Amtsinhaber Andreas Brand geht sieben Monate vor Ablauf seiner zweiten Amtszeit in den Ruhestand. Nun wählen die Friedrichshafener am 29. September einen neuen Oberbürgermeister. Sieben Kandidaten treten an, alle kommen aus der Region. Mit Johannes Henne und Simon Blümcke sind zwei Verwaltungsprofis am Start.
Henne, 37, ist seit 2017 Bürgermeister in der Nachbargemeinde Immenstaad. Seit 2004 ist er CDU-Mitglied, er tritt aber als unabhängiger Kandidat an.
Simon Blümcke, 49, ist seit 2015 Erster Bürgermeister von Ravensburg, zuvor war er zwölf Jahre Bürgermeister von Hagnau am Bodensee. Er tritt als unabhängiger und parteiloser Kandidat an.
Ihre Erfahrung in der Wirtschaft sehen Franz Eduard Gruber und Markus Werner als großes Plus. Gruber, 61, ist Gründer und heute Beirat der Ravensburger Firma Forcam, er verweist auf vielfältige unternehmerische Expertise.
Markus Werner, 56, aus Friedrichshafen ist Diplomingenieur und führt eine 20-jährige Tätigkeit in Spitzenpositionen in mehreren Firmen ins Feld. Seit ein paar Jahren kümmert er sich um die Landwirtschaft seiner Familie.
Frank Schmid, Jahrgang 1967, aus Friedrichshafen arbeitet bei ZF und ist auch selbstständiger Immobilienmakler. Über Erfahrung in einer öffentlichen Verwaltung verfügt er nicht.
Das gilt auch für Rocco Granato, 48, aus Meckenbeuren, der bei ZF arbeitet und keinen Wahlkampf geführt hat. Dieter Baldauf, 66, ist selbstständiger Schlosser in Friedrichshafen und bislang politisch nicht in Erscheinung getreten.
Wer auch immer das Rennen macht: Die Herausforderungen für den neuen OB sind gewaltig. Neben der Leitung einer Stadtverwaltung mit etwa 1500 Mitarbeitern hat der Häfler Oberbürgermeister etliche gewichtige Themen, um die er sich wird kümmern müssen. Dazu kommt eine Friedrichshafener Besonderheit: ZF, Zeppelin und die Zeppelin-Stiftung.
Wohlstand ist in Gefahr
Dank des breit aufgestellten Mittelstands und Industrie-Schwergewichten gilt die Stadt als wirtschaftliches Zentrum am Bodensee und als reich. Doch der Wohlstand ist in Gefahr: Der Automobilzulieferer ZF (168.700 Mitarbeiter, 46,6 Milliarden Euro Jahresumsatz) steckt mitten in der Transformation hin zur Elektromobilität.
Das Unternehmen ist durch Übernahmen hoch verschuldet und hat jüngst Kostensparpläne und Jobstreichungen verkündet.

Die ZF-Krise trifft die Stadt ins Herz. Denn ZF und die Zeppelin GmbH (ca. 10.000 Mitarbeiter, Jahresumsatz rund 4 Milliarden Euro) sind Stiftungsunternehmen. Beide Firmen sorgen üblicherweise dafür, dass über Dividendenzahlungen jährlich zig Millionen Euro in die stadteigene Zeppelin-Stiftung fließen.
Damit ließen sich soziale und kulturelle Projekte finanzieren und neue Bäder oder Kitas bauen. Sollten die ZF- oder Zeppelin-Millionen ausbleiben, ginge vieles nicht mehr. Als ZF-Aufsichtsrat, Vorsitzender des Zeppelin-Aufsichtsrats und Vorsitzender der Zeppelin-Stiftung hat der Oberbürgermeister enormen Einfluss auf die Industrieriesen. Diese Rollen adäquat auszufüllen, ist anspruchsvoll.
