Sie stehen für das Leben. Die Thujen am Eingang des Überlinger Stadtgartens zählen zu den ältesten Pflanzen im Park. Ihr rotbrauner Stamm ragt üblicherweise weit in die Höhe. Doch ein besonderes Exemplar in Überlingen bevorzugt die Weite: Ein Starkast wächst im Bogen. Inzwischen ist er selbst zum Stamm geworden. Das Holz hat sich wieder in die Erde gegraben. Es wurzelt im Boden und treibt selbst Äste.

Nomen est omen: Die Lebensbäume verjüngen sich selbst. Hier ist ein Starkast zum Stamm geworden und treibt selbst Äste.
Nomen est omen: Die Lebensbäume verjüngen sich selbst. Hier ist ein Starkast zum Stamm geworden und treibt selbst Äste. | Bild: Rasmus Peters

„Sie verjüngen sich selbst“, sagt Roland Leitner. Der Leiter der städtischen Grünflächen ist beeindruckt vom Willen dieser Giganten. Es ist dieselbe Gattung wie die so oft verwendeten Thuja-Hecken, nicht jedoch dieselbe Art.

Auf der Suche nach neuen Wegen

Etwa 50 verschiedene Bäume stehen im Stadtgarten. Die ersten Pflanzen und Wege entstanden ab 1875 unter anderem unter den Augen des fürstenbergischen Hofgärtners Kellermann aus Heiligenberg. Stück für Stück wurden Lebensbäume, Zedern, Eiben gepflanzt. Stadtgärtner Herrmann Hoch verfolgte ab 1894 das Ziel, exotische Pflanzen zu setzen. Nun ist das Überlinger Arboretum ein kleines Baummuseum.

Die Entstehung des Stadtgartens Ende des 19. Jahrhunderts. Die Bäume sind noch klein.
Die Entstehung des Stadtgartens Ende des 19. Jahrhunderts. Die Bäume sind noch klein. | Bild: Archiv Lauterwasser

Entstanden ist der Park in einer Stadt, die auf der Suche nach neuen Wegen war. Überlingen hatte als Reichsstadt ausgedient, man suchte neue Arbeitsgrundlagen und wollte die Stadt dem Tourismus öffnen. So wichen die spitälischen Gemüsegärten und Rebflächen exotischen Bäumen und Wegen, erläutert Stadtarchivar Walter Liehner. „Man musste den Leute etwas bieten“, sagt er. So wurden die Befestigungsanlagen aufgehübscht und da das Wandern noch nicht in Mode war, bot der Stadtpark insbesondere den Gästen des nahen Bad-Hotels Raum zum Flanieren.

Guter Boden und wertvoller Bestand

Über die Jahre angelegt, wechseln in seiner heutigen Form Freiflächen und Baumbestand im Park einander ab. Neben Blumen, Kakteen und Gräsern stehen Bambus, japanische Kirschbäume oder ein Urweltmammutbaum. Immer wieder spricht Grünflächenleiter Leitner vom wertvollen Baumbestand. Was er damit meint? „Die Bäume sind sehr alt, dafür haben sie für sich schon einen Wert.“ Wertvoll sind sie auch als Lebewesen und weil sie Sauerstoff produzieren, fügt er hinzu.

Eine Araukarie. Aufgrund der klimatischen Bedingungen am Bodensee wächst sie im Überlinger Stadtgarten im Vergleich zu anderen Orten besser.
Eine Araukarie. Aufgrund der klimatischen Bedingungen am Bodensee wächst sie im Überlinger Stadtgarten im Vergleich zu anderen Orten besser. | Bild: Rasmus Peters

Er bietet ihnen dafür ideale Wachstumsbedingungen: „Der gute Boden und die hohe Luftfeuchtigkeit direkt am See lässt sie höher und üppiger wachsen als an anderen Standorten“, erklärt Leitner. Das gilt etwa für die Araukarie. „Die wird auch Südamerika-Tanne genannt“, sagt Leitner, „hat mit Tannen aber gar nichts zu tun.“ Die Nadeln sind eher flache Dreiecke und die Zweige gleichen eher schuppigen Tentakeln als Ästen mit Nadeln. Heimisch ist die Pflanze im warmen Klima Chiles, Argentiniens und Brasiliens. „In kalten Wintern friert sie schon mal zurück“, sagt Leitner, bei einem so großen Exemplar sei das allerdings selten ein Problem.

