Das Thema ist aktueller denn je: Was können Städte zum Klimaschutz beitragen? Aus Sicht der Bundesregierung müssen nicht nur die Energieversorger und die Industrie nachhaltiger und effizienter werden, auch die Städte sollten ihren Beitrag zur Energiewende leisten – ja Stadtquartiere könnten deren "lokale Impulsgeber" werden, wie es in einer Publikation von Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung heißt. Dazu haben die beiden Ministerien ein auf fünf Jahre angesetztes Projekt ausgeschrieben, bei dem die Stadt Überlingen gemeinsam mit der Landeshauptstadt Stuttgart als eines von sechs Konsortien in ganz Deutschland den Zuschlag bekam.
Baugenossenschaft plant 170 Wohnungen
Bei dem Kooperationsprojekt geht es in Stuttgart und Überlingen um insgesamt 960 Wohneinheiten und eine Gesamtinvestition

ssumme von 190 Millionen Euro. Im künftigen Quartier Nördlich Hildegardring werden davon von der Baugenossenschaft rund 170 Wohnungen realisiert. Für alle sechs Vorhaben in Deutschland stellt der Bund insgesamt 100 Millionen Euro an Fördergelder für Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich nachhaltige Stadtentwicklung zur Verfügung.
"Das Vorhaben könnte ein Leuchtturmprojekt für ganz Deutschland werden", sagt Andreas Huther, Geschäftsführer bei Puren und der Baugenossenschaft, der die Kooperation mit eingefädelt hat und das Projekt auf Überlinger Seite koordiniert. "Als ich Mai 2016 von dem Programm gehört hatte, wandte ich mich gleich an Oberbürgermeisterin Becker", sagt Huther. Bei der Stadtverwaltung sei es auf großes Interesse gestoßen. Doch die Vorbereitungen waren sehr umfangreich. "Allein der Antrag war mehr als 100 Seiten lang", sagt Andreas Huther.

Die konkreten Vorbereitungen sind schon im März angelaufen, im April fand eine so genannte Kick-Off-Veranstaltung im Stuttgarter Rathaus statt. Dennoch zeigt sich Huther bislang noch sehr zugeknöpft, da viele "konkrete Details noch nicht geklärt sind". In diesem Herbst ist ein Treffen der Verbundpartner in Überlingen geplant.
Spatenstich soll Anfang September sein
Umso erfreuter ist indessen Oberbürgermeister Jan Zeitler, der vor kurzem die Bewilligung eines ersten Zuschusses für die Stadt über das Forschungszentrum Jülich in Höhe von 551.423 Euro zur Umsetzung des Vorhabens verkündete. Der Spatenstich zur Bebauung des neuen Quartiers ist Anfang September terminiert, die Erdbewegungen für die künftigen Erschließung haben sogar schon begonnen. Bewusst wird bei der Kooperation mit Stuttgart ein Energiekonzept in ganz unterschiedlichen Wohnquartieren umgesetzt, heißt es in der Projektbeschreibung. Als wichtiger Aspekt wird eine "sozialverträgliche Mietpreisentwicklung" besonders hervorgehoben. Der Überlinger Anteil gilt dabei als "Randgebietssanierung mit Baufelderweiterung".

"Eine glückliche Fügung" nennt es auch Jürgen Görres, Leiter der Abteilung Energie im Umweltamt der Stuttgart die Kooperation der beiden unterschiedlichen Städte. "Zuerst waren wir mit München als Partner im Gespräch", sagt Görres, der Verantwortliche auf Stuttgarter Seite. Doch sei man mit den Bayern nicht so recht zu Potte gekommen, sagt er. Da habe die Idee und der Zeitpunkt der Planung für das neue Wohnquartier der Baugenossenschaft sehr gut gepasst.
Unter 64 Bewerbern zum Zug gekommen
"Es gab 64 Bewerbungen für dieses Forschungsprojekt", sagt Jürgen Görres: "Wir waren froh, dass wir gemeinsam mit Überlingen zu den sechs ausgewählten gehören." Berücksichtigt wurden dabei Vorhaben in Kaiserslautern, Heide, Oldenburg, Zwickau und Esslingen, wo in einem klimaneutralen Stadtquartier durch einen Verbund innovativer Technologien eine "sektorübergreifende Nutzung regenerativer Stromüberschüsse" ermöglicht wird. Dabei soll das Quartier zum Beispiel über Elektrobusse mit dem Mobitlitätskonzept der Stadt verknüpft werden.

