Herr Kelbing, das Telefon klingelt. Können Sie‘s überhaupt noch hören?

(lacht) Schon. Es hat ja monatelang überhaupt nicht geklingelt. Jedenfalls hat keiner angerufen, um nach einem Termin zum Haareschneiden zu fragen. Das ist jetzt anders. Die ersten Anrufe kommen schon um viertel nach sieben. Und dann steht das Telefon nicht mehr still. Ich kann es kaum aus den Händen legen – muss es überall mit hinnehmen.

Haben Sie mit diesem Andrang gerechnet während des jüngsten Lockdowns?

Dass wir wieder öffnen dürfen, habe ich schon gehofft. Die Frage war, wann es wieder soweit ist. Lange Zeit hat ja keiner gewusst, wie es weiter geht, was kommt.

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Zuletzt sind Stimmen laut geworden, die Kritik üben. Stimmen, die die Entscheidung, dass die Friseure wieder öffnen – vor allen anderen Einzelhandelsgeschäften – so nicht in Ordnung gefunden haben. Ärgert Sie das?

Es kommt, wie es kommt. Beim ersten Lockdown durften die anderen Geschäfte alle 14 Tage früher aufmachen als wir. Nun sind wir eher dran. Und wir sind gut vorbereitet. Weil wir alles nur Erdenkliche getan haben, um die Hygienemaßnahmen voll und ganz zu erfüllen.

Was hat der Lockdown mit Ihnen gemacht – gab es da emotionale Löcher?

Sicher hat es die auch manchmal gegeben. Man fragt sich schon, wie es weiter gehen soll. Was geschieht, wenn der Lockdown noch sehr viel länger anhält. Am Ende hat aber immer der Überlebenswille gewonnen. Aufgeben geht nicht.

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Sind Sie eine Kämpfernatur?

Aber sicher. Nach jedem Hinfallen heißt es wieder aufstehen, Krone zurechtrücken – und weitergehen. Wir leben hier mit zehn Personen im Haus. Da gibt es eine Verantwortung. Ja, auch eine Verpflichtung – immerhin besteht das Friseurgeschäft seit 1957. Da hat es mein Schwiegervater gegründet. Und schlechte Zeiten hat es schon öfter gegeben.

Sie bilden selber aus. Wie wählen Sie dabei aus?

Es muss passen.

Und woran merken Sie, dass es passt?

Zum Beispiel lege ich sehr großen Wert auf Höflichkeit und Freundlichkeit. Da bin ich eher ‚old school‘ – so mit In-die-Jacke-Helfen und so. Ganz wichtig ist auch, dass jemand zum Team passt. Deshalb entscheide ich auch nicht alleine, sondern spreche mit meinen Mitarbeitern, was sie für einen Eindruck haben.

Was ist wichtig für den Friseurberuf? Also jenseits des Talents, Haare gut schneiden zu können?

Friseure müssen gut auf Menschen eingehen können. Wir müssen sehr kommunikativ sein. In unserem Beruf bekommt man sehr viel zu hören. Manchmal mehr, als einem lieb ist. Deshalb ist unbedingte Verschwiegenheit Pflicht. Fast so wie bei Ärzten – nur dass wir keinen Eid schwören müssen. Noch was ist ganz wichtig: Gib einem Kunden niemals Ratschläge. Das geht nie gut.

Herr Kelbing, ein ganz anderes Thema: Sie haben vorhin von dem erheblichen Aufwand gesprochen, den Sie zur Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln während der Corona-Pandemie leisten müssen. Das halten fast alle Ihre Kollegen so – aber eben – nur fast. Empört Sie das?

Und wie. Ich bin stinksauer. Im Rathaus hat es geheißen, das Problem sei bekannt. Aber so lange keiner eine Anzeige macht, seien der Verwaltung die Hände gebunden…

Tatsächlich?

Tatsächlich! Aber hingehen und jemanden anschwärzen, das geht dann doch nicht. Das würde ich nicht machen.

Herr Kelbing, wie halten Sie es mit der Mode? Wie bleiben Friseure da auf dem Laufenden?

Wir haben Online-Plattformen mit Informationen über neue Trends. Und es gibt ja auch noch die Fachpublikationen.

Geht hier alles oder müssen Sie bestimmte Trends weglassen?

Es geht schon eine Menge, aber am Ende doch nicht alles. Manche Trends sind eher was für die Großstadt. Das sind immer Geschmacksfragen. Aber grundsätzlich gilt: Mir muss ja nicht alles gefallen.

Herr Kelbing, wir sitzen hier im Bereich für die Damen. Drüben in der Herrenabteilung sieht es ganz anders aus. Hier ist es gediegen, elegant eingerichtet, dort hängt ein rostiges Moped, hängen Nummernschilder an der Wand und diverse andere Dinge, die man eher in einer Werkstatt erwarten würde als in einem Friseursalon. Werden Sie von Ihren Kunden auf dieses Sammelsurium hin angesprochen?

Natürlich. Es kommt von Neukunden auch regelmäßig die Frage nach dem Wieso.

Und was antworten Sie dann?

Weil ich mir da einen Traum erfüllen wollte: Ein ‚Spielzimmer‘ mit meinem Arbeitsplatz kombinieren, einen Bereich so einrichten, wie er mir gefällt.

Sind das alles persönliche Erinnerungsstücke?

Nicht unbedingt, das Moped ist ein Scheunenfund, der da so hängt, wie er bei seiner Entdeckung war. Das gute Stück ist aber das Geschenk von einem Kunden. Es gibt auch Autoteile. Ich bin ein großer Fan von Ami-Schlitten. Dort steht ein altes Radio. Und es gibt den prachtvollen alten Friseur-Stuhl aus den 1960er-Jahren.