Das war eine ganz neue Erfahrung: „Normalerweise ducken sich Störche, wenn sich eine Gefahr nähert“, erklärt Ira Gemmeke. Dieses Mal hat sie die Gefahr dargestellt. Und die Annäherung geschah per Drehleiter. Die hatte die Freiwillige Feuerwehr nach Ittendorf gebracht. Weil Ira Gemmeke die beiden Jungstörche beringen wollte – im Nest an der Ahauser Straße, quasi im Hinterhof des „Adlers“.

Wundern sich über den Feuewehreinsatz vor ihrem Nest: die beiden Jungstörche hinter dem Gasthof Adler.
Wundern sich über den Feuewehreinsatz vor ihrem Nest: die beiden Jungstörche hinter dem Gasthof Adler. | Bild: Jörg Büsche
Patrick Krebs steuert die Drehleiter zum Horst.
Patrick Krebs steuert die Drehleiter zum Horst. | Bild: Jörg Büsche

Die Storcheneltern waren nicht zuhause. Sie kreisten hoch droben, in sicherem Abstand über ihrem Nachwuchs. „So machen die das immer“, erläutert die Storchenberingerin aus Markdorf. Derweil stellen sich die Jungen tot. „Das ist angeborenes Instinktverhalten.“ Und lässt Raubvögel in der Regel ihr Interesse an der der im Horst gefundenen Beute verlieren. „Wer mag schon Aas essen?“, merkt Ira Gemmeke an. Und tote Tiere im Storchennest kommen tatsächlich vor, wenn der Nachwuchs bei schlechtem Wetter erfroren ist.

Storchenberingung mit der Feuerwehr Video: Jörg Büsche

Zugehackt habe er nicht gerade, berichtet Ira Gemmeke vom gleichwohl renitenten Jungstorch. Aber ihr Tuch habe sie dann doch über dem Vogel ausgebreitet, „damit er Ruhe gibt“. Woran die Widerspenstigkeit des fast drei Kilo schweren Jungstorchs gelegen hat, könne sie sich auch nicht erklären. „Sonst zucken sie nicht einmal.“ Begegnet sei ihr das ungewöhnliche Verhalten bisher noch nie.

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Drehleiter statt Arbeitsbühne

Gleichfalls ganz neu war die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr. Üblicherweise mietet sie Arbeitsbühnen an, wenn es heißt, hoch zum Storchenhorst zu fahren, um Meister Adebars Nachwuchs Ringe anzulegen. „Andernorts wird auch auf die Feuerwehr zurückgegriffen“, erklärt Ira Gemmeke, „in unseren Naturschutzgebieten geht das aber nicht, dafür sind die Fahrzeuge zu schwer.“

Sonst mietet Ira Gemmeke Arbeitsbühnen an, wenn sie Störche beringt. In Ittendorf kann sie die Feuerwehr heranziehen.
Sonst mietet Ira Gemmeke Arbeitsbühnen an, wenn sie Störche beringt. In Ittendorf kann sie die Feuerwehr heranziehen. | Bild: Jörg Büsche
Erstmals mit seinen Leuten bei einer Storchenberingung im Einsatz: Mathias Brutsch, der Kommandant der Abteilung Stadt.
Erstmals mit seinen Leuten bei einer Storchenberingung im Einsatz: Mathias Brutsch, der Kommandant der Abteilung Stadt. | Bild: Jörg Büsche

Ihre Anfrage bei den Wehrleuten für das erst seit 2021 bestehende Nest in Ittendorf wurde gleich positiv beschieden. Wodurch die Beringungsaktion im Horst hinter dem Gasthof Adler zum öffentlichen Ereignis wurde. Denn als der rote 16-Tonner mit seiner 30-Meter-Leiter anrückte, seine Abstützungen ausfuhr, um endlich mit sattem Brummen den Korb auf Horst-Höhe zu hieven, lockte das mehr und mehr Anwohner an. Mütter und Väter kamen mit ihren Kindern aus der Nachbarschaft, zeigten auf das Geschehen in der Höhe.