Auch der Bambus profitiert vom Bodensee-Klima. „Der wächst anderswo auch, aber dort wird er nicht so hoch“, sagt der Abteilungsleiter. Die Gattung in Überlingen ist gut im Griff zu halten. Die Wurzeln seien nicht wuchernd, sondern horstbildend, erläutert der Experte.

Die Blätter einer Partnerschaft

Ein weiteres Kuriosum des Überlinger Arboretums ist der Taschentuchbaum. Die Blütenblätter, die Petalen, sind groß und weiß und ähneln Taschentüchern, wenn sie im Wind wehen. Üblicherweise blüht der Baum im Frühsommer. Laut Leitner reagiere die Gattung jedoch auch stark darauf, wie sich das Frühjahr entwickelt. Daher könne es mal früher, mal später zur Blüte kommen.

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Der Ginkgo zeigt, es gibt nicht nur Eiche, Esche und Buche, sagt Leitner. Der Baum, der zum zehnjährigen Bestehen der Städtepartnerschaft zu Bad Schandau gepflanzt wurde, überrascht nicht nur durch seine Gattung. Der Baum, der vor allem für seine Blätter bekannt ist, ist ein Nadelbaum. Die feinen Nadeln sind zusammengewachsen wie eine Dutzendschaft siamesischer Zwillinge. Das Symbol einer Partnerschaft.

Stahlseile stützen die Buche. Aufgrund einer Mauer können sich die Wurzeln nicht so stark ausbreiten. Die Seile unterstützen sie dabei, ...
Stahlseile stützen die Buche. Aufgrund einer Mauer können sich die Wurzeln nicht so stark ausbreiten. Die Seile unterstützen sie dabei, das Gewicht zu halten. | Bild: Rasmus Peters

Schicksal einer Parkbuche

Pflegeintensiv sind die Bäume laut Leitner nicht. Sie werden regelmäßig auf Schädlinge überprüft. Jährlich werden sie auf Fehlbildungen oder Krankheiten untersucht. Straßenbäume machten deutlich mehr Arbeit, sagt Leitner. Doch von einer Buche sind zwei Stahlseile gespannt. Aufgrund einer Mauer können sich ihre Wurzeln nicht so weit ausbreiten, wie sie müssten, damit der Baum von allein steht, erklärt Leitner.

Diese Mauer schränkt das Wurzelwachstum der Buche ein, sodass sie mit Seile gestützt wird.
Diese Mauer schränkt das Wurzelwachstum der Buche ein, sodass sie mit Seile gestützt wird. | Bild: Rasmus Peters

„Sie hat keine idealen Bedingungen“, sagt er. „Dem Baum geht es wie einem Menschen, dem der halbe Magen rausoperiert wurde.“ Die Mauer zwinge die Buche in ihren Platz, doch der Statik muss nachgeholfen werden. „Wurzeln entsprechen etwa dem Umfang der Krone“, beschreibt Roland Leitner. Um die Krone zu entlasten oder um Konkurrenzsituationen zu vermeiden, wird eingeschritten. Äste, die anderen Licht rauben, werden etwa abgetrennt. Wo die Säge angesetzt wurde, ragen Stümpfe aus dem Stamm.

Die beschnittene Buche: Wie vernarbte Stümpfe ragen Astüberbleibsel aus dem Stamm, wo sie abgetrennt wurden, um die Krone zu entlasten ...
Die beschnittene Buche: Wie vernarbte Stümpfe ragen Astüberbleibsel aus dem Stamm, wo sie abgetrennt wurden, um die Krone zu entlasten oder weil Konkurrenz zu anderen Ästen entstand. | Bild: Rasmus Peters

Denkmalgeschützte Anlage

Unweit der Buche wachsen Kakteen in die Höhe. Das tun sie seit der Anfangszeit des Parks. Weil die gesamte Anlage denkmalgeschützt ist, ist auch eine Auflage, dort weiter Kakteen zu pflegen, sagt Roland Leitern.

Der Stadtgarten in den 1950er-Jahren. Im Vordergrund ist die Kakteen-Sammlung, im Hintergrund wachsen die Lebensbäume.
Der Stadtgarten in den 1950er-Jahren. Im Vordergrund ist die Kakteen-Sammlung, im Hintergrund wachsen die Lebensbäume. | Bild: Archiv Lauterwasser

Gegenüber der Kakteen und Sukkulenten überragen die alten Lebensbäume die Parkanlage. Gemeinsam mit ihren stacheligen Mitbewohnern verheißen sie das lange weitere Fortbestehen des Stadtgartens.