Markdorf – Der Mann sei ein Mensch mit viel politischem Gespür gewesen. Markdorfs Stadtarchivar Walter Hutter spricht über Gustav Robert Oexle. In allerbescheidensten Verhältnissen aufgewachsen, vergaß der gebürtige Sipplinger nie seine Herkunft – und wusste sich auch als späterer NSDAP-Politiker stets an dem zu orientieren, "was die Armen hören wollten", erklärt Hutter.

Darüber hinaus aber ahnte Gustav Robert Oexle auch immer rechtzeitig, wann es an der Zeit war, sich wieder abzuwenden von einem seiner zahlreichen politischen "Freunde", wenn die in Ungnade gefallen waren. Eine Fähigkeit, die ihn, den Kreisleiter der NSDAP, den zunächst von Robert Ley installierten, später vom Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß übernommenen "Reichsgebietsinspekteur" der Partei auch dann noch seine Karriere fortsetzen ließ, nachdem Heß nach England geflogen war. Unter Martin Bormann, dem Leiter der Parteikanzlei, wurde Oexle 1942 "Sonderbeauftragter der Parteikanzlei" mit Dienstsitz, eigenem Wagen und zeitweise sogar einem eigenen Adjutanten in Nußdorf.

Die Bodensee-Landschaft, so Hutter, sei ein Pfund gewesen, mit der NSDAP-Sonderbeauftragte Oexle zu wuchern wusste. "Seinen Einladungen an den See sind die Parteigrößen immer gern gefolgt." Hutter spricht von einer Art "Bodensee-Diplomatie", die Oexle betrieben habe. Und mit seinen sich später wiederholenden Kontakten zu Hitler beeindruckte Oexle die Überlinger Parteigenossen schon zu Beginn seiner Laufbahn.

Dass die Parteileitung der NSDAP in Nußdorf eine Außenstelle besaß, ist heute kaum bekannt. Wie so vieles, was sich politisch-organisatorisch unterhalb der Gauleiter-Ebene abgespielt hat, erläutert Walter Hutter. Eine intensivere Beschäftigung mit den darunter liegenden Chargen setzte um 2000 ein. Die Rolle Oexles blieb aber weitgehend im Nebel.

"Haben wir denn keine anderen Probleme" und "Wann ist denn endlich Schluss mit solchen Debatten?", zitieren die Macher des Info-Faltblatts zu "Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus dem Bodenseeraum" jenem Sammelband, in dem Walter Hutter die Ergebnisse seiner Recherchen zu Gustav Robert Oexleer skizziert hat, die wohlvertrauten Einwände gegen die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus. Auch mit diesem Band verfolge der Gerstettener Kugelberg-Verlag das erklärte Ziel, das "Große Schweigen" zu brechen, mit dem die nationalsozialistischen Tätergeschichten zum Teil bis heute bemäntelt werden. Der Verlag kapriziert sich dabei insbesondere auf das Geschehen im "Nahbereich". Also auf den Bereich, der Markdorfs ehrenamtlichen Stadtarchivar schon länger beschäftigt.

Bereits in den 1980er Jahren befasste sich Hutter intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus am Bodensee. In einem vom Kreisarchiv herausgegebenen Doppelband veröffentlichte der heute pensionierte Lehrer die gemeinsam mit Schülern des Markdorfer Bildungszentrums festgehaltenen Ergebnisse einer aufwendigen Recherchearbeit zur Phase des Nationalsozialismus in der Gehrenbergstadt. Einen weiteren Band erstellte er zusammen mit Lehrerkollegen zu Überlingen im Dritten Reich. Doch die Zeit, sich intensiver mit den Spuren des Nationalsozialismus am Bodensee zu befassen, die fand Hutter erst wieder nach seiner Pensionierung.

Aktuell arbeitet Hutter an einem Aufsatz über Wilhelm Mensch, dem Bürgermeister in Markdorf während der NS-Zeit. Gerade in der Kommunalpolitik, so erklärt der Stadtarchivar, seien die Verhältnisse für diese Phase komplex. In den unteren Parteikadern seien alle Schichten vertreten. Wie das Beispiel der Bodensee-Gemeinden zeige, reiche das Spektrum von sozialen Aufsteigern wie Gustav Robert Oexle bis hin zu promovierten Akademikern. Da sei der Blick auf den jeweiligen Einzelfall geboten.

Und der wurde Hutter bei Oexle erleichtert, da ihm private Aufzeichnungen des NS-Politikers anvertraut wurden. Darüber hinaus waren auch die Tageszeitungen jener Zeit eine ergiebige Quelle für Hutter. Von dem im Band "Täter, Helfer Trittbrettfahrer" veröffentlichten Aufsatz gibt es übrigens noch eine Langversion, erklärt Walter Hutter. In der zum Beispiel die unrühmliche Rolle Oexles in einem Schauprozess gegen einen wegen "Rassenschande" Angeklagten weiter ausgeführt wird.

Hutters Aufsatz erschien im Band "Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus dem Bodenseeraum", herausgegeben von Wolfgang Proske, Kugelberg-Verlag Gerstetten, 19,99 Euro.