker tätig. Das polizeiliche Siegel, das die Eingangstür in die Wohnung verschlossen hat, wurde entfernt. Als Rückstand ist ein Netz kleiner blauer Warnzeichen zu sehen. „Stopp“, ist darauf zu lesen. Ohne diese Spuren würde nichts auf die Ereignisse der vergangenen Woche hinweisen. Ein Blumenkranz schmückt die Türe, darüber ein Kreuz. Sternsinger haben ihre Kreidezeichen hinterlassen. Unter einer Blumenvase steht ein brauner Kurzhaardackel aus Porzellan.

Weitere Ermittler der Kripo kommen zum Tatort. Auch sie wollen erneut die Örtlichkeiten in Augenschein nehmen. Noch, so scheint es, ist die Spurensuche nicht abgeschlossen. Offiziell bekannt durch die Pressestelle der Polizei ist bislang lediglich: Die Waffe war nicht auf den mutmaßlichen Täter zugelassen, er besitzt keinen Waffenschein. Es gibt keine Hinweise auf Erkrankungen des Paares, der Mann war auch nicht betrunken in jener Nacht. Er sitzt in der Justizvollzugsanstalt im Ravensburger Ortsteil Hinzistobel. Und er leugnet, die Frau getötet zu haben.
Oben an einem Fenster des Hauses ist eine Frau zu sehen. Sie beobachtet das Treiben der Ermittler und grüßt. Kurz darauf berichtet Ursula Junghärtchen (84): „Die Tat belastet das ganze Haus.“ Ihre Nachbarin Helga Gutwein (79) kommt dazu und bestätigt: „Mich hat das Ganze kolossal mitgenommen.“ Gehört haben die beiden in jener Nacht nichts. Das mag daran liegen, dass sie im zweiten Obergeschoss des Hauses leben. „Doch allzu laut kann es nicht gewesen sein“, ergänzt Helga Gutwein. Sonst hätte ihr Hund Mimi angeschlagen.
„Er hatte einen guten Ruf“
Über den mutmaßlichen Täter können die beiden eigentlich nur Gutes berichten: „Er hatte einen guten Ruf im Haus“, sagt Helga Gutwein. Nachbarin Ursula Junghärtchen bestätigt: „Immer, wenn ich schwer getragen habe und er es gesehen hat, fragte er mich: ‚Kann ich helfen?‘ Er war ein gutmütiger Mensch.“ Man kennt sich hier im Haus, erzählen die beiden. Man treffe sich etwa zu Kaffeenachmittagen. Deswegen wissen die beiden, dass die Ereignisse auch andere Bewohner mitgenommen haben. „Einigen geht es psychisch schlecht“, erzählt Ursula Junghärtchen. „Manche habe auch Angst“, ergänzt Helga Gutwein. Junghärtchen fügt an: „Jeder verarbeitet so etwas anders.“ Sie selbst haben aber keine Angst, sagen die zwei dann noch. Sie beschreiben die Ereignisse vielmehr als „sehr bedauerlich“.
Alingens Ortsvorsteher Andreas Lipp, der auch für Ittenhausen und Berg zuständig ist, bestätigt ebenfalls: „In der Gemeinde geht nun nicht die Angst um.“ Dann ergänzt er: „Die Betroffenheit ist aber definitiv da.“ Doch ein großes Unsicherheitsgefühl gebe es nicht. „Es ist leider passiert und es ist eine menschliche Tragödie. Und was letztlich genau geschehen ist, wird die die Gerichtsverhandlung zeigen.“
Doch wie kam es nun eigentlich zur Meldung, die Tat sei in Ittenhausen geschehen? Die beiden Bewohnerinnen des Betreuten Wohnens sagen dem SÜDKURIER: „Das hier bei uns ist Berg.“ Tatsächlich ist es so: Wer hoch zum Gebäude fährt, passiert das Ortschild Berg. Das Gebäude selbst liegt an der Berger Halde.

Polizeisprecher Oliver Weißflog betont, dass es sich definitiv nicht um eine gezielte Fehlinformation der Polizei gehandelt hat. „Wir haben auf zwei unabhängigen Karten nachgesehen. Demnach liegt die Örtlichkeit in Ittenhausen. Ortsvorsteher Andreas Lipp war für einem Statement zu dieser Frage am Donnerstagnachmittag nicht mehr zu erreichen.