Wird dieser Mann zu lebenslänglicher Haft verurteilt oder nicht? Nach dem ersten Verhandlungstag im Mordprozess am Landgericht Konstanz gegen den 48-jährigen Gezim F., der am 21. Januar am Postschalter im Markdorfer Schnäppchenmarkt Megamix seine 44-jährige getrennt von ihm lebende Ehefrau erschossen hatte, steht fest: Die Strafzumessung entscheidet sich für das Gericht unter Vorsitz von Arno Hornstein an der Frage des Vorsatzes.
Vorsatz ist in Verbindung mit Heimtücke ein Mordmerkmal. Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach hatte am Donnerstag erneut betont, dass er dieses Mordmerkmal und auch die niederen Beweggründe als zweites Mordmerkmal als erfüllt ansieht. Der Angeklagte wiederum hatte sich in seiner Einlassung zur Tat, die sein Anwalt Klaus-Martin Rogg verlas, darauf berufen, seine Frau im Affekt und unter Alkoholeinfluss getötet zu haben. Die umfangreichen Zeugenaussagen der Taxifahrerin und der Laden-Inhaberin säen erhebliche Zweifel an dieser Version.
Hintergrund: Blutrache in Albanien
Um die Tat an einem Samstagmittag mitten in einem belebten Ladengeschäft überhaupt einordnen zu können, muss man sich zuerst einmal die Lebensgeschichte des Angeklagten näher anschauen – davon ausgegangen, dass sie größtenteils kein Märchen ist. Auch diesen Teil ließ er vor Gericht verlesen. Aufgewachsen in der Kleinstadt Lezha an der Küste im Norden Albaniens, kommt er aus einfachen Verhältnissen: Der Vater Koch, die Mutter Hausfrau. Mit 16 Jahren verlässt Gezim F. die Schule ohne Abschluss, arbeitet als Hilfskoch an der Arbeitsstätte des Vaters, später als Fischer.
1997, sagt Gezim F., sei etwas geschehen, das seither sein gesamtes Leben geprägt habe: Sein Onkel erschießt im Streit ein Brüderpaar, die Familie der Getöteten schwört Blutrache gegen den Onkel und alle Verwandten. Deshalb, sagt er nun vor Gericht, habe er sich auch die Waffe besorgt – eine Halbautomatikpistole des Typs Sig P210 mit 9 mm Kaliber, illegal über Landsleute in Tuttlingen für 1000 Euro. Damit habe er sich vor der Blutrache schützen wollen. Denn erst jüngst sei er wieder von Albanien aus bedroht worden, 26 Jahre nach dem Schwur: Man werde ihn auch in Deutschland finden, hieß es.
Doch wenn er sich vor Blutrache schützen möchte: Weshalb nimmt er dann die geladene Waffe mit, um sich von Pfullendorf an den Arbeitsplatz seiner Frau in Markdorf fahren zu lassen? Der Taxifahrerin sagte er am Tattag, er wolle in Markdorf bei der Post Geld abheben. Braucht man dafür und für eine Fahrt nach Markdorf und zurück eine Waffe?
1998: Gezim F. beantragt unter falschem Namen Asyl
Die Tat des Onkels habe seine gesamte Familie zerschlagen, sagt Gezim F. Die meisten Verwandten seien nach Italien ausgewandert, er selbst kam 1998 über Italien und Belgien in Deutschland an, wo er in Karlsruhe Asyl beantragte – unter falschem Namen, die erste kriminelle Tat. Auch das habe er getan, um Spuren zu verwischen. Wenig später geht es für ihn weiter nach Meßkirch, wo er seine spätere Frau, die italienischstämmige Sebastiana F., kennenlernt und 2001 heiratet. Seit der Hochzeit trägt er bis heute ihren Familiennamen. 2002 wird Sohn Niccolino geboren, kurz darauf Tochter Luisa und 2012 Sohn Leon, der im Mai vergangenen Jahres mit seiner Mutter vor dem gewalttätigen Vater flieht. In Markdorf finden sie eine neue Bleibe, sie eine neue Arbeitsstelle.
Eine letzte Zigarette vor den Schüssen
Diese Geschichte endet am Mittag des 21. Januar: Als die Taxifahrerin Gezim F. an seiner Wohnung in Pfullendorf abholen möchte, will er mit seinem älteren Sohn erst noch eine Zigarette rauchen, bevor sie abfahren, berichtet sie vor Gericht. Beide stehen neben dem Taxi und reden miteinander. Ob sie sich auf Deutsch oder Albanisch unterhielten und worüber, das habe sie nicht gehört. Dann, gegen 12.20 Uhr, starten sie. Er habe ihr befohlen, schnell zu fahren, sagt die Zeugin, die Post schließe bald. Angekommen in Markdorf, lässt er sich aber erst noch mit einem Schlenker in die benachbarte Kreuzgasse fahren. Er wollte nochmal eine rauchen. Ihr sei das seltsam vorgekommen, sagt die Taxifahrerin. Verhält sich so jemand, der mit seiner Ex nur reden möchte?
Sebastiana F. ahnte ihren Tod
Als Gezim F. nach fünf Minuten Wartezeit wieder aus dem Megamix läuft, habe er aufgeregt gewirkt, sagt die Fahrerin. Menschen schauen um die Ecke, fotografieren das Taxi. Hat er vielleicht einen Überfall verübt, fragt sie sich auf der Rückfahrt. Im Laden herrscht Chaos: Nach einem kurzen Wortwechsel mit seiner Ehefrau, bei dem sie noch laut ruft: „Jimmy, hau jetzt endlich ab!“, feuert er mehrere Schüsse auf sie ab.
Die immer noch schwer traumatisierte Filialleiterin sagt am ersten Prozesstag unter Tränen aus, sie habe Gezim F. direkt nach den Schüssen noch die Waffe entwinden wollen. Er habe die Pistole abgelegt und klar und ruhig zu ihr gesagt: „Jetzt hat sie bekommen, was sie verdient hat.“ Eine Woche zuvor habe er ihr beim letzten Aufeinandertreffen – er war über Wochen hinweg mehrfach im Megamix aufgetaucht – gesagt, sie solle Sebastiana ausrichten, er werde sie töten. Sebastiana F. muss an diesem Tag schon geahnt haben, dass sie sterben wird: „Er wird keine Ruhe geben, bis er mich umgebracht hat“, habe sie ihr entgegnet, sagt die Laden-Inhaberin schluchzend.
Die Lebensgeschichte, der Tatablauf, die Worte: Es sind alles Puzzleteile, die das Gericht nun auf dem Weg zur Urteilsfindung zusammensetzen wird. Affekt oder Vorsatz? Diese Puzzleteile des ersten Prozesstags entlasten den Angeklagten jedenfalls nicht.