Einst noch große Projekte realisiert
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Spielräume enger werden. Es gilt unter den OB-Kandidaten gesetzt, dass die fetten Jahre vorbei sind und die Stadt ein Sparprogramm braucht. Noch vor wenigen Jahren leistete sich die Stadt ein neues Sportbad sowie ein See- und Freibad.
Wie sicher ist Friedrichshafen? Dieses Thema entzündete sich erneut während des Wahlkampfs mit Blick auf den Bahnhofsbereich. Laut Statistik ist die Kriminalitätsrate in Friedrichshafen zwar rückläufig. Aber das Gefühl der Unsicherheit wächst anscheinend, wie eine Umfrage der Verwaltung ergeben hat. Ein kommunaler Ordnungsdienst ist bereits beschlossen und soll im Januar 2025 starten. Kontrovers wurde in den letzten Wochen die Frage diskutiert, ob die Innenstadt videoüberwacht werden soll.
Sorge bereitet seit etlichen Jahren der Bodensee-Airport, hier ist die Stadt mit knapp 40 Prozent Gesellschafter. Der Flughafen steckt in den roten Zahlen, immer wieder muss Geld nachgeschossen werden. Seit dem Wegfall der Lufthansa-Flüge zum Drehkreuz Frankfurt hat der Airport weiter an Fluggäste und Bedeutung verloren.
Nicht erst seit dem OB-Wahlkampf stellt sich die Frage nach der Zukunft des Airports und möglicher alternativer Verwendung des Areals. Warum dort nicht stattdessen ein neues Stadtquartier für so dringend benötigten Wohnraum entwickeln oder Flächen fürs Gewerbe schaffen? Baulandpolitik bleibt ein Dauerbrenner der Stadt. Die meisten Kandidaten bekräftigen, dass die Stadt, die über zwei kommunale Wohnungsbaugesellschaften verfügt, mehr Geld in die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum stecken muss.
Klinikum weiter im Fokus
Noch immer zu spüren sind die Schockwellen rund ums Klinikum und der Aufarbeitung der schweren Vorwürfe gegen die Einrichtung nach dem Tod einer Oberärztin. Hier das Vertrauen der Beschäftigten und Patienten wiederzugewinnen, dürfte für die Klinik-Geschäftsführung und den neuen Oberbürgermeister eine Daueraufgabe werden.
Die Stadt ist Hauptgesellschafter der Klinikum Friedrichshafen GmbH und der Oberbürgermeister Aufsichtsratsvorsitzender. Das Klinikum steckt tief in den roten Zahlen, auch hier muss die Stadt immer wieder Millionen zuschießen. Außerdem steht die Grundsatzentscheidung an, ob die Klinik saniert oder neu gebaut werden soll.
Immerhin scheint es bei der im städtischen Besitz befindlichen Messe wieder bergauf zu gehen. Im Coronajahr 2020 musste die Stadt noch 7 Millionen Euro zuschießen, um eine Insolvenz abzuwenden.
Impulse für die Innenstadt
Ein anderes Thema hat der Oberbürgermeister direkt vor Augen, wenn er aus seinem Dienstzimmer blickt: Wie muss sich die Innenstadt weiterentwickeln, dass sie für Einheimische und Gäste attraktiver wird?
Allein die Lage am See wird nicht ausreichen, um für eine gute Aufenthalts- und Erlebnisqualität zu sorgen. Bemühungen, den nahen Uferpark grundlegend neu zu gestalten, sind steckengeblieben, auch hier besteht Handlungsbedarf.

Spannend wird für den neuen Oberbürgermeister, wie sich die Arbeit mit dem neu gewählten Gemeinderat gestaltet. Hier ist erstmals die AfD mit vier Kandidaten eingezogen. Zusammenarbeiten, Brandmauern ziehen? Darauf werden CDU, Freie Wähler, SPD, Grüne, Netzwerk, FDP, Linke und ÖDP/Unabhängige Antworten finden müssen.