Julia Rieß

„Guck mal, das ist eine Herkuleskeule“, freut sich Willy Müller, als er mit seiner Kollegin des Vereins Pilzfreunde Überlingen durch den Wald geht. „Und da hinten sind zwei schöne Parasole, sieh mal!“, erwidert Almut Liese-Ullrich. Das dicke Buch in ihrem Rucksack, in dem 1019 verschiedene Pilze beschrieben sind, braucht sie heute nicht. Ob Herbsttrompete, Semmelstoppelpilz, Champignon, Koralle oder Teuerling – während des einstündigen Waldspaziergangs finden die Pilzliebhaber zig essbare wie giftige Exemplare, die sie meist schon von weitem erkennen.

Pilze sind die Aufräumer des Waldes: Sie sind für das Leben der Bäume unverzichtbar, aber auch für deren Zersetzung.
Pilze sind die Aufräumer des Waldes: Sie sind für das Leben der Bäume unverzichtbar, aber auch für deren Zersetzung. | Bild: Julia Rieß

Was Teuerlinge über den Sommer aussagen

Dennoch werfen sie am liebsten einen ganz genauen Blick darauf. Denn das Geheimnis und die Schönheit stecken im Detail, weiß Almut Liese-Ullrich. Sie nimmt einen winzig kleinen Teuerling, der wie ein Becher geformt ist, und erklärt: „Da sind winzige Sporen drin, die durch Regentropfen herausgeschleudert werden. So vermehren sie sich. Man sagt, wenn wenige Sporen drin sind, ist es ein trockener Sommer gewesen und dann ist das Getreide teuer. Deshalb heißen sie Teuerlinge.“

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Almut Liese-Ullrich fotografiert Pilze, statt sie zu pflücken

Kleine Pilze wie diese, die nicht essbar, aber einzigartig sind, findet Liese-Ullrich besonders interessant. Sie pflückt die Pilze in der Regel nicht, sondern fotografiert sie, stellt die Bilder einem Fachmagazin zur Verfügung und einmal im Monat zeigt sie die Aufnahmen bei den Treffen der Pilzfreunde. „Das habe ich mal angefangen, weil ich das ganz nett fand für die, die nicht mehr in den Wald können“, sagt sie.

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Pilzfreunde wollen Bewusstsein schaffen

Das komme gut an, denn die Pilzfreunde verfolgen generell nicht nur kulinarische Ziele. Willy Müller erklärt: „Wir wollen, dass die Leute das bewusst machen, statt einfach alles herauszurupfen. Natürlich gerne auch mal etwas mitnehmen zum essen, aber eben mit Verstand. Dass sie sich an der Natur erfreuen.“ Manchmal, sagt Almut Liese-Ullrich, sei sie tagelang auf der Suche nach einer bestimmten Pilzart, das lasse ihr dann keine Ruhe, bis sie ein solches Exemplar vor die Kameralinse bekomme. Dazu müsse man allerdings wissen, wann und wo man suchen muss.

Genießbarer Riese: Der Parasol wird gerne paniert, gebraten und als Schnitzel verspeist, weiß Willy Müller.
Genießbarer Riese: Der Parasol wird gerne paniert, gebraten und als Schnitzel verspeist, weiß Willy Müller. | Bild: Julia Rieß

Pilzsaison ist immer, sagt Liese-Ullrich

„Wir gehen das ganze Jahr. Im Winter suchen wir eben mit einem Besen nach den Austernseitlingen oder Samtfußrüblingen.“ Der Pilzbestand wechsele von Jahr zu Jahr, je nach Witterung. Pilzsucher lernten, die Natur zu beobachten und daraus Folgen abzuleiten: „Wie ist das Wetter? Man muss nicht in den Wald, wenn der Boden vor Trockenheit knackt. Wenn es nach Trockenheit ordentlich regnet, braucht es etwa zehn Tage bis dann wirklich wieder etwas wächst, je nach Pilzart natürlich.“

