Hier gibt es keine B31 und keinen überfüllten Bodenseeradweg. Hier gibt es gute Luft, Wälder und Greifvögel, die am Himmel kreisen. Und wenn sich Beute aus der Böschung stiehlt, stürzt der Jäger hinab – beispielsweise auf der Wiese an der Sonnenhalde im Ortsteil Steigen. Auf dieser 1,5 Hektar großen Mähwiese wachsen der Glatthafer und die Aufrechte Trespe. Nicht mehr lange: Drei Bauplätze sollen hier entstehen gemäß Bebauungsplan der Gemeinde - sehr zum Unverständnis der Anwohner.

Sie sagen: Es gehe ihnen nicht um ihre Alpensicht aus dem Wohnzimmerfenster, es gehe ihnen um den Umgang mit der Natur. „Die Wiese ist wichtiges Bindeglied zwischen Wohngebiet und Wald“, erklärt beispielsweise Claudia Hall. Der Bebauungsplan weist den Untergrund als Gefahrenhinweisfläche für Rutschungen aus und die Wiese ist ein nach EU-Richtlinie geschützter Lebensraum. Die Anwohner äußern auch Zweifel, wie die Naturschutzfläche ausgeglichen werden soll. Anwohnerin Cora Hall sagt zusammenfassend: „Wir können nicht nachvollziehen, warum ausgerechnet hier gebaut werden soll.“
Warum Neubau bei so viel Leerstand?
Die Anwohner haben vieles gegen das Projekt unternommen. Nun haben sie sich an den SÜDKURIER gewendet, um erneut auf das Thema aufmerksam zu machen. Der Anlass war eine Zahl, die in Heiligenberg für Aufsehen gesorgt hatte: In der Gemeinde gab es im Mai 2022 86 leer stehende Wohnungen, wie die Zensus-Daten zeigen und der SÜDKURIER Anfang September berichtete. Die Anwohner der Sonnenhalde merkten diese Zahl bei der dritten Offenlage des Bebauungsplans an und fragten sich: Warum soll in unserer Nachbarschaft neu gebaut werden, wenn es so viele Leerstände gibt?
Prozentual auf die 1471 vom Zensus erhobenen Wohneinheiten in Heiligenberg gerechnet, stehen 5,8 Prozent der vorhandenen Wohnungen leer. Fast die Hälfte davon seit zwölf Monaten oder länger – das ist prozentualer Spitzenwert im Landkreis. Dahinter liegen Überlingen und Frickingen. Diese Gemeinden sind Beispiele für eine Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt, die das Pestel-Institut im August in einer Studie im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) veröffentlichte. Demnach stehen bundesweit in ländlichen Räumen tausende Wohnungen leer und seien auch nicht mehr bewohnbar.
Das sind die Gründe für die Leerstände
Bürgermeister Denis Lehmann war verwundert, als er von den 86 leer stehenden Wohneinheiten in seiner Gemeinde las. „Die konnte ich mir nicht erklären“, sagt er. Eigene Daten dazu hat die Gemeinde dagegen nicht. Mit Verweis auf das Einwohnermelderegister erklärt er, dass im Jahr der Zensus-Erhebung 32 Wohnhäuser leer standen. Ende August 2023 waren es 28 Wohnhäuser. Wie viele leere Wohneinheiten jeweils darunter waren, kann er nicht sagen.
Die leer stehenden Häuser sind mehrheitlich alte Landwirtschaftsgebäude. „Oft sind es schwer sanierungs- oder renovierungsbedürftige Häuser oder Erbgemeinschaften, die sich nicht einig sind“, erklärt Lehmann. „Oder die meist älteren Besitzer haben keine Lust mehr auf Vermieter oder es wäre ihnen zu kompliziert, diese Häuser zu sanieren.“

Eine Gemeinde habe wenig Einfluss darauf, was Eigentümer mit ihren leeren Häusern machten. „Damit sich da etwas tut, braucht es den Mut der Eigentümer“, sagt er. Eine Verwaltung könne auf diese zugehen und beispielsweise für eine Sanierungsförderung durch die Landesregierung werben, die Gemeinde unterstütze bei der Erstellung des Antrags. Aktuell liegen drei Anträge bei der Gemeinde, bei denen Bauvorhaben rund um alte Landwirtschaftsgebäude mit Landesgeldern gefördert werden sollen. Bald werden sie nach Stuttgart geschickt.
Sie lässt ein Bauernhaus sanieren
Eines dieser wohl bald geförderten Bauvorhaben findet sich bei Rita Brovelli im Ortsteil Röhrenbach. Sie wohnt in einem Bauernhaus, das im Jahr 1803 gebaut wurde. Früher war im Erdgeschoss eine Gaststube und die Bewohner betrieben Landwirtschaft. Heute befinden sich darin vier Wohneinheiten. Ein weiterer Hausbereich soll zu einer 90 Quadratmeter großen Wohnung ausgebaut werden. „Momentan ist dort noch der Boden kaputt, alles staubig und es stehen Arbeitsgeräte aus den 1930er-Jahren drin“, sagt sie.
