Prinz Bernhard, das Haus Baden gehört zu den ältesten Adelsfamilien in Europa. Wenn man auf so lange Traditionen bewusst zurückschaut, wenn eine Familie in neun Jahrhunderten ungezählte Krisen überlebt hat, geht man dann anders mit der Corona-Pandemie um?

Wir sind ja alle überrollt worden. Uns allen ging es doch überwiegend so gut in den letzten Jahren, mit dem Eintreffen der Corona-Krise entwickelte sich eine Fallhöhe, die keiner voraussehen konnte oder erwartet hatte. Allerdings habe ich vielleicht nach dem ersten Schreck einen etwas anderen Blick auf solch eine Krise. Bedenken Sie: Markgraf Hermann IV. , war mit Barbarossa unterwegs und starb 1190 in Antiochia, heute Türkei, an der Pest. Der Selige Markgraf Bernhard II. von Baden, der Landespatron Badens, starb 1458 in Norditalien mit gerade mal 30 Jahren ebenfalls an der Pest. Ich will damit sagen: In meiner Familie waren Kriege, Epidemien, Naturkatastrophen schon immer präsent. Und da historisch überliefert, auch immer über die Jahrhunderte präsent. Mir ist schon früh bewusst geworden, dass auch brutale Krisen vorkommen und jeden treffen. Das haben zwar alle Familien durchgemacht, aber unsere Familiengeschichte ist, wie gesagt, eben über wirklich lange Zeit dokumentiert. Man erkennt: Wenn es eine Krise gibt, dann muss man kämpfen, muss sich zusammenraufen, Disziplin haben und wissen: Das geht vorüber, es gibt ein Leben danach.

Erlebbar ist das in Schloss Salem in Ihrer Ahnengalerie, wenn man an den langen Reihen mannshoher Porträts Ihrer Vorfahren vorbei läuft.

Ja, vor dem Hintergrund der langen Ahnenreihe ordnet man sich fast zwangsläufig in ein Gesamtschicksal ein. Und man akzeptiert, dass Krisen vorkommen. Das ist zwar ein schwacher Trost, aber es zeigt einfach: Man muss nach vorne schauen, man kann nach vorne schauen, und es lohnt sich, mit Disziplin durch schwierige Zeiten zu gehen. Alle unsere Vorfahren mussten solche Zeiten bewältigen.

Als Familie Krisen und Epidemien überlebt – die Ahnengalerie des Hauses Baden im „Blauen Gang“ des Schlosses Salem, ...
Als Familie Krisen und Epidemien überlebt – die Ahnengalerie des Hauses Baden im „Blauen Gang“ des Schlosses Salem, der zum privaten Bereich gehört, in dem Max Markgraf von Baden und seine Frau Valerie zurückgezogen leben. | Bild: Haus Baden

Trieb und treibt Sie dennoch die Sorge um Ihre Eltern um, die ja älter sind und jetzt vermutlich noch zurückgezogener als sonst leben? Und wie ging es mit Ihren Kindern?

Meine Eltern haben wir versucht, so gut wie möglich zu schützen und zu isolieren. Sie konnten lange nicht mit den Enkelkindern zusammensitzen. Die Kinder – 18, 16 und 14 Jahre – saßen zuhause und erhielten Digitalunterricht. Das waren auch für uns die ganz normalen Herausforderungen der Corona-Zeit. Klar. Die Prüfung zum Internationalen Baccalaureat, zu dem der älteste antreten wollte, fiel dieses Jahr aus. Da weiß man dann plötzlich nicht, wie es mit den Unibewerbungen läuft. Aber das sind die Fragen, denen sich jetzt eine ganze Generation stellen muss.

