Marlene Grüner ist in ihrem Element. Mit zwei Beuteln und einer Zange bewaffnet geht sie am Bodenseeufer entlang und sammelt ein, was nicht in die Natur gehört. Neben Plastik in allen Stadien des Zerfalls kommen massenhaft Zigarettenkippen in die Tüte. Dann stößt sie zwischen den Steinen auf die Scherben einer Bierflasche. Jeden der für Menschen und Tiere gefährlichen Splitter sammelt sie auf. In den anderen Sack.

Glasscherben kommen in einen separaten Beutel und werden zu Schmuck verarbeitet.
Glasscherben kommen in einen separaten Beutel und werden zu Schmuck verarbeitet. | Bild: Anette Bengelsdorf

Buchten, die sie zu Fuß nicht erreichbar sind, steuert sie mit ihrem Stand-up-Paddel-Board an. Tüte und Zange gehören zu ihrer obligatorischen Ausrüstung. Auch wenn sie mit ihrem Camper Urlaub macht, begleitet sie der Leitspruch: „Ich verlasse einen Ort sauberer, als ich ihn vorgefunden habe.“ Und warum? „Aus Liebe zur Natur. Um ihre Schönheit zu erhalten und um zu verhindern, dass Tiere leiden“, sagt Marlene Grüner.

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2016 begann die Frau mit den braunen Dreadlocks, Müll zu sammeln und beteiligte sich an verschiedenen Clean-Ups. Dreimal täglich geht die Immenstaaderin mit ihrem Hund spazieren. In den schwarzen Hundekotbeuteln sammelt sie dann nicht nur dessen Hinterlassenschaft, sondern auch Zivilisationsmüll, den Menschen achtlos zurückgelassen haben. Müll, der in die dafür vorgesehenen Container gehört.

Auf ihren Spaziergängen sammelt Marlene Grüner alles, was nicht in die Natur gehört.
Auf ihren Spaziergängen sammelt Marlene Grüner alles, was nicht in die Natur gehört. | Bild: Anette Bengelsdorf

Immer öfter beschäftigte die Erzieherin das Thema Umweltschutz. Durch ihre Ausbildung zur Kreativpädagogin lernte sie auch verschiedene Handwerkstechniken kennen und fragte sich, in welcher Weise sie Umweltschutz mit Kreativität verbinden könnte. Glasperlen drehen faszinierte Marlene Grüner, und Glasscherben fand sie in großen Mengen und in verschiedenen Farben am See. Als sie einen Kurs belegen wollte, machte ihr Corona einen Strich durch die Rechnung. Also brachte sie es sich mit Videos selbst bei.

Scharfkantige Scherben erhitzt sie mit einem Gasbrenner. Sind diese wachs- bis honigweich, zieht sie diesen „Glasteig“ mit Zangen auseinander, bis dünne Stäbe entstehen. Bis zur Geschmeidigkeit erhitzt, wickelt sie diesen Stab um einen Metalldorn. Damit sich das Metall nicht mit dem Glas verbindet, ist dieser mit einem Trennmittel beschichtet. Aufgerollt auf ihrem Dorn verbringen die Perlen anschließend bis zu acht Stunden in einem Kühlgranulat. Werden sie zu schnell kalt, besteht die Gefahr, dass sie reißen. In abgekühltem Zustand kann Marlene sie von den Dornen drehen und das Trennmittel aus dem Loch entfernen.

So wird aus weichem Glas eine Perle.
So wird aus weichem Glas eine Perle. | Bild: Anette Bengelsdorf

Anfangs, erzählt Marlene Grüner, habe sie Perlenarmbänder gemacht, war aber mit dem Garn, auf das sie die Perlen auffädelte, nicht zufrieden. Als sie einen Bericht über die Basstölpel auf Helgoland sah, über die majestätischen Vögel, die tot in den Resten von Fischernetzen hingen, entschied sie sich dafür, für ihre Perlen diese Garne zu verwenden. Vielleicht könnte sie so, dachte sie, auf das Problem der im Wasser treibenden Netze aufmerksam machen. „Ich will den Umweltgedanken in die Welt tragen“, sagt Grüner.

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Eine andere Art von Scherben sind die, die die Natur bearbeitet hat. Diese sogenannten Meeresedelsteine entstehen in einem rund 20 bis 40 Jahre dauernden Prozess. Durch den jahrelangen Aufenthalt in den Ozeanen werden die Scherben von Sand, Steinen und Salzwasser abgeschliffen und im Laufe der Zeit immer trüber und milchiger. Auch am Bodenseeufer findet Marlene solche Exemplare. Jedoch ist der Prozess ohne Salz und Sand viel weniger effektiv.

Hat der See das Glas rund geschliffen, verarbeitet es Marlene Grüner auch zu Knöpfen.
Hat der See das Glas rund geschliffen, verarbeitet es Marlene Grüner auch zu Knöpfen. | Bild: Anette Bengelsdorf

Marlene Grüner füllt eine Kunststoffschale mit Wasser, legt eine solche Scherbe hinein und durchbohrt sie mit einem feinen Diamantbohrer. Das Wasser kühlt den Bohrer und hält Splitter fest, sollte das Glas springen. So entstehen Knöpfe und Anhänger für Halsketten.

Glas bohrt Marlene Grüner unter Wasser. Zur Kühlung und für den Fall, dass es springt.
Glas bohrt Marlene Grüner unter Wasser. Zur Kühlung und für den Fall, dass es springt. | Bild: Anette Bengelsdorf

Ihren Schmuck präsentiert sie an ihrem Stand auf dem Kulturufer selbstverständlich auf recyceltem Material. Schmuckhalter sind aus gebrauchtem Karton geschnitten und von Hand gestempelt, ihre Visitenkarten aus Kosmetiktücher-Schachteln gemacht. Im vergangenen Jahr wurde ihrer Manufaktur deshalb von der Deutschen Bodensee Tourismus GmbH (DBT) das „Echt-nachhaltig-Siegel“ verliehen.

Mit der Eröffnung des Kulturufers begann für Marlene Grüner ein neuer Lebensabschnitt. Nicht nur fiel dieser Tag auf ihren 40. Geburtstag, er war auch der erste Tag ihrer Selbstständigkeit. Ein Tag voller Emotionen. Marlene wollte mehr Zeit in ihr Projekt Seeglas investieren und gab dafür ihre Stelle als Erzieherin auf. Jetzt hat sie den Kopf frei, um ihre Ideen weiterzuentwickeln. Das Projekt soll wachsen.