Herr Gerstmann, Sie sind leidenschaftlicher Musiker. Welches Lied passt zur aktuellen Lage der Zeppelin GmbH: „Highway to Hell“?
So würde ich es nicht nennen. Vielleicht eher „Sympathy for the Devil“, von den Rolling Stones.
Wer ist dabei der „Devil“ – also der Teufel?
Wir haben in Russland einen Autokraten, der seine Macht ausspielt – und damit die gesamte Welt in Unruhe bringt. Im Lied geht es genau darum. Der Teufel sagt: „Ich bin für das Schlechte in der Welt zuständig.“ Und er fordert: „Begegne mir mit Sympathie, sonst bist du der nächste.“ Das passt schon gut auf Putin.
So viel scheint Ihnen dieser Teufel aber nicht anhaben zu können. Im Geschäftsjahr 2021 hatten Sie 3,7 Milliarden Umsatz bei 160 Millionen Euro Gewinn. Prognosen für das aktuelle Jahr weichen davon nicht viel ab. Warum?
Stimmt, der Umsatz könnte gleichbleiben, der Gewinn könnte etwa 100 Millionen Euro betragen – und wesentlich geringer ausfallen als im letzten Jahr.
Wie passt das zum erodierenden Geschäft in Russland?
20 Prozent unseres Geschäftes machen wir Russland, der Ukraine und Belarus. Aber wir verlieren ja nicht alles auf einen Schlag. Das erste Drittel des Jahres 2021 lief noch gut – bis zum Krieg und den darauffolgenden Sanktionen. In der Ukraine laufen die Geschäfte auch weiterhin. Insgesamt ist unser Geschäft in der Region etwa um die Hälfte eingebrochen.
Und diese Verluste können Sie anderswo ausgleichen?
Wir haben gleichzeitig extreme Zuwächse im Bereich des Anlagenbaus. Wir hatten auch ein super Jahr im Rental-Bereich, sprich der Vermietung von Baumaschinen und Lösungen für Bauprojekte. Und der Verkauf von Baumaschinen blieb auf hohem Niveau. Das ist die Kompensation.
Warum fällt dann der Gewinn geringer aus?
Wir mussten für Russland enorm viel abschreiben. Das lag daran, dass wir viele Aufträge nicht mehr ausliefern durften. Auch jede Menge Teile und Maschinen dürfen wir nicht mehr verkaufen. Hinzu kommt der Personalabbau, der in Russland sehr schwierig und teuer ist.

Wird das Geschäftsjahr 2023 wackeliger?
Russland wird auf niedrigem Niveau verharren. Caterpillar hat den Import neuer Maschinen nach Russland ganz eingestellt, wir kommen noch unseren Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern und Kunden nach. Vielleicht noch ein Fünftel unseres bisherigen Geschäftes. Für die Ukraine vermag ich es nicht zu sagen, das hängt wesentlich vom weiteren Kriegsverlauf ab.
Was wäre das Worst-Case-Szenario?
Wenn wir in Russland und der Ukraine keine Tätigkeit mehr aufrechterhalten können. Entweder durch Enteignung oder durch ein totales Embargo – oder wenn uns sonst wie das Geschäft unmöglich gemacht wird. Dann müssten wir alle Beteiligungen abschreiben. Dann wären wir bei gut 100 Millionen Verlust. Zusammen mit dem Gewinn in anderen Geschäftsfelder wären wir dann wohl bei null Euro Ergebnis.
Und was passiert im besten Fall?
Best Case ist: Der Krieg ist zu Ende. Die Sanktionen werden aufgehoben und wir können unser Geschäft in Russland wieder aufnehmen – und beim Wiederaufbau der Ukraine helfen.
Wie realistisch ist das?
Sehr unrealistisch. Weder Russland noch die Ukraine kommen ohne großen Schaden schnell aus dem Krieg raus. Es gäbe die Möglichkeit, dass China und die USA gemeinsam Druck auf die Kriegsparteien aufbauen. Aber das wird wohl kaum passieren.
Was macht das mit Ihren Mitarbeitern?
