Kaum war Andreas Hein nach der Wahl für seine Dankesworte ans Rednerpult getreten, erhoben sich große Teile der CDU-Fraktion und Freien Wähler sowie zwei Genossen von ihren Sitzen und applaudierten – stehend. Es wirkte wie eine Machtdemonstration. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wird in Friedrichshafen ein Kandidat zum Bürgermeister gekürt, der nicht auf der Liste jener Partei war, die das Vorschlagsrecht hat. Das stand diesmal den Grünen als zweitstärkste Fraktion im Rat zu. Doch das zählt nicht mehr: Nur neun Stimmen entfielen in geheimer Wahl auf ihren Wunschkandidaten Yalçın Bayraktar. Acht Stadträte sitzen für die Grünen im Rat.
Erste Zäsur schon vor zwei Jahren
Dieses Drama aus Sicht der Grünen deutete sich schon vor zwei Jahren bei der Wahl des Ersten Bürgermeisters an. Patt im ersten Wahlgang, das gab‘s noch nie. Kein Bewerber hatte die Mehrheit. Auch nicht der von der CDU-Fraktion mit ihrem Vorschlagsrecht in die aussichtsreichste Position geschobene Fabian Müller. Der siegte erst im zweiten Anlauf mit zwei Stimmen Vorsprung gegen den nicht nur fachlich deutlich besser aufgestellten Mitbewerber, den der links-grüne Block deshalb favorisiert hatte. Danach hatte Philipp Fuhrmann vom Netzwerk die Wahl sogar als ‚Farce‘ bezeichnet, weil Müller nicht die fachliche Qualifikation habe.
Zwei Kandidaten auf Augenhöhe
Diesmal waren beide Kandidaten in Sachen Fachkompetenz und Führungserfahrung auf Augenhöhe. Auch deshalb ist die Wahl von Andreas Hein nicht nur eine Retourkutsche der CDU und auch der Freien Wähler, die das Vorschlagsrecht nach der letzten Kommunalwahl an die Grünen verloren haben. Dass sich sechs von sieben Fraktionen für den Stuttgarter Amtsleiter und gegen den Sozialbürgermeister von Esslingen entschieden haben, wirkt eher wie eine Abrechnung. Doch wofür?
Für die Zukunft hat diese Wahl nachhaltige Auswirkungen. Das Vorschlagsrecht zählt nicht(s) mehr. Entscheidend wird nur noch sein, wer die politische Mehrheit für einen Kandidaten organisieren kann. Wie der Gemeinderat nach der Kommunalwahl 2024 zusammengesetzt sein wird, weiß freilich heute keiner.