"Stadtquartier 2050 – Herausforderungen gemeinsam lösen" ist das Vorhaben überschrieben, das Stuttgart und Überlingen gemeinsam entwickeln wollen. Am Beispiel der Konversionsflächen des früheren Bürgerhospitals in der Landeshauptstadt sowie am neuen Wohngebiet der Baugenossenschaft Überlingen und der Modernisierung des angrenzenden Bestands soll gezeigt werden, wie innovative Gebäudelösungen zur Sozialverträglichkeit in angespannten Wohnungsmärkten beitragen können. "Dazu werden beispielsweise Nutzerinnen und Nutzer der Gebäude durch eine interaktive 'Quartiersapp' am Energiemanagement beteiligt", erklärt Projektleiter Görres. Durch ein regelmäßiges Feedback über die Folgen des eigenen Handelns soll ein energiebewusstes Verhalten befördert werden.
Erster Abschnitt zur Landesgartenschau 2020 fertig
Der erste Überlinger Bauabschnitt soll in zwei Jahren als "energetisches Demonstrationsprojekt" im Rahmen der Landesgartenschau präsentiert werden. Auch in den "European Energy Award" sollen die Ergebnisse später eingespeist werden. Eine Rolle könnten sie auch bei Beratungen von Bauherren spielen, um "das große Ziel der Klimaneutralität auch im Bereich privater Einzelbauvorhaben zu verankern", wie es heißt. Modellhafte Abstimmungsprozesse für erhaltenswerte Bausubstanz sollen im Verlauf des Projekts mit Blick auf die historische Altstadt von Überlingen entwickelt werden.
Wie der Bau von 960 Wohnungen in Vorzeigequartieren in Überlingen und Stuttgart gelingen soll
- Wie lässt sich unter Berücksichtigung einer sozialverträglichen Mietpreisentwicklung bis zum Jahr 2050 eine nahezu klimaneutrale Energieversorgung in städtischen Quartieren realisieren? Dies ist die zentrale Frage, der die Städte Stuttgart und Überlingen gemeinsam nachgehen wollen. Durch Sanierung, Teilabriss und Neubebauung entstehen über 960 neue Wohneinheiten, die sich wie das gesamte Viertel energetisch klimaneutral verhalten. Dabei sollen bei der Umsetzung neben den technischen Möglichkeiten zur Energieoptimierung auch gesellschaftspolitische Bedürfnisse berücksichtigt werden.
In Überlingen ist es das neue Stadtquartier der Baugenossenschaft nördlich des Hildegardrings, in Stuttgart geht es um das Konversionsgebiet des früheren Krankenhausareals um das Bürgerhospital, das teilweise saniert, teilweise abgerissen und neu bebaut werden soll. Da in beiden Städten die gleiche Aufgabe in verschiedenen Quartiersformen ansteht, versprechen sich die beteiligten einen systematischen Ansatz, der später auch von anderen genutzt werden könnte. - Konzeption und Umsetzung werden von transdisziplinären Konsortium begleitet, dem Wohnbaugesellschaften und Energieversorger, Forschungsinstitute sowie Experten aus den Bereichen Sozialwissenschaft, Denkmalschutz und Wärmedämmung kooperieren und ihre Expertise einbringen.
- Folgende Projektpartner sind dabei: Baugenossenschaft Überlingen eG, Energieagentur Ravensburg gGmbH, Energiedienste der Landeshauptstadt Stuttgart GmbH, Forschungsinstitut für Wärmeschutz (FIW) München, Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT), Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP), IBS Ingenieurgesellschaft mbH, IREES GmbH – Institut für Ressourceneffizienz und Energiestrategien, Landeshauptstadt Stuttgart, puren GmbH, Stadt Überlingen, Stadtwerk am See GmbH & Co. KG, Universität Stuttgart. (hpw)