Bereits in der Vergangenheit ließ Brovelli Teile ihres Hauses mit Geldern vom Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR) ausbauen und hat damit gute Erfahrungen gemacht. Für das anstehende Bauvorhaben rechnet sie mit Kosten von mindestens 120.000 Euro. „Ich hoffe auf 30 bis 35 Prozent Unterstützung. Den Rest stemmen wir durch eigene Ersparnisse und einen Kredit.“
Wenn in einigen Monaten der Förderbescheid eingegangen ist, wird sie Handwerkertermine organisieren. Das werde alles aufwändig, bereuen tut sie es aber nicht, sagt sie. „Man muss Lust haben, so ein altes Gebäude umzugestalten.“ Für ältere Leute sei es die Mühe möglicherweise nicht wert; jüngere hätten „keinen Kopf dazu“. Nicht zu unterschätzen seien aber die Richtlinien im Rahmen der gesetzlichen und klimafreundlichen Sanierungspflicht, will sie interessierten Eigentümern auf den Weg geben. Durch Solarflächen auf dem Dach und eine passende Heizungstechnik habe sie aber bereits vorgesorgt, sagt sie.
Sie sucht bezahlbaren Wohnraum
Wenn Brovellis Wohnung fertig ist, bietet sie Raum für Wohnungssuchende wie Victoria Vlcek. Die Yogalehrerin und Gesundheitspraktikerin lebt seit fast 20 Jahren in derselben Wohnung in Steigen. Auf 48 Quadratmetern zahlt sie 560 Euro Warmmiete, möchte aber umziehen, da sie seit der Pandemie zu Hause arbeitet und nun etwa 70 Quadratmeter benötige, sagt sie. Finanzierbare Wohnungen habe sie unter den wenigen Anzeigen auf dem Heiligenberger Wohnungsmarkt lange nicht gesehen.
Ob Leerstände sanieren oder neuen Wohnraum schaffen – Vlcek wünscht sich, dass es in der Gemeinde mehr Mehrfamilienhäuser mit bezahlbaren Mieten gibt. Sie habe sich für Wohnungen bei einem Bauareal angemeldet, wo zwei Drittel der Wohnungen auf 30 Jahre deutlich günstiger vermietet werden.
„Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, genügend Wohnraum zu moderaten Preisen zu schaffen und die Natur und das Gesamtbild zu verschönern“, sagt sie. Dennoch findet sie es wichtig, dass auch der Lebensraum außerhalb der Häuser so gestaltet sei, dass es für alle eine Freude ist, hier zu leben.
Er steht im Zwiespalt
Die Idylle des Ortes erhalten, bezahlbaren Wohnraum schaffen, Eigentümer zu Sanierungen überreden und Leerstände verringern: All das erwarten die Bürger von Denis Lehmann. Als Bürgermeister stehe man bei vielen Themen im Zwiespalt, sagt er, dann müsse man „ganzheitlich“ auf eine Gemeinde schauen. Das heißt in diesem Fall: Mit bereits entstehenden Neubauten attraktiven Wohnraum für Neubürger bieten. Das heißt aber auch: „exklusiven Wohnraum“ ausweisen, wie Lehmann sagt. Trotz Konflikten mit Anwohnern.
Lehmann habe Verständnis für den Unmut der Anwohner von der Sonnenhalde. Da die Gemeinde aber überschaubare Einnahmen durch die Gewerbesteuer habe, seien Grundstückserlöse bei der Vergabe von Bauplätzen und die Einkommenssteuer dieser Bewohner eine wichtige Möglichkeit, sagt er zu dem umstrittenen Bauplätzen. Dass dies zu Spannungen in der Bevölkerung und Veränderung der Siedlungsstruktur führe, sei ein unbequemer Teil seines Jobs.
„Als Bürger kann man begrenzt etwas unternehmen“
Für die Anwohner von der Sonnenhalde ist das kein Trost. Das Fazit nach ihrem jahrelangen Engagement scheint ernüchternd: „Als Bürger kann man da begrenzt etwas unternehmen“, sagt Cora Hall. Mit dem Amtsvorgänger hätten sie bei einem Ortstermin über das Bauprojekt gesprochen, ein echter Austausch sei das aber nicht gewesen. Mit dem aktuellen Bürgermeister wolle man auch darüber reden, das sei trotz Einladung aber nie zustande gekommen. „Er ist weiterhin für einen Austausch willkommen“, sagt Cora Hall.