„Es kann jeden treffen, egal welchen sozialen Status er hat“, sagt Angelika Websky, die beim Sozialamt der Stadt Markdorf arbeitet. Dort nimmt sie Anträge für Sozialhilfe oder Grundsicherung von Bürgern entgegen. Aber nicht jeder, der vor dem Raum mit der Nummer sieben steht, will deswegen zu Websky. Sie ist mitunter für das Bestattungswesen zuständig und hilft auch, wenn jemand einen Landesfamilienpass beantragen möchte. „Es will also nicht jeder Anträge auf Sozialhilfe oder Grundsicherung abgeben“, sagt die Rathausmitarbeiterin. Folglich bestehe kein Grund, sich zu schäme. Auch deswegen nicht, weil Bedürftigkeit nichts „Ehrenrühriges“ sei.

Angelika Websky, Sachbearbeiterin im Markdorfer Rathaus nimmt die Anträge auf Grundsicherung oder Sozialhilfe nur entgegen. Entschieden ...
Angelika Websky, Sachbearbeiterin im Markdorfer Rathaus nimmt die Anträge auf Grundsicherung oder Sozialhilfe nur entgegen. Entschieden wird im Landratsamt. | Bild: Jörg Büsche

Besonders gefährdet, stärker als noch vor wenigen Jahren, sind inzwischen Rentner. Im Zehnjahresrückblick ist die Armutsquote dieser Gruppe um 33 Prozent angestiegen – es sei die negativste Entwicklung aller Gruppen, heißt es im Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Finanzielle Notlagen würden inzwischen jedem sechsten Rentner drohen. Das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ spricht von 16,8 Prozent Altersarmut in Deutschland.

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51 Menschen ab 65 Jahren waren bis Ende 2019 in Markdorf von Altersarmut betroffen, also auf eine Grundsicherung angewiesen. Das gibt das Kreis-Sozialamt in Friedrichshafen auf Nachfrage des SÜDKURIER bekannt. Diese Zahlen kennt Angelika Websky nicht. „Viele, die hier sitzen sagen: Schauen Sie doch in ihren Computer.“ Der aber, so erklärt die Sachbearbeiterin, zeige ihr keine Statistiken. Ihre Arbeit im Rathaus befasse sich ausschließlich mit dem Stellen von Anträgen.

Betroffene meiden Öffentlichkeit

Dass Altersarmut oft nicht ins Auge fällt, weiß Renate Hold vom Leitungsteam des Markdorfer Mehrgenerationenhauses. Unter den Betroffenen herrsche Scham und Zurückhaltung. „Die Leute erscheinen kaum noch in der Öffentlichkeit“, erzählt Hold. Einkäufe würden rasch erledigt. Fürs Shoppen fehle es ohnehin an Geld. „Die Menschen ziehen sich zurück und meiden irgendwann überhaupt soziale Kontakte.“

Renate Hold nennt ein Problem, das kaum bewusst sei – auch, weil es tabuisiert werde. „Im Alter nimmt die Inkontinenz zu.“ Ein zusätzlicher Kostenfaktor, der, wenn er nicht abgefedert werden kann, zusätzlich an die eigene Wohnung bindet. „Wenigstens gibt es in Markdorf die „Nette Toilette“, die in vielen Lokalen allen offen steht“, sagt Hold. Ein weiterer Aspekt ist ein fehlender Stadtbus in der Gehrenbergstadt. „Manch einer kommt zu Fuß kaum noch den Hang hinunter.“

„Der Staat alleine kann das nicht lösen. Da müssen wir schon als Gesamtgesellschaft ran.“
Renate Hold, Leiterin Mehrgenerationenhaus

Sie plädiert in diesem Zusammenhang für mehr Nachbarschaftshilfe: „Der Staat alleine kann das nicht lösen. Da müssen wir schon als Gesamtgesellschaft ran.“ Ein freundliches Hilfsangebot sei unter Umständen der erste Schritt aus der selbstgewählten sozialen Isolation. Denn von sich aus würden Senioren nicht bitten. „Sie wollen auf keinen Fall lästig sein“, weiß Hold.

„Nach mehr als 40 Jahren Arbeit will man nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein.“
Günther Wieth, Leiter der Markdorfer Tafel

Diesen Eindruck hat auch Günther Wieth, Leiter der Markdorfer Tafel. Nach mehr als 40 Jahren Arbeit „will man nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein“, sagt er. Den Gang in den Tafelladen würden einige als Schmach empfinden. An dieser Stelle sei ein Umdenken nötig, sagt Wieth. Gedanken machen sich die Tafel-Organisatoren auch über alternative Verteilmodelle, die dabei helfen sollen, die Berührungsängste abzubauen.

Christel Wieth (links) und Ursula Zorell-Hennig kümmern sich darum, dass sich arme Senioren gesund ernähren können – sofern sie ...
Christel Wieth (links) und Ursula Zorell-Hennig kümmern sich darum, dass sich arme Senioren gesund ernähren können – sofern sie die Tafel aufsuchen. | Bild: Jörg Büsche

Jochen Brühl, Bundesverbandsvorsitzender der Tafel, schlug im vergangenen Herbst vor, Senioren mit speziellen Angeboten anzusprechen. Was keineswegs einfach sei, wie Günther Wieth erzählt. So steht den Organisatoren etwa die Datenschutzgrundverordnung im Weg, wenn sie bedürftige Senioren ansprechen wollen. „Wir wissen also gar nicht, wie groß der Kreis der in Armut lebenden Senioren ist.“

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17,3 Prozent sind ältere Kunden

Die Zahl der Tafelkunden sei relativ konstant, erklärt Günther Wieth. Aber: Inzwischen machen ältere Menschen 17,3 Prozent der Kunden aus. Wieth vermutet, dass sich hier nur die Spitze des Eisbergs zeigt. Renate Hold blickt auf die Zahlen des Statistischen Landesamts. Nach diesen wächst die Gruppe der Senioren. Laut Statistik ist im Jahr 2030 jeder Vierte älter als 65 Jahre – derzeit ist es noch jeder Fünfte.

Damit Armut nicht einsam macht, laden Maria Senjaryan, Marine Harutyunyan und Renate Hold (von links) in die Cafeteria des ...
Damit Armut nicht einsam macht, laden Maria Senjaryan, Marine Harutyunyan und Renate Hold (von links) in die Cafeteria des Mehrgenerationenhauses zur Begegnung ein. | Bild: Jörg Büsche

Hold geht davon aus, dass fünf bis acht Prozent von Altersarmut betroffen sein könnten. Sie sieht Handlungsbedarf. Einen ersten Schritt habe das Mehrgenerationenhaus getan: Es lädt Jung und Alt in die Cafeteria ein, um sich zu begegnen. Und wenn die Rente nicht reicht, um eine unerwartete Reparatur zu bezahlen, gibt es Hilfe aus dem „Altersgroschen“.

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