Schaut auf 908 Jahre Familiengeschichte zurück: Bernhard Erbprinz von Baden an seinem Schreibtisch. Diese Vergangenheit zu kennen, ...
Schaut auf 908 Jahre Familiengeschichte zurück: Bernhard Erbprinz von Baden an seinem Schreibtisch. Diese Vergangenheit zu kennen, einschließlich der Krisen, Pestwellen und Katastrophen, verändert den Blick auf die aktuelle Corona-Pandemie, sagt der älteste Sohn von Markgraf Max, der die Familienunternehmungen als Generalbevollmächtigter 1998 übernahm. | Bild: Haus Baden

Im Juli 2019 hatte die markgräfliche Landwirtschaft komplett auf ökologische Produktion umgestellt

Gleich im ersten vollen Vegetationsjahr als Biobetrieb, in dieser frühen Phase der Umstellung, wurden Sie ausgebremst: Es kamen Corona und der Shutdown. Welche Schwierigkeiten brachte es, plötzlich so eingebremst zu werden?

Es war und ist eine bemerkenswerte Situation. Die Mitarbeiter von Ackerbaubetrieben arbeiten ja sehr selbstständig mit ihren Maschinen auf den Feldern, das lief und läuft eigentlich relativ gut ohne Unterbrechung weiter. Zum Glück wurde niemand krank und an der frischen Luft im Linzgau waren wir auch gut geschützt. Allerdings hatten wir gelegentlich kleine Verzögerungen mit der Beschaffung von Ersatzteilen. Wenn ich auf einen anderen Aspekt abheben darf: Biobetriebe sind nicht so sehr vom Weltmarkt abhängig. Der Biomarkt ist viel regionaler, viel stärker lokal ausgerichtet – und damit abgekoppelt von den Turbulenzen auf der landwirtschaftlichen Terminbörse. Genau davon verspreche ich mir eine größere Stabilität bei den Preisen. Wir sind sehr gespannt, ob bzw. inwieweit sich eine solche Preisstabilität dauerhaft einstellt. Aber momentan haben wir den Eindruck, dass der Biomarkt deutlich weniger anfällig ist.

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Corona-Krise zeigt die Bedeutung regionaler Lieferkennten

Die Produktion vor Ort bekam durch Corona eine noch größere Bedeutung? Die regionalen Lieferketten haben besser funktioniert?

Ja, den Eindruck habe ich. Und darin steckt auch eine gewisse Logik. Aber lassen Sie uns erst einmal die Entwicklung beobachten und dann bewerten. Im Augenblick stimmt mich die Situation zuversichtlich.

Haben Sie gemerkt, dass die Nachfrage größer wird?

Das können wir noch nicht feststellen. Das wäre auch noch zu früh, auf den Einzelbetrieb schlägt das noch nicht durch und außerdem stehen wir ja noch in der Umstellungsphase.

Glauben Sie, dass diese Krise uns zurückbringt zum Bewusstsein, dass uns regionale Landwirtschaft mehr Sicherheit gibt?

Das will ich hoffen! Weil es sinnvoll ist, da man unabhängiger wird. Aber es braucht Zeit, bis ein solcher Prozess sich flächendeckend durchsetzt, allein schon von den erforderlichen Produktions- und Vermarktungsabläufen her. Nicht jeder Bauernhof kann gleich Direktvermarkter werden. Aber ich glaube und hoffe schon, dass die Wertschätzung der Bauern vor Ort sich deutlich vergrößert. Für mich ist es essenziell, dass das Standing der Bauern in der regionalen Lieferkette wieder an Geltung gewinnt.

War es ein Problem, dass Erntehelfer nicht einreisen konnten?

Das war ein Thema vor allem im Weinbau, bei unserer Landwirtschaft stellt sich das nicht.

Umstellung auf Biolandwirtschaft verändert auch die Landschaft im Linzgau

Woran kann der Spaziergänger eigentlich erkennen, dass der Markgraf auf Bio umgestellt hat?

