Die Diskussion um einen Tunnel zur Lösung der Überlinger Verkehrsprobleme ist alt, aber nicht totzukriegen. Seit nunmehr über 40 Jahren träumte so mancher Stadtrat vom Tunnel unter der Stadt und 2003 titelte der SÜDKURIER: „Der Traum vom Tunnel soll wahr werden.“ Zwei Tage brüteten Gemeinderat und Verwaltung in einer Klausur, heißt es damals im Zeitungsbericht dazu.

Anfang 2000 hätte das Land 80 Prozent Zuschuss gegeben

Der Fraktionsvorsitzende der zu dieser Zeit sogenannten Tunnel-Partei und heute noch aktive Gemeinderat der Freien Wähler, Robert Dreher, erinnert sich: „Wir wollten einen Tunnel vom Parkhaus Stadtmitte bis zum Parkhaus West. Mitte, Ende der 80er Jahre war der Kostenpunkt 30 Millionen DM. Bezuschussung vom Land rund 80 Prozent. Passiert ist nichts. Heute wären wir froh, wenn wir ihn hätten.“ Und so blieb es bisher beim Traum.

Sorms träumt vom Tunnel unter der Münsterstraße

Nun träumt wieder einer, der Grünen-Stadtrat Walter Sorms. Im SÜDKURIER-Interview vom 10. September spricht Sorms von einem „Schleichweg-Tunnel“ mit angegliederten Parkplätzen. Allerdings soll dieser unter einer der Haupteinkaufsstraßen, der Münsterstraße, entlang führen, und diese Variante ist neu. Damit will Sorms die Innenstadt in puncto Handel beleben und gleichzeitig den Verkehr beruhigen. Eine autofreie, aber attraktive Innenstadt nennt der Stadtrat als Ziel.

Hardy Krämer: „Der Idee sollte man nachgehen“

Bauingenieur Hardy Krämer, von 1975 bis 1981 selbst im Stadtrat und ein glühender Verfechter der ursprünglichen Tunnelvariante, sagt zu der neuen Idee: „Es gibt Beispiele wie Salzburg, die haben praktisch ihre gesamten Parkplätze unter der Stadt. Ich bin kein Traumtänzer, aber der Idee sollte man nachgehen. Grundsätzlich ist das technisch machbar, man muss es nur wollen und bezahlen können.“

Hardy Krämer, Bauingenieur aus Überlingen: „Man kann technisch gesehen unendlich viele Parkplätze in die Tiefe des Molassefelsens ...
Hardy Krämer, Bauingenieur aus Überlingen: „Man kann technisch gesehen unendlich viele Parkplätze in die Tiefe des Molassefelsens unter der Innenstadt machen. Das ist eine Frage von Wollen und von den Kosten.“ | Bild: Stef Manzini

Eine Machbarkeitsstudie könnte der Ingenieur Ulrich-Peter Rehm herstellen. Er ist mit seiner Firma Tunneling-Consulting der Berater für maschinellen Tunnelbau des Unternehmens Herrenknecht und international anerkannter Geologe. Der wohl bekannteste Tunnelbau der Lahrer Weltfirma Herrenknecht ist der 57 Kilometer lange Gotthard-Tunnel in der Schweiz. Schriftlich antwortet Rehm auf Anfrage: „Ich müsste mich für eine verlässliche Stellungnahme intensiver mit den technischen Randbedingungen beschäftigen.“

Sorms: Studie kostet unter 10.000 Euro

Walter Sorms sagt: „Ich würde die Kosten einer solchen Machbarkeitsstudie selbst tragen, sie liegen bei unter 10.000 Euro.“ Der Stadtrat betont, keinesfalls habe er mit seiner Tunnelidee nur eine Traumblase in die Öffentlichkeit senden wollen. Vielmehr habe er als Stadtrat ein Ohr für die Bürger, und da kämen die Tunnelfantasien immer wieder hoch, zumal es bis heute keine wirklich große Verkehrslösung gebe.