Mit der Stimmung sowohl in der Ukraine als auch in Russland ist es schwierig. Wir hatten eine 15-köpfige Delegation aus der Ukraine auf der Messe Bauma – da schauen Sie schon in einige leere Gesichter. Die Leute befinden sich in einem Land, in dem Krieg herrscht. Sie haben Angst um ihre Familien und ihr Leben. Auch bei den russischen Mitarbeitern ist die Stimmung schlecht. Manche fürchten, ihre Kinder könnten eingezogen werden. Andere glauben der Propaganda, und sind überzeugt, der Westen will Russland schaden.
Kann es sein, dass auch in Deutschland die Stimmung schlecht ist? Im Internet kursieren derzeit negative Bewertungen bezüglich der Zeppelin-Unternehmenskultur.
Wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie: Das ist eine einzige Einheit, und zwar Power Systems, quasi der Wettbewerb zur MTU. Der Bereich befindet sich in Bremen und Hamburg und ist extrem von der Lage in Russland und der Ukraine betroffen.
Mit welcher Konsequenz?
Motoren können wir in Russland fast gar nicht mehr verkaufen, der Absatz von Gasmotoren ist fast völlig zu Erliegen gekommen und zudem hat sich Caterpillar aus dem Geschäft mit speziellen Großmotoren ganz zurückgezogen. Vom boomenden Markt in der Rüstung kann der Bereich mit amerikanischen Motoren nicht profitieren, sodass die Zukunftsperspektive begrenzt ist. Daher die schlechte Stimmung. Aber wir führen gerade viele Gespräche und arbeiten daran, die Stimmung zu verbessern. Wir wollen auch in diesem Bereich die Mitarbeiterzufriedenheit, für die wir bekannt sind.
Sprechen wir über Potenziale. Wo wollen Sie wachsen?
Wir werden nächstes Jahr eine Eintrübung im Wohnungsbau haben. Das liegt an den hohen Zinsen und der allgemeinen Unsicherheit. Aber langfristig sind die Treiber unseres Geschäftes – in all unseren Märkten – die großen Megatrends, die die Gesellschaft bewegen.
Welche sind das?
Das ist die Digitalisierung, die infrastrukturell noch überhaupt nicht abgebildet ist: Wir haben noch nicht die Datenleitungen liegen, um uns zu versorgen. Wir müssen Data-Center bauen. Wir müssen dafür Stromversorgung zur Verfügung stellen. All das braucht infrastrukturelle Eingriffe – und damit Baumaschinen und Baudienstleistungen.
Was kommt hinzu?
Das, was noch viel mehr trägt, ist die Herausforderung der C02-Reduzierung. Denn ein Hauptverursacher der C02-Bilanz ist die alte Gebäudesubstanz. Was vor den 80ern gebaut worden ist, kann den aktuell nötigen Standards überhaupt nicht entsprechen. Wir werden abreißen müssen, recyceln und sortieren und nachrüsten. Sie brauchen also jede Menge Baustoffe und Erdbewegungsmaschinen, um das Ganze hinzukriegen. Auch für den Rückbau der Kraftwerke, Renaturierung der Braunkohlereviere, Modernisierung der Bahnnetze oder der Renovierung maroder Brücken braucht es Maschinen.
Das heißt, hier sehen Sie Wachstum?
Richtig, ich sehe einen stetigen Zuwachs – mit Wachstumssprüngen von 10 bis 15 Prozent in der laufenden Dekade. Wir generieren das ganz ohne Russland.
Werden Ihre Lösungen dann C02-neutral sein?
Wir von unserer Seite machen unsere Hausaufgaben. Wir bieten entsprechende Lösungen für die Bauwirtschaft, wie etwa elektrisch betriebene Baumaschinen. Aber wir brauchen natürlich auch nachhaltig produzierte Energie. Der Bedarf wird sich bis zum Ende des Jahrzehnts vervielfachen – hier sehe ich die Politik in der Verantwortung.
Blicken wir zum Abschluss nach Friedrichshafen. Finden bei Ihnen Menschen, die durch die Krisen in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, einen gut bezahlten Job?
So leicht ist es nicht. Wir bieten aber eine große Bandbreite an Tätigkeiten als Facharbeiter. Ob das nun Techniker oder Mitglieder der Vertriebsteams: Das sind nicht nur Akademiker, sondern vornehmlich Ausbildungsberufe. Hier stellen wir immer wieder ein – und qualifizieren stetig neue Kollegen und Kolleginnen. Aber das Thema Fachkräftemangel ist bei uns derzeit noch kein existenzielles Thema.