In der Vorstandsetage des Friedrichshafener Automobilzulieferers ZF nimmt man kein Blatt mehr vor den Mund. „Noch nie befand sich die Branche so klar in der Mitte des perfekten Sturms“, sagte ZF-Vorstandschef Holger Klein im März. Er hätte noch hinzufügen können: „Und die ZF steckt mittendrin.“ Gerade hatte er den mit mehr als einer Milliarde Euro höchsten Jahresverlust des 1915 am Bodensee gegründeten Unternehmens präsentiert.
Bis zu 14.000 Mitarbeiter in Deutschland, rund ein Viertel der Belegschaft, sollen bis Ende 2028 gehen. Und derzeit wird immer klarer, dass das wahrscheinlich nicht reichen wird. Sogar betriebsbedingte Kündigungen stehen im Raum. Man habe „keine andere Möglichkeit, als an den Grundfesten der ZF zu rütteln“, sagte Klein noch.
„Das Herz der ZF“
Was das bedeutet, wird jetzt klar. Der Konzern trifft Vorbereitungen, sein Antriebsgeschäft auszugliedern und damit bereit für einen Verkauf zu machen. Mitte der Woche tagte der Aufsichtsrat. Manche sagen, die Antriebssparte, die neben dem Bau von E-Motoren auch die Getriebefertigung umfasst, sei das „Herz der ZF“. Mit den Schaltautomaten ist das Stiftungsunternehmen bekannt und reich geworden. Aber jetzt braucht die hoch verschuldete ZF Geld. Und da kann das Herz auch anderswo weiterschlagen, in Asien etwa.
Die Zukunft großer Werke wie Saarbrücken oder Schweinfurt mit Tausenden Beschäftigten ist damit offen. Und auch in der Konzernzentrale wird man sich wärmer anziehen müssen. Auch hier arbeitet eine vierstellige Zahl von Mitarbeitern in Bereichen, die man jetzt wie im Märchen der Gebrüder Grimm ins Kröpfchen schiebt.
Das Vorhaben, sich vom Stammgeschäft mit seinen mehr als 30.000 Mitarbeitern zu trennen, kommt einer Kapitulation gleich. Mehrere Managergenerationen haben in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten ein hohes Risiko gefahren. Ihr Plan war, aus der bräsigen Zackenbude ZF durch Zukäufe einen globalen Champion zu schmieden. Jetzt ist klar: Der Plan liegt in Trümmern. Und es geht nur noch um Schadensbegrenzung.
Seit der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 hat sich der ZF-Umsatz mehr als vervierfacht. Die Zahl der Mitarbeiter ist auf 160.000 angewachsen. Angewachsen sind aber auch die Schulden für die Expansion. Auf 15 Milliarden Euro belaufen sich die Verbindlichkeiten brutto. Netto sind es 10,5 Milliarden. Das Problem ist nicht die Höhe an sich, sondern dass es der ZF seit Jahren nicht gelingt, den Geld zurückzuzahlen. Im Moment steigt die Schuldenlast sogar. ZF sitzt in der Schuldenfalle, wie Konzernbetriebsratschef Achim Dietrich jüngst treffend bemerkte.
Scheiders Fehleinschätzung
Die Falle ist zugeschnappt, weil ZF aus den Schulden nicht herauswachsen kann. Die globalen Fahrzeugmärkte liegen am Boden. Die Stückzahlen sinken, und die E-Mobilität stottert. Bei Zulieferern wie ZF schlägt das voll auf die Auslastung durch. Unter diesen Bedingungen Kredite zurückzuführen und gleichzeitig die Mitarbeiter bei der Stange zu halten und innovativ zu bleiben, gleicht der Quadratur des Kreises.
Vorstandschef Holger Klein muss jetzt aufkehren, was sein Vorgänger Wolf-Henning Scheider hinterlassen hat. Mit viel Geld und noch mehr Ambition wollte dieser ZF zum globalen Tech-Konzern umbauen. Als sich abzeichnete, dass das schiefgehen würde, verließ er das Unternehmen Richtung Schweiz.
Auf massive Fehleinschätzungen in der Ära Scheider geht auch das Kunststück zurück, dass ZF mit dem wohl besten Getriebe der Welt, das zu Hunderttausenden in BMWs und Audis eingebaut ist, heute Millionenverluste einfährt.
Kleins harte Entscheidungen
Klein, der seit Anfang 2023 bei ZF am Ruder ist, hat dieses herumgeworfen. Er hat Milliardensparprogramme eingeläutet, Stellen gestrichen und Werke geschlossen. Er hat mehr harte Entscheidungen getroffen, als seine Vorgänger zusammen. Jetzt aber verliert er den Rückhalt in der Belegschaft, die die Sparmaßnahmen bislang mitgetragen hat.
Das ist deswegen ein Problem, weil Betriebsrat und IG Metall beim Konzernumbau ein gehöriges Wörtchen mitzureden haben, etwa wenn es um Sozialpläne oder Überleitungstarifverträge geht. Zoff mit der Belegschaft aber kostet ZF wertvolle Zeit bei der Neuaufstellung.
Und Zeit hat das Unternehmen ebenso wenig wie Geld. Für die ZF, aber auch für die gesamte Region, hängt daher viel davon ab, ob es gelingt, von Konfrontation wieder auf Kooperation umzuschalten. Die Probleme der ZF sind zu groß, um einseitig gelöst zu werden.