Regenerative Landwirtschaft verändert auch die Landschaft. In vielerlei Hinsicht. Es wird nach Möglichkeit nicht mehr gepflügt. Wir versuchen, mit Untersaaten und Zwischensaaten dafür zu sorgen, dass der Boden stetig bedeckt ist und so das Bodenleben optimal gefördert wird. Das sieht man der Landschaft an, eigentlich blüht es immer irgendwo und plötzlich sieht man auch Rehwild auf den Äckern. Zwischenfrüchte zwischen den Ertragssaaten führen dem Boden Nährstoffe zu, schützen ihn vor Erosion und sorgen für die Durchlüftung der Böden. Wir säen zum Beispiel unter den Weizen Klee- und Grasmischungen, das heißt, es sind mehrere Früchte zur gleichen Zeit auf den Feldern. Zudem hatten wir Schafe auf den Äckern.

Schafe?

Ja, Schafe, das war für uns ein lustiges Bild und am Feldrand bildeten sich Menschenansammlungen. Seit April grasen Schafe auf einigen unserer Äcker. Der Schäfer Gulde aus Buggensegel hütet seine Tiere auf unseren Zwischenfrüchten. Denn dort, wo früher schwarze Felder waren, wachsen jetzt beispielsweise Klee oder ausgeklügelte Saatmischungen. Genau das meine ich mit Veränderung des Landschaftsbildes.

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Gab es in den vergangenen Monaten, insbesondere während des Shutdowns, eigentlich einen Ansturm auf Ihre Wälder?

Ja, es war und ist wahnsinnig viel los im Wald, wobei sich die Menschen von Anfang an die Abstandsregeln gehalten haben. Und das freut mich – denn was ist erholsamer und gesünder als ein Waldspaziergang? Der Wald ist gut für die Nerven, powert die Kinder aus, hält Seele und Körper fit. Wir müssen dankbar sein, dass wir in der Region diese Möglichkeit haben. Viele Städter hatten und haben diese Möglichkeiten nicht.

Wachsende Aggressivität der Waldbesucher bereitet Prinz Bernhard Sorgen

Keine negativen Erfahrungen?

Doch, die Vermüllung hat merklich zugenommen, Autos beparken jeden freien Streifen, es laufen sichtbar mehr Hunde auch unangeleint durch den Wald, und der Bewegungsdrang der Fahrradfahrer und E-Biker hat ohne Frage ein manchmal rücksichtsloses Maß angenommen.

Was wünschen Sie sich?

Den eigenen Müll mitzunehmen wäre schon mal ein guter Anfang. Es geht im Wald wie so häufig im Leben und auch in anderen Bereichen um Aufmerksamkeit, Verantwortung und Rücksicht und in der Natur vor allem auch um Ruhe. Sorge mache ich mir aber auch um das gestiegene Mass an Aggressivität: Meine Mitarbeiter und ich selbst wurden teils beschimpft, wenn wir in Verrichtung unsere Arbeit auf Feld und Flur unterwegs sind. Die Besucher scheinen Wälder und Felder als ihren persönlichen Freizeitpark zu sehen und vergessen, dass Land für andere Menschen auch ihre Lebensgrundlage bedeutet und sie hier ihrer Arbeit nachgehen möchten und müssen.

Internationaler Holzmarkt ist durch Corona zusammen gebrochen

Welche ökonomischen Konsequenzen hat die Coronakrise auf die Forstwirtschaft?

Der Holzmarkt hat sich rasant gewandelt und ist stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Sägeindustrie hat schon im März begonnen, ihre Bestände zurückzufahren, weil der Export eingebrochen ist. Die Preise für Holz sind auf ein ungekanntes Niveau gefallen.

Der Laie denkt: Wir haben doch Massen von Klopapier und Küchenrollen aus Holz produziert?

