Tim Haider hat das Laptop bereits startklar. Ab Montag lernt der Siebtklässler ausschließlich von zuhause, denn die Schulen sind bis 31. Januar erstmal geschlossen. Er hat Glück: er hat ein eigenes Zimmer, WLAN und einen Laptop, wenn auch er den von der Mutter leihen muss. „Ich glaube, bei mir funktioniert das noch ganz gut, aber es gibt schon viele, die nicht so damit klar kommen“, sagt der Gymnasiast.
Tim findet es „cool“, länger schlafen zu dürfen und sich die Aufgaben, die seine Lehrer über die Online-Plattform „Moodle“ verschicken, selbst einzuteilen. „Oft verstehe ich aber die Sachen nicht so schnell wie in der Schule, denn eigentlich erklärt sie uns auch niemand“, sagt er. Dann chattet er mit Freunden oder fragt die Eltern, die allerdings auch beide berufstätig und nicht immer ansprechbar sind.
Doch das eigentlich Nervige, so findet Tim, ist nicht das Lernen zuhause, sondern das viele Alleinsein. „Die Freunde nicht richtig zu sehen, ist schon echt ziemlich doof“, erklärt der 13-Jährige, „nach der letzten langen Homeschooling-Zeit war ich wahnsinnig froh, wieder in die Schule zu dürfen.“
Lara Zodel (8 Jahre), die eine dritte Klasse der Fischbacher Grundschule besucht, vermisst ihre Freundinnen bereits nach dreieinhalb Wochen Ferien. „Normalerweise sehe ich ja alle und kann mit meinen Freunden in der Pause spielen. Es macht mich schon ein bisschen traurig, wenn das so lange nicht mehr geht“, sagt sie. Zuhause lernen sei schwieriger für sie, weil sie öfter abgelenkt sei. „Ich denke aber, ich krieg das schon hin und meine Mama hilft mir ja auch“, erklärt Lara. Außerdem freut sie sich, im Moment nicht so früh aufstehen zu müssen. „Aber eigentlich wäre es schon gut, wenn sie die Schulen bald wieder aufmachen.“
Keine Planbarkeit und Verlässlichkeit: Eltern werden stark belastet
„Ich verstehe diese radikalen Schließungen der Schulen ohne Differenzierungen nicht“, sagt Sonja Venger, Mutter eines Kita- und eines Grundschulkindes und Inhaberin einer Anwaltskanzlei. Seit Monaten sei klar, dass Kinder nicht „Treiber des Pandemiegeschehens“ seien – und dennoch würden ihre Grundrechte unverhältnismäßig stark eingeschränkt.

Auch die Antwort der Politik auf die Schließungen – die Erhöhung des Kinderkrankengelds um zehn Tage pro Elternteil – hält sie für zu wenig durchdacht. Zum einen stünden diese Leistungen vielen Eltern, beispielsweise Selbstständigen, überhaupt nicht zu. Zum anderen sagt sie: „Wenn alle Kinderkrank-Tage nehmen, wie sollen denn Unternehmen noch handlungsfähig sein – und diese Milliarden-Hilfen finanzieren?“ Venger und ihr Mann sind beide selbstständig, beide haben Angestellte und Verantwortung. Da könne man nicht wochenlang einfach pausieren.
„Die, die ohnehin Leistungsträger dieser Gesellschaft sind, werden nun doppelt belastet“, sagt Venger, „und besonders viele Mütter sind am Rande ihrer Kräfte nach diesem ständigen Nervenkrieg und Gezerre um die Kitas und Schulen.“ Die Anwältin unterstützt daher den Vorstoß von Kultusministerin Susanne Eisenmann, die Kitas und Grundschulen ab 18. Januar wieder zu öffnen und wünscht sich schnellere Impfung der Erzieher und Lehrkräfte.
Gesamtelternbeirat: Nicht alle haben die Möglichkeit zu unterstützen
Auch der Gesamtelternbeirat Schulen in Friedrichshafen beschreibt die aktuelle Situation als eine „Zerreißprobe„ – und zwar für alle Beteiligten.
„Wir wissen, wie wichtig und wertvoll der Präsenzunterricht für unsere Kinder ist. Nicht nur, weil nicht jedes Elternhaus die Möglichkeit hat, sein Kind im Homeschooling zu unterstützen, sondern auch, weil der Schulbesuch ein wichtiges Stück Normalität und Struktur für die Schüler bedeutet“, erklärt Vorsitzende Sonja Utz. Die Schulen seien zwar bemüht, auch die rund 650 iPads seien nun geliefert, aber es fehle an fachlicher Unterstützung in Bezug auf eine optimale digitale Ausstattung und Infrastruktur.
Gibt es noch Bildungsgerechtigkeit unter diesen Bedingungen?
Für die Gesamtelternbeiratsvorsitzende ist klar: „Eine sogenannte Bildungsgerechtigkeit ist unter diesen Bedingungen nicht möglich.“ Viele Schüler, vor allem die Älteren, hätten zwar je nach Schulkonzept gelernt, selbstständig zu arbeiten, aber es hänge zu viel an äußeren Gegebenheiten wie Geschwisterkinder, eigenes Zimmer, eigene technische Ausstattung) und der Unterstützung des Elternhauses ab. „Nicht ohne Grund gibt es in Deutschland die Schulpflicht als wichtige Grundvoraussetzung und Chance für eine mögliche Bildungsgerechtigkeit“, sagt Utz.
Eltern und Kinder – sie alle haben eins gemeinsam: Den großen Wunsch nach Normalität – in Klassenräumen, aber auch im Elternhaus.