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„Möchte Klarheit und Antwort auf die Tunnelfrage“

„Ich bin da ganz ehrlich, als Grüner interessieren mich natürlich sehr stark auch die Alternativen zum Tunnel, wie Park-and-Ride-Plätze vor der Stadt mit Shuttletransport. Und mich interessiert auch sehr, wie die Jugend dazu so tickt. Darum sagte ich ja in dem Interview: Befinde ich mich hier mit dem Tunnel im alten Denken? Brauchen wir große Parkflächen für Autos in 30 Jahren noch? Also ich habe viel mehr Fragen als Antworten, aber ich möchte endlich auch Klarheit und eine Antwort auf die immer wieder gestellte Tunnelfrage. Ist es machbar und bezahlbar, dann haben wir einen Weg. Wenn nicht, sollten wir uns ganz stark um die anderen Wege kümmern und den Tunnelgedanken dann auch endgültig begraben.“

Rampe von 50 Metern Länge wäre nötig

Graben würde laut Hardy Krämer, dem ehemaligen Mitarbeiter des Straßenbauamts und Spezialisten für Straßenbau, eine Vortriebsmaschine: Diese fresse sich buchstäblich durch den Molassefelsen. Zuerst brauche man aber ein Gutachten, um die Sicherheit der Häuser in der Münsterstraße zu gewährleisten. Auch müsste man eine Rampe von mindestens 50 Metern Länge, bei etwa sechs Prozent Neigung, zum Tunnelmund einplanen, um den Höhenunterschied von rund sieben Metern zu bewältigen.

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Tunnel kostet pro laufendem Meter 30.000 Euro

Die Bezuschussung eines derartigen Tunnels, der heute für den laufenden Meter laut dem Bauingenieur rund 30.000 Euro kosten würde, sei mittlerweile jedoch ganz wesentlich niedriger als noch in den 1980er Jahren. Krämer sieht das grundsätzliche Problem eines Münsterstraßen-Tunnels nicht in der Machbarkeit, sondern in der mangelnden Wirksamkeit. „Hier käme es doch zu einer wesentlich höheren Verkehrsbelastung der Mühlenstraße, alle wollen dann da rein, und leider auch zu keinerlei Entlastung des Verkehrs des inneren Stadtrings von Überlingen. Das ist praktisch das Gegenteil der von mir favorisierten Tunnelstrecke Parkhaus Stadtmitte und Parkhaus West.“ Diese alte Variante noch einmal neu zu beleben, wäre laut Krämer heute ebenfalls schwierig, aber nicht unmöglich. Der Ingenieur nennt die Bebauung in der Fischerhäuser-Vorstadt als einen der Gründe.

Winfried Ritsch: „Haben damals wie die Löwen für den Tunnel gekämpft“

Einen tiefen Graben riss schon vor Jahrzehnten nicht der Tunnelbau, sondern allein die Debatte um ihn im Gemeinderat der Stadt. Hier standen sich die Tunnelbefürworter Freie Wähler und ehemalige ÜBA (Überlinger Bürger Aktion) und die strikten Gegner aus den Reihen der CDU erbittert gegenüber. Winfried Ritsch, über 30 Jahre Stadtrat der Freien Wähler, erinnert und mahnt: „Wir haben damals wie die Löwen mit dem Oberbürgermeister Weber für den Tunnel gekämpft. Qualität kommt oft von Quälen. Zum Glück gibt es aber immer wieder Menschen, die mutig voranschreiten für eine innerstädtische Zukunft.“

Walter Sorm: „Wir brauchen die Meinung von Experten“

Keinesfalls erneut spalten, sondern gemeinsam um die beste Lösung für Überlingens Verkehrsprobleme ringen möchte Stadtrat Sorms. „Der Münsterstraßen-Tunnel ist meine Idee. Nun sehen wir mal, ob das was sein könnte. Wir brauchen die Meinung von Experten, und da es auf meinem Mist gewachsen ist, soll dafür auch niemand anderes bezahlen. Es geht mir um Klarheit.“

Ob man ihn irgendwann in Überlingen sehen kann, den Schleichwegtunnel, steht in den Sternen. Was bereits zu hören ist, ist wieder einmal eine lebhafte Tunneldiskussion.