So viel haben wir dann doch nicht benötigt! Aber unser Export war mit einem Schlag weg. Holz wird ja international hin und her geschippert. Wir verkaufen an die Holzhändler und Sägewerke, die verkaufen es weiter. Aber wenn der ganze Schiffsverkehr nach Asien stillsteht, dann bleiben auch die Sägewerke stehen. Und wenn die Industrie nicht mehr produziert, wird weniger Holz nachgefragt. Dann sinken die Preise, es wird schlicht kein Holz mehr abgenommen. Außerdem hatten wir die letzten Jahre verheerende Käferschäden. Die Gefahr, dass wir da auch dieses Jahr wieder Probleme haben, ist sehr hoch. Und wenn bei uns ein Käferherd ausbricht, müssen wir dieses Holz sehr schnell aus dem Wald rausbekommen, um weiteren Schaden von unseren Wäldern abzuhalten.

Oberschlesische Erntehelfer sind gar nicht erst heim nach Polen

Zum Thema Wein, zu Ihrem Weingut Markgraf von Baden. Die Arbeit in den Reben ist personalintensiv. Hat Corona da nicht weit reichende Auswirkungen?

Wir haben großes Glück, dass wir seit vielen Jahren mit unserem oberschlesischen Team zusammen arbeiten. Die Mitarbeiter sind nicht nach Polen zurückgefahren, sondern hier geblieben. Es zahlt sich aus, dass wir über lange Jahre eine verlässliche Partnerschaft entwickelt haben. Hochinteressant war freilich, wie viele Menschen, darunter viele junge, sich von überall her gemeldet haben und uns helfen wollten, insbesondere aus der gebeutelten Gastronomie. Das hat uns überrascht, aber selbstverständlich riesig gefreut. Ich finde es beeindruckend, wie kreativ die Menschen in Krisen werden und auch spüren, hier sind Unternehmen in der Region, die brauchen Unterstützung, da fehlt Arbeitskraft. Wir waren jedenfalls extrem dankbar, hatten aber tatsächlich keinen größeren Bedarf, da unsere Mitarbeiter ja an Ort und Stelle waren.

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In der Weinvermarktung waren Ideen gefragt

Die Weinabnahme durch die Gastronomie ist sofort zusammengebrochen?

Und das vollständig. Da ging es nicht um 5 oder 10 Prozent, die Gastronomie ging quasi auf Null. Die Shops waren auch zu, der ganze Direktvertrieb war stillgelegt. Aber, wie gesagt, es zahlt sich immer aus, eine gute Mannschaft zu haben. Wir haben schnell unseren Online-Bereich umgestellt und ausgebaut. Wir haben rasch einen Lieferservice entwickelt, den Wein also zu den Kunden gebracht. Wir haben auch sofort begonnen, unser Weingut und unsere Weine in der virtuellen Welt zu präsentieren und diesen Weg dann kontinuierlich ausgebaut: Kleine Videoclips mit Führungen durch unsere Weinberge, Kellerführungen, Weinpräsentationen. So wollten wir mit den Menschen in Kontakt treten und sagen: Wir haben schwere Zeiten, aber wir können zeigen, dass wir weitermachen, und auch vermitteln: Wir brauchen euch. Gerade weil die regionale Perspektive für uns wichtig ist. Jedenfalls fand ich es großartig, wie kreativ unser Team auf diesem Sektor unterwegs ist.

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Aber die Supermärkte waren ja immer offen.

Ja, Gottseidank. Das hat uns natürlich gestützt. Zumal wir unseren Vertrieb im Lebensmitteleinzelhandel, also in den Supermärkten in den letzten Jahren ausgebaut haben. Was wir aber im Konstanzer Raum stark gespürt haben: Die Grenzgänger waren weg.

Eine Frage zum Schluss: Am 27. Mai hatten Sie 50. Geburtstag, es konnte kein großes Fest geben?

Das ist völlig belanglos im Vergleich zu dem, was aktuell passiert und zu den Pflichten und Herausforderungen, die sich mir stellen. Feste soll man feiern, wenn man Zeit hat und es angebracht ist. Ich habe eine Verantwortung für meine Familie und für das Unternehmen – und dem gilt meine einzige Aufmerksamkeit.