Ein krebskranker Mann aus dem Bodenseekreis musste sich vor dem Amtsgericht Überlingen wegen vorsätzlicher Abgabe von Betäubungsmitteln verantworten. Er soll sein Schmerzmedikament Polamidon am Valentinstag 2022 absichtlich an einen 21-Jährigen weitergegeben haben. Dieser starb am selben Tag im Zusammenhang mit dem Medikamentenmissbrauch. Die Freundin des Verstorbenen verständigte im Laufe der Nacht die Rettungskräfte und sagte bei der Polizei aus, der Verstorbene habe die Substanz beim Angeklagten gekauft. Später wurden zwei Flaschen des Opioids Polamidon sichergestellt, wie vor Gericht zu erfahren war.
Schwerkranker Angeklagter will nichts gewusst haben
Der 45-jährige Angeklagte leidet seit mehreren Jahren an Krebs und lebt in einer Notunterkunft im Bodenseekreis. Er sei stark körperlich eingeschränkt, alkoholabhängig und auf eine Vielzahl von Medikamenten angewiesen, schilderte er vor Gericht. Außerdem leide er seit einiger Zeit an Depressionen. Er versichert dem Richter, er habe das Medikament nicht weitergegeben. „Ich kannte ihn nicht und ich brauche das Medikament, warum sollte ich es abgeben?“
Angeklagter vermutet Diebstahl
Der Angeklagte habe den jungen Mann zuvor nur ein paar Mal flüchtig getroffen, gab er vor Gericht an. Am Valentinstag 2022 sei der Verstorbene erneut in der Notunterkunft gewesen, schilderte der Mann. Der 21-Jährige habe ihn, den Angeklagten, mehrfach nach dem Medikament gefragt. Der Tumorpatient habe ihm aber deutlich gemacht, dass er nichts herausgeben werde.
„Ich denke, er wusste durch meinen Mitbewohner von meinen Medikamenten, da die beiden sich kennen“, mutmaßt er. Der Angeklagte erzählt vor Gericht, er sei am Tag des Geschehens kurz aus dem Zimmer gegangen, um seinen Urinbeutel zu leeren. Als er wieder kam, sei das Fläschchen mit dem Polamidon weg gewesen.
Verstorbener und Angeklagter sollen sich abgesprochen haben
Bei der Zeugenbefragung erzählte die damalige Freundin des Verstorbenen der Polizei von einem angeblichen Deal mit dem Angeklagten. Bei der Verhandlung verdeutlicht die Zeugin: „Die haben das vorher verabredet. Für 50 Euro sollte mein damaliger Freund das Polamidon bekommen.“ Die Vereinbarungen seien ausschließlich mündlich getroffen worden. Auch wenn die Frau von einem Kauf ausgeht, könne sie nicht ausschließen, dass ihr damaliger Lebensgefährte das Betäubungsmittel gestohlen habe. Laut ihrer Aussage soll der Verstorbene regelmäßig Medikamente missbraucht haben.
In ihrer polizeilichen Aussage schildert die Zeugin, wie sie am Valentinstag mit ihrem Freund die Notunterkunft besuchte. Sie will auf dem Klingelschild den Namen des Angeklagten gelesen haben. Bei der Verhandlung hingegen ändert die 21-Jährige ihre Aussage. Sie versichert, dass sie im Auto geblieben sei und gewartet habe. Nach fünf bis zehn Minuten soll ihr Freund dann wieder aus dem Haus herausgekommen sein – mit dem Polamidon.
Die 21-Jährige erklärt vor Gericht, sie sei mit ihrem Freund ein paar Tage vor dem Valentinstag schon mal beim Angeklagten gewesen, um den Deal abzuklären. Da habe sie auch das Klingelschild gesehen. Von diesem ersten Besuch sagte die damalige Freundin des Verstorbenen bei ihrer polizeilichen Aussage im Februar 2022 nichts. Was nun genau stimmt, kann nicht abschließend geklärt werden.
Weitere Zeugin schildert Tatsachen ganz anders
Die Ex-Frau des Angeklagten tritt als weitere Zeugin auf. Sie schildert dem Gericht, sie sei am Valentinstag ebenfalls vor Ort gewesen. „Ich pflege meinen Ex-Mann und schaue regelmäßig nach dem Rechten.“ In der Küche habe sie sich dann mit der Freundin des Verstorbenen unterhalten. Sie sei sich auch sicher, dass das Gespräch am Tag des Drogendeals stattfand.
Angeklagter wird freigesprochen
Im Zuge der Urteilsverkündung wird der Angeklagte freigesprochen. „Es kann nicht nachgewiesen werden, dass der Angeklagte das Medikament vorsätzlich abgegeben hat“, begründet Richter, Alexander von Kennel das Urteil. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass der Verstorbene die Flasche gestohlen habe. Es sei auch keine Fahrlässigkeit festzustellen, da nicht zu erwarten sei, dass der Angeklagte seine Medikamente in den eigenen vier Wänden jedes Mal einschließt, bevor er den Raum verlässt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.