Auch das Wissen darum, ob ein Boden sauer oder kalkhaltig ist, helfe ungemein bei der Suche nach einem bestimmten Pilz. Da Pilze in Symbiose mit Bäumen leben, lasse sich anhand des Baumbestandes voraussagen, wo man am ehesten die gesuchte Art findet. Liese-Ullrich nennt ein Beispiel: „Wo Schachtelhalm wächst, findet man eher Spitzmorcheln, weil der Boden sauer ist.“

Kulinarische Geschenke der Natur

Willy Müller ergänzt: „Die Krause Glucke zum Beispiel wächst nur unter Kiefern“ und zeigt auf ein sehr großes Exemplar inmitten einer Kieferngruppe. Den Pilz nimmt er fürs Abendessen mit nach Hause und verstaut ihn im Korb. Später werden sich auch noch ein Champignon und ein Parasol zur Glucke gesellen. Willy Müller sagt, es sind für ihn kulinarische Geschenke der Natur, die nicht selbstverständlich sind.

Die Krause Glucke kann, wenn es lange warm und feucht war, stattliche Maße annehmen.
Die Krause Glucke kann, wenn es lange warm und feucht war, stattliche Maße annehmen. | Bild: Julia Rieß

Beim Pilzesammeln gilt die Handstraußregelung

Neben dem eigenen Verstand und Disziplin, erklärt Müller, gibt es gesetzliche Vorgaben, wie viele Pilze geerntet werden dürfen. Geschützte Pilze sind Tabu, ansonsten gilt laut der Handstraußregelung: Wild lebende Blumen, Früchte, Pilze oder Kräuter darf man in geringen Mengen für den persönlichen Bedarf pfleglich entnehmen und sich aneignen. In Bezug auf Pilze wird ein Kilogramm pro Person und Tag akzeptiert. Wer gewerblich sammeln will, braucht eine Genehmigung.

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Giftpilze wachsen auch zwischen essbaren Arten

Theoretisch also kann jeder Bürger in den Wald gehen und Pilze sammeln – und somit auf die importierten, in Folie eingeschweißten Produkte aus dem Supermarkt verzichten. Wenn da nicht die Gefahr wäre, aus Versehen giftige Exemplare in den Sammelkorb zu legen. Müller und Liese-Ullrich finden vor Ort jede Menge Beispiele.

Ein Eindruck davon, wie nah unbedenklicher Genuss und tödliches Gift beieinander liegen: Der Knollenblätterpilz (rechts) sieht dem ...
Ein Eindruck davon, wie nah unbedenklicher Genuss und tödliches Gift beieinander liegen: Der Knollenblätterpilz (rechts) sieht dem Champignon, den Willy Müller in der Hand hält, sehr ähnlich. | Bild: Julia Rieß

Willy Müller hält einen Champignon neben einen hochgiftigen grünen Knollenblätterpilz – die Ähnlichkeit ist verblüffend. Und der Giftpilz könne auch zwischen Champignons wachsen, sagt Almut Liese-Ullrich.

Verwechslungsgefahr ist groß

Aber so eine Krause Glucke ist doch unverwechselbar, oder? „Nein“, sagt Müller, „sehen Sie da unten den Pilz? Ich könnte wetten, es ist eine Krause Glucke. Fragen wir mal Almut Liese-Ullrich.“ Sie betrachtet den Pilz. „Das ist eine Koralle. Die ist giftig“, sagt sie dann.

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Wer in die Pilze gehen möchte, sollte sich also unbedingt jemandem anschließen, der sich auskennt, rät Almut Liese-Ullrich: „Das ist naiv, wenn man sich nicht auskennt, alleine Pilze zu sammeln. Und eine Faustregel besagt: Pro Jahr lernt man zwei neue Pilzsorten kennen.“ Nicht aus einer App oder einem Buch, sondern von jemandem, der sich auskenne. Im Zweifelsfall solle man sich an einen Pilzsachverständigen wenden (siehe Informationsblock unten).