Jung-Adebar lugt aus der Tasche.
Jung-Adebar lugt aus der Tasche. | Bild: Jörg Büsche

Allzu viel war von unten jedoch nicht zu sehen: außer der Beringerin und Daniel Websky, dem Feuerwehrmann neben ihr im Korb. Ab und zu ist eine rot-weiß-gestreifte Tasche zu erkennen. Wozu sie dient, bleibt vorläufig ein Rätsel.

Schlafplatz mit Ausblick: das Storchennest bei Ittendorf.
Schlafplatz mit Ausblick: das Storchennest bei Ittendorf. | Bild: BUND

„Da hebe ich die Störche rein, damit ich sie wiegen kann“, erklärt die unterdessen wieder auf dem Boden angekommene Ira Gemmeke. Das Gewicht der Tiere festzustellen, sei ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Auffällig an den beiden Ittendorfer Jungstörchen sei ihr großer Gewichtsunterschied. Einer bringe 2,85, der andere lediglich 2,45 Kilogramm auf die Wage. Sie benutzt übrigens eine handelsübliche Kofferwaage, erläutert die Storchenberingerin.

In luftiger Höhe heißt es, beherzt zuzupacken.
In luftiger Höhe heißt es, beherzt zuzupacken. | Bild: Jörg Büsche
Kehren vom Einsatz zurück. Ira Gemmeke und Daniel Websky.
Kehren vom Einsatz zurück. Ira Gemmeke und Daniel Websky. | Bild: Jörg Büsche

Wiegen, beringen und dann die Hygiene

Erst das Wiegen, dann folgt das Beringen. „In geraden Jahren kommt der Ring ans rechte Bein“, so Ira Gemmeke. Dementsprechend zeigen Ringe am linken Bein die ungeraden Jahre an. Schließlich folgt die Hygiene. Wenn die Markierung sitzt, reinige sie die Schnäbel. „Zurzeit ist es ja trocken“, da müsse sie die Tiere nicht von Schmutz-Batzen befreien, die sich um die „Mundwinkel“ festgesetzt haben. „Manchmal pappt dicker Modder an den Schnäbeln.“ Wichtiger aber sei: Das gute Wetter bedingt, dass mehr Jungstörche überleben als etwa vor drei Jahren. Da sei es zu kalt und zu nass gewesen. Länger als zwei, drei Tage halten die jungen Störche das nicht aus. Sie sterben.

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Im Dienste der Wissenschaft

„Mich faszinieren Störche einfach“, erklärt Ira Gemmeke. Beim BUND Markdorf betreut sie das Storchenmonitoring der Ortsgruppe. Und sie kümmert sich um die sogenannte Storchencam. Die Videokamera hat den Horst auf dem Bischofschloss im Blick – und liefert Naturfreunden Bilder vom Brutgeschehen und den Entwicklungsfortschritten der Störche.

Frisch beringt: die Ittendorfer Jungstörche.
Frisch beringt: die Ittendorfer Jungstörche. | Bild: BUND
Ira Gemmeke (von links) zeigt  Rosina Mancino, Lydia Mancino, Angelo Mancino und Alessandro Mancino  die Bilder aus dem Nest.
Ira Gemmeke (von links) zeigt Rosina Mancino, Lydia Mancino, Angelo Mancino und Alessandro Mancino die Bilder aus dem Nest. | Bild: Jörg Büsche

Das Beringen erledigt Ira Gemmeke jedoch für die Vogelwarte Radolfzell. Und die arbeitet fürs Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. „2017 habe ich den Kurs in Radolfzell gemacht und mich zur Beringerin ausbilden lassen.“ Seither betreut sie die Storchenhorste rund um Markdorf. In diesem Jahr waren das vier Nester mit insgesamt zehn zu beringenden Jungstörchen.